Es ist in diesen Zeiten nicht ungewöhnlich, dass eine Fußballmannschaft auf dem Platz auf die Knie geht, um zu protestieren – was aber neu ist, ist, dass die Mannschaft danach geschlossen das Feld verlässt – und das Spiel aufgibt.
Die Spieler der San Diego Loyal haben damit auch bewusst die letzte Chance auf einen Playoff-Platz in der zweiten amerikanischen Liga, der United Soccer League, verspielt – obwohl sie bereits mit 3:1 gegen Phoenix Rising geführt haben.
Homophobe Beleidigung gegen Mitspieler
Der Grund: Einer ihrer Mitspieler, Collin Martin, wurde kurz vor der Halbzeit von seinem Gegenspieler Junior Flemmings homophob beleidigt – Martin ist einer der wenigen Spieler weltweit, der sich seit 2018 offen zu seiner Homosexualität bekennt. Dieser Vorfall sei der erste seit seinem Coming Out gewesen, erzählt er dem Fernsehsender ABC:
"Ich war ziemlich geschockt. Es war ein Austausch, der zuerst mit schlechter Sprache begonnen hat, was normal ist und passiert. Aber es ist dann irgendwann eskaliert und hat eine Grenze überschritten und ich bin einfach als geouteter Spieler an einem Punkt in meiner Karriere, an dem ich es nicht zulassen kann, homophob beleidigt zu werden. Deshalb bin ich auch stolz auf mich, das dem Schiedsrichter gesagt zu haben und somit ein Zeichen gesetzt zu haben."
Mannschaft der San Diego Loyal haben ein Zeichen gesetzt
Der Schiedsrichter kennt aber den jamaikanischen Ausdruck "Batty Boy", zu Deutsch "Schwuchtel" nicht – und sanktioniert Flemmings daher nicht. Weil sich auch Phoenix‘ Trainer Rick Schantz weigert, Flemmings vom Platz zu nehmen, gibt es für San Diegos Trainer Landon Donovan nur eine Option:
"Man kann nicht von sich behaupten, gewisse Werte zu vertreten, wenn man nicht dann auch handelt, wenn es drauf ankommt. Wir hätten einfach die andere Wange hinhalten und weitermachen können, aber unsere Jungs wollten das nicht tun. Sie wollten sich für das einsetzen, was richtig ist und ihren Kameraden unterstützen. Wenn es einmal passiert, ist es die Schuld von denjenigem, der es getan hat. Wenn es nochmal passiert, ist es unsere Schuld. Wir mussten ein deutliches Zeichen setzen, dass wir dieses Verhalten nicht akzeptieren."
Homophobe Sprache diskriminiert
Es ist ein Präzedenzfall im Profi-Fußball – noch nie hat eine Mannschaft nach einem homophoben Angriff ein so deutliches Zeichen gesetzt. Flemmings bestreitet in einem Statement auf Twitter, den Ausdruck verwendet zu haben – er stehe voll und ganz hinter der LGBTQ-Community. Das kann durchaus sein, sagt Dr. Birgit Braumüller von der Deutschen Sporthochschule Köln, denn:
"Homophobe Sprache wird oft wahrgenommen als losgelöst von der sexuellen Orientierung und wird verwendet als Synonym für schlecht, abwertend, etc."
Braumüller hat erst im letzten Jahr an einer europaweiten Studie über Homophobie im Sport mitgewirkt – in der über 80 Prozent aller trans- und homosexuellen Teilnehmenden angegeben haben, alleine im letzten Jahr mit homo- und transphober Sprache konfrontiert worden zu sein.
"Fakt ist aber, dass homophobe Sprache bei homosexuellen Personen als diskriminierend wahrgenommen wird. Das heißt, diese Vereinfachung von den Personen, die homophobe Sprache nutzen, kommt sozusagen bei den Betroffenen nicht an. Also die nehmen das schon als diskriminierend war."
Mentale Belastung für Homosexuelle enorm
Das weiß auch Marcus Urban. Anfang der 90er-Jahre steht er beim Zweitligisten Rot Weiß Erfurt unter Vertrag – bis er mit gerade einmal 22 Jahren seine vielversprechende Karriere beendet. Der Druck, als schwuler Mann Fußball zu spielen, war zu hoch – die fast tägliche Konfrontation mit homophober Sprache nicht zu ertragen.
"Sie wertet ab, sie belastet die Stimmung, wenn man das jeden Tag erlebt – und zum Beispiel in der Situation ist, sich nicht wehren zu können, weil es keinen Schutz gibt und man alleine damit ist und auch erpressbar ist, weil man sich nicht outen darf, wie zum Beispiel in der Fußballwelt."
Er könne Spieler verstehen, die sich auch heute noch nicht trauen, sich zu outen. Die mentale Belastung sei enorm – und in Deutschland gibt es bislang nur wenige Anlaufstellen dafür.
Spielergewerkschaft VDV will helfen
Die Spielergewerkschaft VDV möchte in Zukunft eine dieser Anlaufstellen sein – Vize-Präsident Carsten Ramelow war selbst Nationalspieler und weiß, wie toxisch die Atmosphäre für einen schwulen Spieler im Fußball noch sein kann. Auch deshalb möchte er mit seiner Gewerkschaft und der Initiative "Mental gestärkt" alles dafür tun, Spieler auf dem Weg zum Coming Out zu unterstützen.
"Wenn man in diese Richtung tendiert, dann muss man natürlich auch eine verlässliche Quelle haben, mit der man sich dann austauschen kann, wie man dieses Thema angehen kann. Und natürlich sind wir da jederzeit bereit und sind auch da der Ansprechpartner, weil wir da wirklich auch ein offenes Ohr haben und würden da auch weitervermitteln, wie zu "Mental gestärkt", die natürlich in dem Bereich wirklich gut aufgestellt sind und psychologisch unterstützen können. Und ich glaube, vor allem der Bereich ist dabei natürlich unheimlich wichtig."
Die VDV bietet inzwischen auch Präventionsworkshops an, um Spieler im Umgang mit Rassismus, Homophobie und anderen Diskriminierungsformen zu sensibilisieren. Für Marcus Urban kann das aber nur ein erster Schritt sein.
"In dem Fall, da Sexualität ein unsichtbares Merkmal ist – sie können es den Leuten eben nicht ansehen, zumal wenn sie sich verstecken - ist es so, dass man noch aktiver und noch direkter etwas sagen und diese Spieler unterstützen muss: ‚Wir wollen, dass du authentisch sein kannst und dass du hier offen leben kannst und zeigen kannst, wen du liebst und wie du liebst.‘"
Antidiskriminierungstraining als Maßnahme
Die United Soccer League in den USA hat nach dem Vorfall letzte Woche reagiert. Junior Flemmings wurde für sechs Spiele gesperrt und von seinem Verein beurlaubt. Außerdem sind ab der kommenden Saison alle Spieler und Betreuenden dazu verpflichtet, an einem Antidiskriminierungstraining teilzunehmen. Ein wichtiger Schritt, meint auch Dr. Birgit Braumüller.
"Das haben wir auch in unserem Projekt in den Interviews mit Verantwortlichen, mit Betroffenen kommt diese Antidiskriminierungsarbeit ganz häufig als zentrale Maßnahme vor. Das heißt, man muss alle Beteiligten im Sportsystem schulen, man muss das Thema Antidiskriminierung in den Ausbildungsstrukturen des Sports verankern und wirklich verpflichtend machen für alle Beteiligten. Also das finde ich einen sehr klugen Schritt, an dem sich andere Ligen und Verbände auf jeden Fall auch orientieren sollten."