Jetzt muss er schnell sein. Shadi Mousa führt eine Kette zwischen den Gitterstäben des Eisentors hindurch, zieht den Schlüssel vom Vorhängeschloss ab. Geschafft. Der Eingang zur Dar-as-Salam-Moschee ist erstmal verriegelt. Maximal 150 Besucher dürfen in Corona-Zeiten zum Freitagsgebet herein. Ausnahmen gibt es nicht. Auch nicht im Ramadan.
"Wir sagen, bitte geht weg, aber wir können nicht so hart gegen Leute, sonst sind die aggressiv nachher," erklärt ein Ordner. "Okay, das ist normal. Sie zeigen ja Verständnis. Viele gehen auch wieder", meint Shadi. Einige der Männer allerdings bleiben trotzig vor dem Tor stehen.
Milad Karimi über islamische Spiritualität und Corona - "Vor dem Virus sind alle gleich"
Der islamische Religionsphilosoph Milad Karimi sieht in der Coronakrise ein "Zeichen Gottes". Die "konsumorientierte, umweltverschmutzende Weise zu leben darf so nicht weitergehen", sagte Karimi im Dlf. Die Pandemie biete auch die Chance, Fehler in der Flüchtlingspolitik zu korrigieren.
Der islamische Religionsphilosoph Milad Karimi sieht in der Coronakrise ein "Zeichen Gottes". Die "konsumorientierte, umweltverschmutzende Weise zu leben darf so nicht weitergehen", sagte Karimi im Dlf. Die Pandemie biete auch die Chance, Fehler in der Flüchtlingspolitik zu korrigieren.
"Natürlich besorgt uns das", erklärt Shadi. "Weil man schon verstärkt unter der Lupe ist. Wir handeln schon sehr verantwortungsvoll, aber da ist das Gefühl, dass alle darauf gucken, wie verhalten sich die Moscheen, wie verhalten sich die Muslime in dieser Zeit."
Zwischen Stress und Zuversicht
Shadi Mousa ist sichtlich gestresst. Für Friedrich Kiesinger dagegen ist der Ansturm vor der Dar-as-Salam-Moschee vor allem ein gutes Zeichen. Der Psychologe und Geschäftsführer der Albatros GmbH ist verantwortlich für die etwa 15 Ärzte und Ärztinnen, die heute im Moscheehof kostenlose Coronatests anbieten.
Wer es an Shadi Mousa vorbei durchs Eingangstor geschafft hat, wird entlang von Pfeilen zu einem Partyzelt gelotst. Die Mediziner darin kommen aus Ägypten, Syrien, Afghanistan, Usbekistan, Sudan, Irak, Türkei und anderen Ländern. Normalerweise arbeiten sie in den Quarantäneeinrichtungen für Geflüchtete, die Friedrich Kiesinger mit Albatros in Berlin betreibt. In diesen Tagen ist ihre Expertise wertvoller denn je.
"Misstrauen gegenüber Impfungen"
"Es gibt ja gerade in bestimmten Kulturen sehr viel Misstrauen gegenüber Impfungen, gegenüber auch dem Gesundheitssystem", erklärt Friedrich Kiesinger. "Und dass die Menschen dann in ihrer Sprache von Menschen aus ihrem Kulturkreis auch mit aufgeklärt werden und nicht nur vom klassischen deutschen Arzt. Das ist der Kern der Sache."
Damit es dazu überhaupt kommt, setzt Kiesinger auch auf den Imam der Dar-as-Salam-Moschee, Tahar Sabri. Seine Autorität soll dafür sorgen, dass sich möglichst viele Besucher vor dem Gebet ins Testzelt verirren. Als einer der ersten lässt er sich selbst auf einem der weißen Plastikstühle nieder.
"Das ist sehr notwendig", sagt Tahar Sabri. "Wenn man sieht, diese Querdenker, diese Verschwörungstheoretiker und alles, die arbeiten richtig den ganzen Tag im Netz, dann brauchen wir sowas. Diese Verschwörungstheoretiker kommen aber auch aus aller Herrenländer, auf Arabisch und alles. Deswegen brauchen wir diese Aktionen, um den Leuten zu sagen, die Lage ist ernst. Es ist kein Spaß und wir zeigen uns als Verantwortliche in der ersten Reihe."
Misstrauen gegen Staat und Behörden
Der Imam weiß, dass die Skepsis auch in Teilen seiner Gemeinde groß ist. Viele kürzlich nach Deutschland Eingewanderte, aber auch solche, die sich von der Mehrheitsgesellschaft ausgeschlossen fühlen, misstrauen Staat und Behörden von Grund auf. Für Verschwörungstheoretiker sind sie damit leichte Beute. In seinen Predigten, in persönlichen Gesprächen und arabischsprachigen Aufklärungsvideos im Internet versucht Tahar Sabri seit Monaten dagegen anzukommen. Und tatsächlich steige die Akzeptanz der Maßnahmen zusehends.
"Mit der Zeit erkennen die Leute, dass ihre Bekannten, ihr Umfeld, oder eine Tante oder ich weiß nicht, krank von Corona ist. Die sehen auch die viele Toten. Und Wir machen immer wieder Totengebete hier bei uns. Wenn man jetzt zum Friedhof geht, dann sieht man, wie viele Gräber in dem muslimischen Bereich frisch sind. Also, man kann nicht sagen: Nein, nein, das gibt’s nicht. Das ist Realität."
Ein schneller Nasenabstrich, dann verschwindet Imam Sabri mit wehendem weißen Mantel in der Moschee. Andere Getestete gehen mit ihrer Wartnummer in ein zweites Zelt.
Politik unter Zugzwang
Eine junge Ärztin nutzt die 15 Minuten bis zum Ergebnis, um Fragen zu beantworten und mehrsprachiges Infomaterial zu verteilen. Macht Impfen unfruchtbar? Nein. Verträgt es sich mit dem Fasten im Ramadan? Ja. Zain al-Abidin hört interessiert zur.
"Bis jetzt habe ich keinen Test gemacht", erklärt er. "Das war mein erster Test heute. Habe ich gedacht, ich mach das jetzt mal, bevor ich in die Moschee reingehe."
Katarina Niewiedzial steht in einiger Entfernung und nickt zufrieden. Die Integrationsbeauftragte von Berlin hat das Projekt gemeinsam mit fünf Berliner Moscheen und dem Gesundheitsträger Albatros initiiert und 1.000 Tests zur Verfügung gestellt.
"Wenn die ersten Zahlen kommen, die unsere Impfstatistik veröffentlichen, und daraus deutlich wird, dass Menschen mit Migrationsgeschichten sich möglicherweise nicht so gern impfen lassen wie andere, dann werden wir schon auch gefragt, was wir unternommen haben, um diese Menschen zu erreichen", erklärt sie. "Und diesen Vorwurf möchte ich vermeiden, indem ich jetzt schon aktiv werde und mit solchen Ideen gucke, dass ich die Menschen erreiche. Wir sind eine wirklich plurale Stadt mit sehr unterschiedlichen Menschen, unterschiedlichen Sprachen, unterschiedlichen Milieus. Wir können nicht immer von uns ausgehen, und sagen, wenn wir ein Plakat hinstellen, dann reicht es."
Probelauf bestanden
Ein Arzt hält das Ergebnis ihres Tests hin. Negativ. Auch Zain al-Abidin kann beruhigt zum Gebet gehen. Ein anderer Mann verlässt das Zelt laut schimpfend. Er hatte auf ein Zertifikat gehofft, um damit nach dem Gebet auch Geschäfte besuchen zu können. Doch die Tests vor der Moschee dienen allein dem Sicherheitsgefühl der Gläubigen und ihrer Aufklärung.
"Ich merke doch auch immer, dass es einfach auch Unwissenheit gibt", so Katarina Niewiedzial. "Aber ich hab doch gar keine Symptome – warum muss ich mich testen lassen? Das sind so Kleinigkeiten, an denen man merkt, ja klar, warum sollen alle Menschen immer so gut informiert sein wie wir es vielleicht sind? Deswegen ist dieser Informationsaustausch so wichtig, auch diese, ich finde schon Autorität, die diese Ärzte ausstrahlen."
Und die haben jetzt eine kleine Pause. Das Freitagsgebet beginnt. Der Innenhof der Dar-as-Salam-Moschee leert sich. Als Shadi Mousa kurz darauf auch die Eisenkette am Tor entfernt, stimmen alle Beteiligten überein: Die Testaktion ist ein voller Erfolg – und muss ausgebaut werden. In einem nächsten Schritt sollen Freiwillige aus unterschiedlichen Gemeinden von Albatros-Ärzten geschult werden um die Tests zukünftig selbst an möglichst vielen Berliner Moscheen durchführen zu können.