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Kampf gegen Corona
"Hoffe, dass wir die Ausgangssperre nicht brauchen"

Schließung von Schulen, Grenzen, Geschäften – diese und andere Einschränkungen des öffentlichen Lebens seien noch erträglich und gerechtfertigt, sagte NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann im Dlf. Wenn sich alle an die neuen Maßnahmen hielten, könnte man um weitere Verschärfungen wahrscheinlich noch herumkommen.

Karl-Josef Laumann im Gespräch mit Philipp May | 17.03.2020
Zu sehen ist Karl-Josef Laumann (CDU), Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen.
Karl-Josef Laumann, Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen. (picture alliance / dpa / Rolf Vennenbernd)
Die Bundesländer setzten momentan das um, was die führenden Virologen in Deutschland, insbesondere das Robert-Koch-Instituts empfehlen würden. Dabei gehe es nicht um Parteipolitik, sondern darum, dafür zu sorgen, dass sich das Coronavirus möglichst langsam verbreite, damit die Kapazitäten im Gesundheitswesen für Menschen, die erkranken, erhalten bleiben, erläuterte der Gesundheitsminister von Nordrhein-Westfalen, Karl-Josef Laumann, im Interview mit dem Dlf.
In einem Coronavirus-Testzentrum in Baden-Württemberg gibt eine Ärztin ein Abstrichstäbchen im Plastikröhrchen in einen Plastikbeutel.
Virologe: "Dann sind wir bei knapp 500.000 zusätzlichen Toten"
Das Beispiel Italien zeige, was für Deutschland noch zu erwarten sei, sagte der Virologe Martin Stürmer. Eine Berechnung mit den erwarteten Infektions- und Mortalitätsraten mache die Dimension der Corona-Krise für Deutschland deutlich.
Er hoffe, dass über die bereits beschlossenen Maßnahmen hinaus keine Ausgangssperre nötig sein wird. Wenn sich die Menschen jetzt an das hielten, was die Politik von ihnen verlange, nämlich die weitgehende Einschränkung des öffentlichen Lebens, komme man wohl um diesen Schritt herum. Die momentanen Einschränkungen seien Einschnitte, aber sie seien noch erträglich, betonte der CDU-Politiker.
Coronavirus
Daher seien die Maßnahmen gerechtfertigt, vor allem im Hinblick auf die Menschen, die bei einer Erkrankung medizinische oder sogar intensivmedizinische Betreuung benötigten. Die intensivmedizinischen Kapazitäten seinen zwar groß, aber nicht unerschöpflich. Die aktuelle Entwicklung der Infektionszahlen sei besorgniserregend, aber immer noch auf einem niedrigen Niveau.

Lesen Sie hier das vollständige Version des Interviews.

May: Ist das alles wieder alternativlos?
Laumann: Das weiß ich nicht, ob das alternativlos ist. Wir machen zurzeit das, was uns die führenden Virologen unseres Landes sagen, und wir haben ja, egal in welchem Bundesland wir Verantwortung tragen, immer gesagt, wir orientieren uns sehr an den Richtlinien des Robert-Koch-Instituts.
Das ist ja keine parteipolitische Frage, sondern es ist jetzt einfach eine Frage, das zu tun, dass der Virus sich möglichst langsam verbreitet, damit wir möglichst viele Menschen, wenn sie dann bei der Unterstützung eine medizinische Unterstützung brauchen, auch die Kapazitäten im Gesundheitswesen dafür haben.
"Es hat jetzt sehr viel damit zu tun, dass auch wirklich die Bevölkerung in der Gänze versteht"
May: Die Empfehlungen, die werden jetzt von Land zu Land unterschiedlich umgesetzt. Wann gilt das alles in Nordrhein-Westfalen?
Laumann: In Nordrhein-Westfalen haben wir schon am Sonntag in der Kabinettssitzung fast alles das beschlossen, was Berlin gestern gesagt hat. Wir haben gestern Abend unseren Erlass noch mal auf den Stand von den Berlinern gebracht. Es waren aber nur kleine Korrekturen, zum Beispiel bei den Restaurants, dass sie nur bis 18 Uhr aufhaben dürfen. Das hatten wir vorher nicht drin. Aber ansonsten gilt das bei uns schon für den ganzen Bereich der Freizeit, der Unterhaltung seit gestern und für den Rest seit heute.
May: Jetzt haben Sie gesagt, Sie folgen den Empfehlungen der Experten, vor allen Dingen des Robert-Koch-Instituts. Freitag waren die Schulschließungen dran, Sonntag kamen dann die Grenzschließungen, gestern unter anderem Kirchen, Spielplätze, um jetzt nur mal zwei Sachen zu nennen. Wann kommt die Ausgangssperre?
Laumann: Ich hoffe, dass wir sie nicht brauchen, und wenn sich jetzt die Menschen an dem halten, was wir jetzt von ihnen verlangen, dass ja doch das öffentliche Leben, bis auf dass man zur Arbeit geht, weitestgehend eingeschränkt ist, dann, glaube ich, kommen wir darum herum. Es hat jetzt sehr viel damit zu tun, dass auch wirklich die Bevölkerung in der Gänze versteht, dass wir eine ernste Situation haben und wir alle auf unsere sozialen Kontakte verzichten müssen.
May: Hätte man nicht erst einmal abwarten können, wie sich die anderen Maßnahmen auswirken, bevor man noch einmal nachlegt? Zehn Tage muss man erst mal abwarten, weil so lang ist die Inkubationszeit des Virus. Da hätte man ja im Prinzip erst noch mal eine Woche warten können, nachdem man am Wochenende schon die Maßnahmen beschlossen hat.
Laumann: Ja, gut. Dann hätten wir auf der anderen Seite, wenn der Virus sich jetzt sehr schnell verbreitet hätte und wir hätten Probleme im Gesundheitssystem gekriegt, dann hätten wir die Vorwürfe bekommen, warum habt ihr nicht eher gehandelt. Ich glaube, das was jetzt an Einschränkungen da ist, sind alles noch Einschränkungen, mit denen man umgehen kann.
Es sind Einschnitte, aber es sind keine Einschnitte, die nicht erträglich sind. Von daher, finde ich, ist das gerechtfertigt, was wir jetzt machen. Wir machen es ja in der großen Sorge, dass das Gesundheitssystem für die, die es dann brauchen, da ist. Wir wissen ja in Nordrhein-Westfalen, weil wir ja im Kreis Heinsberg mit der Situation sehr schwer zu kämpfen haben, dass Gott sei Dank 85 Prozent vielleicht der Leute, die es bekommen, gar keine große medizinische Unterstützung brauchen, weil die Krankheitsverläufe flach sind.
Aber es gibt dann doch einen kleineren Teil, der auch Intensivmedizin braucht, und da sind natürlich die Kapazitäten selbst in einem so gut ausgebauten Gesundheitssystem wie Nordrhein-Westfalen nicht unerschöpflich. Sie sind groß mit über 6000 Intensivbetten, aber sie sind letzten Endes auch nicht unerschöpflich.
"Wir werden in Nordrhein-Westfalen die Spielplätze nicht schließen"
May: Zur Lage beziehungsweise zu den Kapazitäten in Nordrhein-Westfalen möchte ich gleich noch mal mit Ihnen kommen. Sie haben gestern Vormittag auf der Pressekonferenz in Düsseldorf gesagt, Spielplätze in Nordrhein-Westfalen werden nicht geschlossen, das könne man Kindern in kleinen Wohnungen nicht antun. Am Nachmittag haben dann Bund und Länder beschlossen, Spielplätze doch zu schließen. Können Sie beschreiben, was in der Zeit dazwischen passiert ist?
Laumann: Das werden wir in Nordrhein-Westfalen nicht machen. Wir werden in Nordrhein-Westfalen die Spielplätze nicht schließen. Das ist auch gestern noch mal mit der Staatskanzlei abgestimmt worden, weil wir haben ja, wenn Sie sich einfach mal dieses große Ballungsgebiet Ruhrgebiet angucken, wenn Sie sich eine Stadt wie Köln angucken, wenn Sie sich die Lebenssituation einer Familie in einer kleinen Wohnung vorstellen, einer Alleinerziehenden – ich glaube, dass Eltern schon dafür sorgen können, dass ein Kind mal eine Stunde auf dem Spielplatz ist, ohne dass die Sozialkontakte so sind, dass wir uns da große Sorgen machen.
May: Wie werden Sie all diese Maßnahmen, die es ja dennoch gibt, kontrollieren? Wie werden Sie das überwachen?
Laumann: Ja, gut. Da sind natürlich die örtlichen Ordnungsämter zuständig. Das kann ich nicht vom Land aus. Ich glaube, dass die schon genau wissen, wo man hinschauen muss, und ich setze einfach auch darauf, dass es, ich sage mal, eine Grundeinstellung in der Gesellschaft gibt, dass man es auch nicht duldet, dass da großartig gegen verstoßen wird.
Schlicht und ergreifend: Wenn jetzt ein Sauna-Betrieb auf hätte – ich finde schon, dass es dann genug Leute geben wird, die das auch den Ordnungsbehörden sagen werden.
May: Ich habe es schon gesagt: Nordrhein-Westfalen ist das Bundesland mit den meisten Fällen. Sie haben Heinsberg schon angesprochen, weiterhin der Hotspot in Deutschland, was das Coronavirus angeht. Wie bewerten Sie insgesamt die Lage in Nordrhein-Westfalen, Stand jetzt?
Laumann: Bei uns ist die Lage, wenn man den Kreis Heinsberg rausnimmt, nicht anders wie in anderen Bundesländern. Wir haben natürlich zurzeit eine Steigerung auch der Infektionen wie überall und das sind ja auch die Gründe, warum man jetzt zu diesen Maßnahmen greift.
Wenn man sonst am Tag vor vier, fünf Tagen 100 Infektionen hatte, hat man heute 250 bis 300. Es kann natürlich auch ein Stück weit daran liegen, dass wir erheblich mehr testen, wie wir das vor Wochen getan haben, aber diese Entwicklung macht uns schon Sorgen. Sie ist immer noch auf einem niedrigen Niveau, aber desto mehr infiziert sind, desto mehr Neuinfektionen wird man wahrscheinlich auch bekommen.
May: Grundsätzlich wird das Krisenmanagement der Bundesregierung und auch des Landes insgesamt ganz positiv gesehen. Gestern an dieser Stelle allerdings hatten wir den Ihnen auch bekannten Professor Uwe Janssen im Interview, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Kardiologie im St.-Antonius-Hospital Eschweiler bei Aachen, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Er hat sich darüber beschwert, dass es den Ärztinnen und Ärzten immer noch an Schutzkleidung fehlt, und zwar sowohl in Krankenhäusern als auch in den Arztpraxen. Wir können das mal ganz kurz einspielen, Herr Laumann.
O-Ton Uwe Janssen: "Und das würde mir auch schon reichen, wenn mir einer sagen würde, wisst ihr, ihr kriegt es in zehn Tagen. Aber zu sagen, ich besorge eine Million Masken, wie das der Gesundheitsminister Laumann getan hat vor zehn Tagen, und dann hören wir und sehen wir nichts mehr davon, das lässt uns vor Ort, die wir ja tatsächlich uns um unsere Mitarbeiter verantwortlich kümmern müssen, die wir ja schützen müssen, und wenn wir die Mitarbeiter nicht mehr geschützt werden können, dann können wir die Patienten ja nicht mehr adäquat versorgen, und das ist schon ein ganz kritischer Punkt."
"Wir müssen natürlich aus dieser Krise lernen"
May: Professor Uwe Janssen gestern im Deutschlandfunk. Herr Laumann, ich kann mich auch noch an diese Ankündigung von Ihnen erinnern. Das war ja auch gestern Thema im Landtag, glaube ich. Wann kommen diese Masken?
Laumann: Ich kann es Ihnen auch nicht sagen. Ich will mich jetzt hier nicht auf den Tag festlegen. Ich habe es ja genauso wenig in der Hand wie jeder andere auch. Die gesamten Beschaffungsstellen der großen Krankenhäuser haben genau das gleiche Problem wie ich. Es ist sehr schwierig, auf den Märkten etwas zu besorgen. Wir haben für Notfälle in der letzten Woche eine Lieferung von 20.000 Masken bekommen. Damit versorgen wir vor allen Dingen zur Zeit natürlich auch Strukturen im Kreis Heinsberg, der ja besonders stark betroffen ist.
Ich gehe davon aus, dass wir diese Woche vielleicht 250.000, 280.000 weitere bekommen, und diese große Geschichte, die wir ja auch bestellt haben und teilweise ja auch bezahlt haben – wir leiden natürlich auch darunter, dass Produktionen durchaus auch im europäischen Ausland schlicht und ergreifend beschlagnahmt sind und dass man sie nicht über die Grenze bekommt.
May: Rächt sich jetzt, dass die Bundesregierung mit als eines der ersten Länder angekündigt hat, dass man einen Exportstopp für Schutzmasken zum Beispiel verhängt und dass jetzt die anderen Länder sagen, okay, dann exportieren wir auch nichts mehr?
Laumann: Ja, gut. Da fragt man sich immer, was war eher. Ich meine, wir hatten schon Beschlagnahmungen in anderen Ländern, wo wir es noch nicht gemacht haben und wo dann noch in erheblichem Umfang auch bei uns aus Deutschland ausgeführt worden ist, vor allen Dingen auch teilweise noch über den Handel.
Ich bin ziemlich sicher, dass sich die Situation auch dadurch, dass zum Beispiel China wieder produziert, entschärfen wird. Aber ich sage noch einmal: Wir müssen natürlich aus dieser Krise lernen. Das nützt mir zurzeit nichts. Aber wir werden natürlich auch in diesen Fragen eine andere Vorhaltung in den Krankenhäusern und auch im Land brauchen, wie wir das vorher hatten.
May: Herr Laumann, wir haben nur noch eine knappe Minute. Eine letzte Frage habe ich noch an Sie. Eine Prognose: Wie lange wird dieser Zustand anhalten?
Laumann: Das weiß ich nicht.
May: Können Sie nicht sagen?
Laumann: Schlicht und ergreifend kann Ihnen das kein Mensch sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.