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Kampf gegen IS
"Das ist organisierte Trostlosigkeit"

Kobane werde ohne Bodentruppen in die Hände des IS fallen, sagte der Politologe Christian Hacke im DLF. Das könne ein negativer Wendepunkt werden und für eine Verschärfung der Konfrontation sorgen. Im Kampf gegen den IS seien nicht zuerst die Europäer gefragt, so Hacke, sondern die Amerikaner, die hier in der Verantwortung stünden, sowie die Schiiten.

Christian Hacke im Gepräch mit Tobias Armbrüster |
    Die Grenze bei Kobane: türkische Panzer und Schaulustige
    Die Panzer der Türkei stehen in Sichtweite und mischen sich nicht ein. (picture-alliance / dpa / Tolga Bozoglu)
    Tobias Armbrüster: Das NATO-Mitglied Türkei steht in diesen Tagen im Mittelpunkt der internationalen Politik, vor allem der internationalen Krisenpolitik, und zwar deshalb, weil die Regierung in Ankara derzeit zuguckt, wie sich im syrischen Kobane an der Ostgrenze zur Türkei ein Drama abspielt. Die Kurden in der Stadt wehren sich mit letzter Kraft gegen die vorrückenden Milizen des Islamischen Staates und gestern Abend ist die türkische Luftwaffe in Aktion getreten, allerdings nicht gegen den Islamischen Staat, sondern sie hat Angriffe geflogen gegen die kurdische PKK, und zwar in der Türkei selbst.
    Das türkische Vorgehen gegen die PKK, das wird - wir haben es gehört - mit Sicherheit heute auch in Washington sehr genau verfolgt werden. Dort treffen sich nämlich heute erneut Vertreter der Allianz, die seit Wochen die Stellungen der IS in Syrien und im Irak bombardiert. Dort wird dann auch beraten über das weitere Vorgehen in diesem Kampf.
    Am Telefon ist nun der Bonner Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Christian Hacke. Schönen guten Tag, Professor Hacke.
    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Armbrüster.
    "Dieser Präsident konzentriert sich ganz auf die eigene Machterhaltung"
    Armbrüster: Herr Hacke, die Türkei greift jetzt ein, aber sie bombardiert nicht den IS, sondern die PKK. Macht das Sinn?
    Hacke: Na ja, das macht aus der Sicht derjenigen, die jetzt den Kampf beobachten, gegen ISIS natürlich keinen Sinn. Aber wir sehen, dass die Türkei und vor allem diese Regierung, dieser Präsident sich ganz auf die eigene Machterhaltung konzentriert und hier natürlich die kurdischen Kräfte im eigenen Land, die PKK schwächen möchte, und das Paradoxe ist ja, dass die PKK mit zu den stärksten Kräften, militärischen Kräften gehört, die sich jetzt ja gegen die ISIS stemmen.
    "ISIS ist eine ganz andere sunnitisch-radikale Gruppierung"
    Armbrüster: Wir hören jetzt immer von dieser Interessenabwägung PKK gegen IS, die da in der Türkei, in der türkischen Regierung stattfindet. Kann man diese beiden Gruppierungen überhaupt vergleichen?
    Hacke: Nein, natürlich nicht. ISIS ist eine ganz andere sunnitisch-radikale Gruppierung. Das wissen wir. Und die PKK ist natürlich mit den kurdischen Kräften auf der anderen Seite, den Peschmerga, natürlich daran interessiert, langfristig unter Umständen, wenn die Lage weiter erodiert, auch die eigenen Interessen durchzusetzen mit Blick auf einen unabhängigen Kurden-Staat. Das wiederum ist wahrscheinlich das Hauptmotiv jetzt der Türkei, um die PKK im eigenen Land zu schwächen, um deutlich zu machen, ein Signal zu setzen, dass sie eine Auflösung der gegenwärtigen Staatenordnung - und das würde das ja mit beinhalten - nicht duldet.
    "Panzer der Türkei stehen direkt in Sichtweite"
    Armbrüster: Das heißt, die Türkei oder die türkische Regierung würde es eher akzeptieren, an ihrer Grenze eine starke IS zu sehen als einen unabhängigen Kurden-Staat?
    Hacke: Das haben wir ja schon die ganzen Wochen beobachtet und das ist ja zum Jammer der anderen Partner, und zum Jammer der USA und der europäischen Partner sehen wir ja, dass die Panzer der Türkei direkt in Sichtweite stehen, sich aber nicht einmischen. Das hat damit zu tun, dass die ISIS auch innerhalb der Türkei tätig werden könnte, für den Fall, dass die Türkei sich aktiver als bisher, überhaupt aktiv im Kampf gegen die ISIS beteiligen würde. Das versucht Erdogan zu vermeiden, diesen Eindruck. Deshalb ja auch bislang keine Erlaubnis für die amerikanischen Luftstreitkräfte, die Stützpunkte zu benutzen, um möglichst ISIS aus dem eigenen Land zu halten. Das ist das übergeordnete Ziel und erst nachgeordnet kommen dann die Probleme, die wir alle besprechen im Kampf gegen ISIS.
    "Die Dinge sind so kompliziert"
    Armbrüster: Wir haben es gerade gehört: In Washington treffen sich erneut Vertreter der Allianz, die zurzeit Stellungen von ISIS in Syrien und im Irak bombardieren, unter Beschuss nehmen. Wie wird das bei diesem Treffen in den USA ankommen, dass die Türkei jetzt gegen die PKK vorgeht?
    Hacke: Sicherlich nicht gut, das ist klar. Die Dinge sind so kompliziert, sowieso genug, und das macht natürlich auf die Amerikaner einen schlechten Eindruck. Und insgesamt, muss man ja sagen, ist ja der Kampf gegen ISIS, man könnte fast sagen, organisierte Trostlosigkeit, was wir dort erleben. Nur sie werden bislang noch aufgehalten, dass diese Stadt in die Hände fällt. Aber Kobane wird über kurz oder lang ohne Bodentruppen fallen und das wird unter Umständen ein Fanal werden wie früher auf dem Balkan, sagen wir mal, Srebrenica oder andere Städte. Ich glaube schon, dass es ein negativer Wendepunkt werden könnte für eine vertiefte Verschärfung der Konfrontation und einer größeren Hoffnungslosigkeit der Kräfte, die gegen ISIS kämpfen, und hier sind nicht zuerst die Europäer gefragt, um das klar zu machen, sondern die Amerikaner, die ja seit dem Irak-Krieg hier in vorderster Verantwortungsfront stehen, und natürlich die Schiiten. Wo sind die Irakis? Wo ist die schiitische Regierung im Irak? Die dortige Armee läuft ja nur rückwärts. Die ISIS hat fast die ganze Munition, Panzer, Ähnliches übernommen. Und natürlich auch der Iran. Das sind eigentlich die schiitischen Kräfte, die jetzt ja gegen ISIS vorgehen müssten, und wir hören zu wenig davon. Die müssen in die Hauptverantwortung gezogen werden, und das ist natürlich eine schwierige Sache.
    Das heißt auch, wenn ich das noch hinzufügen darf: Das würde natürlich auch bedeuten, unter Druck stehen die USA, eine Annäherung an den Iran zu suchen, um hier mehr Gemeinsamkeit zu finden bei der Stärkung der Kräfte gegen ISIS. Aber das wird ja wiederum blockiert, wie wir wissen, durch die Nuklearfrage.
    "Ohne Bodentruppen ist es nicht zu machen"
    Armbrüster: Das heißt, ist es gefährlich, dass wir alle gerade viel zu sehr auf Kobane gucken?
    Hacke: Das will ich nicht sagen. Das nimmt uns ja alle mit und das sind ja drei Ebenen der Problematik dort unten. Es ist einmal die humanitäre Frage, und wenn man das dort sieht, man fasst es ja kaum, wie schlimm die Lage ist. Die zweite Ebene ist der Kampf gegen den Terroristenstaat ISIS. Und das Dritte sind natürlich die geostrategischen Überlegungen, die hier mit reinfließen müssen. Es geht beim dritten um den Fortbestand des nahöstlichen Staatensystems. Wenn ISIS weiter die Hohlräume ausfüllt - und sie greifen ja auch weiter im Irak an, sie gewinnen im Irak weiter an Boden, sie gewinnen weiter in Syrien an Boden. Wir wissen, dass sie großmäulig sind, dass sie nun auch Jordanien und andere Staaten mit einbeziehen, ja sogar Indien. Hier ist eine Situation entstanden, wo die Hoffnungslosigkeit - - Ich sage immer, das ist organisierte Trostlosigkeit, weil auch der Westen, die Amerikaner nicht bereit sind, mit Bodentruppen einzugreifen, was man verstehen kann. Aber sie haben diese Lage über viele Umwege mit verursacht und ohne Bodentruppen ist es nicht zu machen, und die Pläne, von denen ich höre aus Amerika jetzt, inoffiziell, gehen dahin, dass man für zwei Jahre plant, mehrere Brigaden aufzustellen, die dann noch gegen ISIS und Assad kämpfen sollen. Ich weiß nicht, ob dieser Zwei-Fronten-Krieg nun gerade die Lage und die Erfolgsaussichten erhöht, denn angesagt wäre nicht nur, wie ich gesagt habe, die stärkere Mitarbeit und Zusammenarbeit der USA mit dem Iran, sondern wir müssen die Kröte schlucken: Assad ist auch hier ein Mann, mit dem zusammengearbeitet werden muss im Kampf gegen ISIS. Aber dazu scheint noch niemand bereit zu sein.
    "Es ist vielleicht mit der Tiefpunkt der westlichen Zivilisation"
    Armbrüster: Herr Hacke, dann lassen Sie uns noch einmal kurz auf Kobane blicken. Es gibt nun viele Experten, die quasi den Fall dieser Stadt in den nächsten Tagen voraussehen. Können die Amerikaner einer solchen Entwicklung denn eigentlich tatenlos zusehen?
    Hacke: Eigentlich können sie es nicht. Eigentlich kann das keiner, der im Kampf gegen ISIS mitverantwortlich handelt. Das kann eigentlich keiner. Und es zeigt ja, dass wir, wie es immer so schön gesagt wird, in einer postheroischen Gesellschaft leben, und wir sind überdehnt durch 20 Jahre humanitäre Intervention. Es gibt gute Gründe, dass gerade wir Europäer sagen, nein, da sind wir nicht unmittelbar betroffen. Und trotzdem bleibt ein Gefühl der Bitterkeit und auch der Scham, muss man sagen, dass hier die Kräfte der Welt nicht in der Lage sind, unter einem UNO-Mandat - Sie wissen, wie schwierig das ist - oder wie auch immer dort diesen bedrohten Menschen zur Hilfe zu kommen. Es ist vielleicht mit der Tiefpunkt der westlichen Zivilisation, wo sie mutig einsteigen müsste. Aber auch der Tiefpunkt - und das ist noch wichtiger - im arabischen System, wo wir ja einen fast 30-jährigen Krieg vielleicht zu erwarten haben zwischen Sunniten und Schiiten, und das ist ja wiederum aufgemischt, und die schiitische Seite hier ist ja praktisch schon am Boden. Die irakische Regierung gibt es kaum, die irakische Armee gibt es nicht, und das der Iran nun vorhat auf der schiitischen Seite, das ist auch völlig unklar.
    Armbrüster: Und die Amerikaner, wenn wir uns angucken, was zwischen Ankara und Washington derzeit abläuft, dieses Dementi gestern nach stundenlangem Warten über diese Zusammenarbeit, die jetzt doch nicht stattfinden soll. Können wir dann sagen, werden die Amerikaner gerade vorgeführt?
    Hacke: Das ist das Mindeste, was man sagen könnte. Das ist das Mindeste! Und Obama sieht nur auf die Wahlen im Moment, die ja nun anstehen, die Kongresswahlen, und will das Land raushalten, was man verstehen kann. Sehen Sie, Amerika ist jetzt im längsten Krieg, im längsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie haben immer Kriege gehabt und keine mehr gewonnen: keinen Korea-Krieg gewonnen, keinen Vietnam-Krieg gewonnen. Jetzt der Krieg gegen den Terror, der geht ins 13. Jahr. Das Land ist überdehnt, ist militärisch stark, und das Paradoxe ist ja: Die Amerikaner sind noch nie in einer Situation gewesen, wo sie militärisch dem Rest der Welt so überlegen gewesen sind wie jetzt, auch technologisch, auch mit den neuen Technologien. Und das alles nützt nichts, hier ISIS in die Schranken zu weisen. Es ist wirklich erbärmlich, das muss man schon sagen.
    Armbrüster: ..., sagt hier bei uns in den "Informationen am Mittag" der Bonner Politikwissenschaftler Christian Hacke. Vielen Dank für das Gespräch.
    Hacke: Ich danke Ihnen, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.