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Kampf gegen Desinformation
dpa arbeitet für Facebook - und will trotzdem kritisch berichten

Die US-Wahl gilt auch als Beispiel für die Macht sozialer Netzwerke – wenn sie Falschnachrichten und Desinformation ignorieren. Vor der Europawahl hat Facebook nun vorgesorgt. Zur neuen Strategie gehört die Hilfe der dpa. Einen Interessenkonflikt sieht die Nachrichtenagentur nicht.

Von Daniel Bouhs |
Das Gebäude der dpa-Zentralredaktion in Berlin
Die dpa wird - nach Correctiv - zum zweiten Faktenchecker von Facebook in Deutschland. (picture alliance / Wolfram Steinberg)
Tessa Lyons ist bei Facebook zuständig für den Newsfeed, also dafür, nach welchen Regeln den Nutzern die Posts ihrer Kontakte angezeigt werden. Die Managerin aus der Konzernzentrale in Kalifornien kümmert sich darum, dass Nutzerinnen und Nutzern weder Hass entgegenschlägt noch Falschnachrichten. Das hat lange eher mäßig geklappt. Lyons räumt ein, dass Facebook bei den US-Wahlen die Bedrohungslage unterschätzt habe – für sie ein Fehler.
Bei einem Besuch im Berliner Büro von Facebook sagt Lyons, jetzt, bei der Europawahl, sei Facebook aber ganz anders vorbereitet: "Wir sind viel weiter, als wir es vor zwei Jahren waren. Für die Wahlen des Europaparlaments tun wir noch mal mehr", sagt die Managerin und kündigt eine spezielle Sicherheitszentrale für Europa in Dublin an. "Wir setzen diese Zentrale gerade ein – mit Datenexperten, Wissenschaftlern, Ingenieuren, Rechercheuren. Sie werden Gefahren identifizieren und handeln. Nicht nur innerhalb von Facebook. Sie werden auch mit Regierungsreinrichtungen zusammenarbeiten, etwa dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik."
Insgesamt 43 Medienorganisationen sind "Partner"
Der Kontakt zu Sicherheitseinrichtungen ist für Facebook ein Instrument im Kampf gegen Desinformation, genauso wie der Kontakt zu Medien. Dafür kauft sich Facebook Expertise ein: 43 Medienorganisationen checken heute für Facebook Inhalte – Facebook nennt sie "Partner".
Nach der amerikanischen Associated Press und der Agence France Press wird nun auch die Deutsche Presseagentur Faktenchecker für den Internet-Konzern. Das macht dpa in erster Linie, um Geld zu verdienen. "Einerseits ist das natürlich ein Business, das wir betreiben und auch ausbauen wollen", sagt Agentursprecher Jens Petersen. Andererseits spüre auch dpa eine gewisse gesellschaftliche Verantwortung und wolle sich dort engagieren, wo viele Nutzerinnen und Nutzer seien.
"Wir glauben, dass es ganz, ganz wichtig ist, dass unabhängige Faktenchecker Behauptungen oder Falschinformationen unter die Lupe nehmen und dabei helfen und dabei mitarbeiten, dass die Verbreitung dieser Falschinformationen nach Möglichkeit eingedämmt wird."
dpa betont "Unabhängigkeit" gegenüber Facebook
Wie viel Facebook seinen Dienstleistern bezahlt, behalten der Internet-Konzern und seine Faktenchecker für sich. Dem Vernehmen nach geht dpa aber davon aus, dass drei Mitarbeiter in Vollzeit mit Faktenchecks beschäftigt sein werden. Die Agentur werde ihrem Sprecher zufolge "genauso unabhängig" über Facebook schreiben wie bisher. Immerhin beschäftige dpa auch Medienredakteure, die – "unabhängig und kritisch" – über Verlage und Rundfunkanstalten berichteten, die zugleich Kunden seien.
In Deutschland hatte das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv vor bald zwei Jahren mit dem Faktencheck für Facebook begonnen. Die Bedingung von Correctiv war: freie Hand bei der Themenwahl. So läuft es jetzt auch zwischen Facebook und dpa, sagt Agentursprecher Petersen. "Wir haben sozusagen Zugriff auf eine, ich nenne das mal: Datenpool bei Facebook, in dem verdächtige Informationen landen. Das schauen wir uns an und können dann eben selbst entscheiden, welche Factchecks wir machen."
Kampf gegen Desinformation: Katz-und-Maus-Spiel
Markiert ein Faktenchecker einen verlinkten Beitrag auf Facebook als Falschnachricht, benachrichtigt Facebook den Autor des markierten Eintrags. Der kann Widerspruch einlegen. In keinem Fall aber löscht Facebook erkannte Falschnachrichten. Der Algorithmus sorgt allerdings dafür, dass Falschnachrichten kaum mehr angezeigt werden, erklärt Facebook-Managerin Lyons. "Wenn ein Artikel erst mal von einem Faktenchecker als falsch markiert wurde, wird er bis zu 80 Prozent seltener angezeigt als davor. Und: Die Markierung des Faktencheckers hat nicht nur Auswirkungen auf diesen einen Eintrag: Wir markieren damit auch alle anderen Seiten, die diesen Artikel verbreitet haben."
Dazu kommt künstliche Intelligenz, also Programme, die selbständig lernen. Facebook setzt sie einerseits ein, um immer neue Einträge zu erkennen, die Falschnachrichten sein könnten – neues Material für die Datenbank, an der die beauftragten Faktenchecker hängen. Andererseits identifiziert Facebook automatisiert Profile, die vermutlich Fakes sind – und so vor allem mögliche Absender von Desinformation. "Wir löschen Millionen Fake-Accounts jeden Tag. Im dritten Quartal 2018 – hier wurde zuletzt ein Transparenzbericht vorgelegt – haben wir 750 Millionen Fake-Accounts gelöscht, allein in diesen drei Monaten. Weltweit."
Vieles spricht also dafür, dass Facebook tatsächlich etwas unternimmt, damit dunkle Kräfte keinen allzu großen Einfluss mehr haben auf Wahlen – nicht zuletzt mit der Hilfe klassischer Medien wie nun auch dpa. Doch genauso wie Facebook etwas tut, dürften sich auch die Angreifer bewegen. Der Kampf gegen Desinformation: ein Katz-und-Maus-Spiel.