Michael Köhler: Hervorgegangen aus den Düsseldorfer Konferenzen über Schönheit und Lebensfähigkeit der Städte haben sich einige Hochschullehrer für Städtebau, Architekten, Stadtbauräte, aber auch Stadtbaudirektoren und andere kritische Geister zusammengetan und auf Einladung des Kölner Baudezernenten Franz-Josef Höing jetzt eine Erklärung verfasst, eine sogenannte "Kölner Erklärung", die zur Reform der Lehre und der Innenstädte aufruft. Sie haben, kurz gesagt, dem Hässlichen in unseren Städten den Kampf angesagt und wollen eine andere Ausbildung der Städteplaner.
Ich habe mit dem Frankfurter Architekten Christoph Mäckler, eines der Mitglieder dieser Gruppe, gesprochen, der an der TU Dortmund Städtebau lehrt. In Köln hat er für eine Optikerkette ein Geschäftshaus beispielsweise gebaut, das in den Stil-Mischmasch einer Nachkriegseinkaufsstraße optische Beruhigung bringt. Büro-, Nutz-, Wohnbauten in Frankfurt und Berlin tragen seine Handschrift. Kurz: Was ist also diese Erklärung, ein Plädoyer für die Wirtlichkeit unserer Städte, oder mehr ein Ruf nach innen, also an die Stadtplaner und Stadtbauräte?
Christoph Mäckler: Es ist beides. Erst mal: Der städtische Raum ist ein öffentlicher Raum, den alle erleben, und jeder muss dafür eigentlich verantwortlich sein - zu aller erst die Politik, aber natürlich die Fachleute. Und heute ist es eben so, dass Architekten planen solitäre Einzelbauten in den Stadtraum hinein, statt sich irgendwie einzufügen. Stadtplaner planen die Organisation von Prozessen, machen Bürgerbeteiligungen, und Verkehrsplaner machen sowieso was sie wollen. Die führen ihre Trassen irgendwo quer durch die Stadt durch, ohne überhaupt darüber nachzudenken, dass es vielleicht auch einen konkreten städtischen Raum geben muss.
"Wir wollen keine Trabantenstädte mehr haben"
Und es ist ja schon spannend zu sehen, dass wir am liebsten in Städten wohnen, die 100 oder 200 Jahre alt sind. Wir leben am liebsten in den alten Stadtvierteln und nicht irgendwo vor der Stadt in irgendeiner Siedlung. Wenn Sie sich das mal jetzt überlegen, was das bedeutet: Das heißt einfach, dass wir als Planer und Architekten nicht in der Lage sind, Stadt zu bauen. Wir sind eines der reichsten Länder der Welt und wir scheinen, offenbar aus den verschiedensten Gründen, nicht in der Lage zu sein, eine Stadt zu bauen, in der wir uns wohlfühlen, wo wir gerne hingehen, wo wir gerne auf den Plätzen sitzen, wo wir gerne durch die Straßen fahren oder durch die Straßen gehen, wo wir gerne an Straßen wohnen und so weiter und so fort.
Köhler: Ist es so schlimm, wie Sie es charakterisieren?
Mäckler: Es ist so schlimm. Ich sage mal, wir wissen darum, wir sind schon einen Schritt weiter. Wir wissen, dass wir keine Trabantenstädte mehr haben wollen. Trotzdem gibt es immer wieder den politischen Ruf, jetzt auf Grundlage des Druckes, den wir haben, Wohnungen zu schaffen, lasst uns doch irgendwo auf die grüne Wiese wieder eine Siedlung stellen, und das darf eben nicht sein!
Köhler: Ich würde gerne in der Schlusskurve einen Punkt aufgreifen, der so ein bisschen runtergefallen ist, aber der es, glaube ich, in sich hat. Sie haben, glaube ich, eben ein Plädoyer gehalten für eine Zusammenschau der Disziplinen, oder für mehr Fachkenntnis der Experten, dass der Verkehrsplaner nicht alleine da sitzt, der Stadtbaurat nicht alleine da sitzt, der Bauträger nicht alleine da sitzt und seine Sachen durchzieht. Ein - ich sage es mal mit etwas aufgeblasenen Backen - Verlust an universalem Blick?
"Städteplaner werden noch nicht mal in Architektur ausgebildet"
Mäckler: Ja. Es gab früher die Stadtbaumeister. Vor 100 Jahren wurden unsere Städte von Stadtbaumeistern geplant und die wussten, wie Verkehr geht, und die wussten, wie man wohnt, und die wussten, wie man arbeitet. Das ist heute alles unterteilt worden in Einzeldisziplinen. Seit den 68er-Jahren bilden wir Planer aus, die noch nicht mal in der Architektur ausgebildet werden. Wie wollen Sie, bitte, einen Bebauungsplan machen, wenn Sie nicht wissen, wie ein Wohnhaus funktioniert?
Ein schönes Beispiel am Schluss: Champs-Élysées in Paris hat täglich bei zehn Spuren, bei zehn Fahrspuren 60.000 Autos, am Tag 60.000. Nehmen Sie irgendeine Straße in Deutschland, nehmen Sie die Nord-Süd-Fahrt in Essen, die hat gerade mal vier Spuren und es fahren auch nur 30.000 Autos, und dann gehen Sie mal gucken, dann sehen Sie, dass dort in Essen man nicht am Straßenrand sitzt, man nicht die Straße überqueren kann, während Sie am Champs-Élysées alle 50 Meter die Straße überqueren können und Ihren Kaffee am Straßenrand trinken, weil Sie sich dort wohlfühlen, weil es dort ein geordneter städtischer Raum ist, in dem Straße und Stadt, Verkehrsstraße und Wohn- und Geschäftsstadt einfach eine Einheit bilden.
Köhler: Professor Mäckler, ein letztes. Was wünschen Sie sich dann für die Zukunft? Andere Ausbildungsgänge, eine Gesamtschau des ganzheitlichen Problems Innenstadt?
"Wir brauchen gar nicht das Rad neu erfinden"
Mäckler: Wir haben fünf Punkte in unserer Kölner Erklärung aufgezählt, und ich will mal einen Punkt oder zwei Punkte herausnehmen. Der eine Punkt ist: Städtebau erfordert architektonisches Grundwissen. Wir müssen wissen, wie Architektur funktioniert, sonst können wir keine Städte bauen. Gleichzeitig dürfen Architekten nicht machen was sie wollen, sondern sie haben sich mit ihren Gebäuden in die Stadt einzufügen. Das Gleiche gilt übrigens auch für Bauherrn.
Das zweite, was ich heraussuchen will, ist die Stadtbaugeschichte. Wir brauchen gar nicht das Rad neu erfinden. Schauen wir doch einfach, wie die alten Städte entstanden sind, und versuchen wir, dieses in unsere gesellschaftlichen Systeme einzupflanzen. Das geht wunderbar. Wir müssen nicht historisch bauen, wir müssen nicht irgendwelche Städte des 19. Jahrhunderts bauen, aber wir müssen den Typus verstehen. Wir müssen den Typus eines Stadthauses verstehen und ihn in unsere Zeit implantieren. Dann werden wir auch wieder eine vernünftige Stadt erhalten, die lebenswert ist und in der man sich wohlfühlt, in der man gerne wohnt.
Köhler: Das sagt der Frankfurter Architekt Christoph Mäckler über den Kampf gegen das Hässliche und die Stadtplanung der Zukunft.
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