Dirk Müller: Auch in dieser Nacht hat die französische Luftwaffe wieder Angriffe geflogen gegen die Stellungen der Islamisten in Syrien. Was bedeutet das für Deutschland? Wenn die Attacken in Paris auch ein Angriff auf uns alle waren im Westen, wie zahlreiche Politiker immer wieder betonen, dann war das demnach auch ein Angriff auf Deutschland, auf unsere Sicherheit. Mit welchen Folgen? Darüber sprechen wir jetzt mit Ex-General Klaus Naumann, vormals Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Guten Morgen!
Klaus Naumann: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Herr Naumann, sind wir jetzt alle im Krieg gegen den IS?
Naumann: Ich zögere ein bisschen mit dem Wort Krieg, Krieg zu sagen, weil das ja ein völkerrechtlicher Begriff ist. Aber es hat ohne Zweifel ein Angriff auch auf uns stattgefunden und Frankreich ist von außen angegriffen worden. Das stellt nach allen Kriterien einen Fall dar, in dem wir Beistand prüfen müssen. Das gilt sowohl für die NATO wie auch für die Europäische Union, deren Verteidigungsminister sich ja heute treffen, und in der Europäischen Union gilt es ja auch, Beistand zu leisten. Artikel sieben des Maastricht-Vertrags ist da sehr eindeutig.
"Gebete, Lichterketten und Ähnliches helfen gegen diese Verbrecher nichts"
Müller: Warum ist das für uns in Deutschland immer so schwer, über Krieg zu reden, festzustellen, ist es Krieg ja oder nein? In Afghanistan hatten wir auch viele, viele Jahre diese Schwierigkeiten, bis dann ein Verteidigungsminister gesagt hat - Guttenberg war das damals -, wir sind im Krieg. Sie sagen hier, völkerrechtlich ist das klar definiert. Also für Sie kein Krieg?
Naumann: Ja ich bin der Meinung des Bundespräsidenten, der ja in seiner Rede zum Volkstrauertag sehr eindeutig das Wort von einem Krieg anderer Art verwandt hat. Das ist nicht mehr der klassische Krieg eines Nationalstaates gegen einen Nationalstaat. Das ist die Definition des Völkerrechts. Aber wir sind in einem Krieg, den eine terroristische Organisation, die sich ja sogar Staat nennt, gegen uns alle vorzubringen versucht, und hier müssen wir uns angemessen wehren. Dieses Mantra, das man in Deutschland immer wieder hört, es gibt keine militärische Lösung, ist in meinen Augen schlicht dummes Zeug. Den IS wird man nicht mit Verhandlungen besiegen; den IS muss man militärisch besiegen.
Müller: Mit der Hilfe Deutschlands?
Naumann: Das kann auch für Deutschland ein Hilfeersuchen bedeuten. Das muss unsere Politik entscheiden und muss sie prüfen. Ich denke schon, dass man sich klar darüber sein muss: Wenn man sich nicht wehrt, dann lädt man eine Organisation wie den IS regelrecht ein, den Kampf auch gegen uns auf unserem Gebiet zu suchen.
Müller: Das heißt, bislang haben wir immer so getan hier in Deutschland, als geht uns das nichts an.
Naumann: Das ist schlicht Schwachsinn. Diese Äußerungen, die ich hier auch immer wieder höre, es gibt keine militärische Lösung, das ist das Pfeifen im Wald, weil man Angst vor einer deutschen Beteiligung hat. Wir müssen prüfen, was wir tun können. Wir sind nicht in einer Situation, wo eine Forderung für uns vorliegt, aber wir müssen sicherlich an der Seite unserer französischen Partner stehen und, wie gestern irgendjemand in irgendeiner der zahllosen, nicht immer von Klugheit getragenen Sendungen gesagt hat, Gebete, Lichterketten und Ähnliches helfen gegen diese Verbrecher nichts.
"Das Gerede, es gäbe keine militärische Lösung, ist etwas fragwürdig"
Müller: Es helfen nur Bomben und Bodentruppen?
Naumann: Bodentruppen - da bin ich nun wirklich sehr dagegen. Ich bin viel in dieser Gegend herumgereist und ich weiß, welchen schlechten Namen die NATO in der arabisch-islamischen Welt hat. Ich glaube, es wäre ein falsches Signal, wenn wir nun von einem NATO-Einsatz in dieser Gegend reden würden. Es wäre auch falsch, wenn wir westliche Truppen dort hinschicken würden. Da käme sofort die Propagandamühle von den Kreuzrittern wieder ins Gerede. Das dürfen wir den Leuten des IS nicht bieten. Die warten ja darauf, dass wir dort hingehen, damit sie ihre Propagandaaktionen wieder starten können. Die Bodentruppen müssen die Menschen in der Region stellen. Es ist ihr Problem. Es ist ein Stellvertreterkrieg, der in der Region ausgefochten wird, auch ein Krieg zwischen Sunna und Schia. Da gehören wir nicht hin. Wir können ihnen militärisch helfen, mit Luftangriffen, mit Bewaffnungshilfe, was wir zum Teil ja tun. Deswegen ist ja auch das Gerede, es gäbe keine militärische Lösung, aus deutschem Mund schlicht etwas fragwürdig, denn wir leisten ja militärische Hilfe für die Peschmerga. Das sind die richtigen Schritte. Dann muss man überlegen, was man zusätzlich tun kann und wie man das verstärken kann, und das sind die Fragen, die jetzt für unsere Politik gestellt werden. Ich glaube, heute treffen sich die Verteidigungsminister der EU, und ich wäre sehr überrascht, wenn Frankreich hier nicht klar sagen würde, wir brauchen eure Hilfe.
Müller: Inwieweit ist das aber so eine billige Lösung - ich meine das nicht finanziell - zu sagen, wir helfen den Peschmerga? Da sind sich auch nicht alle sicher, ob das die richtige Lösung ist, ob das die richtigen Kräfte sind, gerade auch mit Blick auf deren Rolle in den vergangenen Monaten, auch mit deren Rolle mit Blick auf die G7. Wir liefern Waffen und sind fein raus. Das sagen einige, die mehr fordern. Sie sagen jetzt, Bodentruppen ja, aber die müssen aus der Region kommen. Warum sind denn Luftschläge von oben, die ja nun auch verheerend zerstören, besser oder legitimer?
Naumann: Legitim ist etwas nur, wenn es entweder im Rahmen der Selbstverteidigung erfolgt, oder wenn es durch die Vereinten Nationen autorisiert wird. Soweit sind wir noch nicht. Ich weiß nicht, ob Frankreich eine Sicherheitsratsresolution einbringen wird. Ich nehme an, das wird passieren. Deswegen ist ja auch Außenminister Kerry heute in Paris.
"Wir sind aufgefordert, an ihrer Seite zu stehen"
Müller: Hat er offenbar angekündigt, der französische Präsident.
Naumann: Und wenn das passiert ist, wenn der Sicherheitsrat dem zustimmt, was anzunehmen ist, weil auch der ewige Blockierer Russland in diesem Fall sich angegriffen fühlt - der Terrorismus kann ja auch für Russland eine Gefahr darstellen -, dann haben wir eine neue Rechtsgrundlage und dann werden wir nach der Charta der Vereinten Nationen alle prüfen müssen, ob wir einer Resolution des Sicherheitsrats entsprechen und etwas tun, oder nicht tun. Das ist wiederum die freie politische Entscheidung einer jeden Regierung. Niemand ist gezwungen zu handeln.
Müller: Herr Naumann, der erste Punkt, den sie genannt haben: Könnte es auch Selbstverteidigung sein?
Naumann: Wenn wir in der Situation der Franzosen sind und es eindeutig ist, dass ein Angriff von außen, in diesem Fall aus Belgien gesteuert gegen uns vorgetragen wird,...
Müller: Aus Belgien und Syrien, wie auch immer.
Naumann: Ja. - ..., dann ist das für mich Selbstverteidigung. Ich bin kein Jurist, aber mein Verständnis als Soldat sagt: Wenn ein Angriff auf mein Staatsgebiet, auf meine Bürger von außen erfolgt, dann habe ich das Recht, mich dagegen zu wehren.
Müller: Und ein Angriff auf Frankreich ist ein Angriff auf Deutschland?
Naumann: So sehe ich unsere Verpflichtung gegenüber unserem engsten europäischen Bündnispartner. Ich meine, wir sind aufgefordert, an ihrer Seite zu stehen.
Müller: Und die NATO?
Naumann: Die NATO muss prüfen, ob sie hier etwas tun kann. Ich glaube nicht, dass die Franzosen die NATO um die Erklärung des Bündnisfalls ersuchen werden. Das würde nämlich auch bedeuten, dass die Operation durch die NATO geführt wird, und das ist etwas, was die Franzosen nicht wollen.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Klaus Naumann, Ex-General, vormals Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Vielen Dank für das Gespräch.
Naumann: Bitte sehr, Herr Müller.
Müller: Ihnen noch einen schönen Tag, Herr Naumann.
Naumann: Danke, Ihnen auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.