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Kampf gegen IS
"Die Koalition der Willigen ist viel zu uneins"

Der Autor Bruno Schirra hat der von den USA angeführten Koalition gegen die Terrormiliz IS Strategielosigkeit vorgeworfen. "Diese Koalition ist ohnmächtig", sagte er im Deutschlandfunk. Der mörderische Krieg werde noch Jahre weitergehen.

Bruno Schirra im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Der Autor und Journalist Bruno Schirra auf der Internationalen Frankfurter Buchmesse.
    Der Autor und Journalist Bruno Schirra. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Schirra sagte, die Dschihadisten seien inzwischen im Irak und in Syrien tief verankert und militärisch ungebrochen stark auf dem Vormarsch. Die "merkwürdige Koalition der Willigen" sei viel zu zerbrochen und uneins und habe keine Strategie gefunden. "Da ist viel Hilflosigkeit und Ratlosigkeit im Spiel." Für einen Fehler hält es Schirra, dass sich die Koalition auf Luftschläge konzentriert. Niemand wolle Bodentruppen in dem Konflikt einsetzen. Dies sei eine Garantie, dass der mörderische Krieg über Jahre hinweg weitergehe.
    Ein weiterer Fehler sind laut Schirra die Waffenlieferungen an den Irak, da das Arsenal später in die Hände des IS falle. Schirra forderte von der internationalen Gemeinschaft, mehr Druck auf die Türkei auszuüben. Istanbul sei wesentlich in Schwarzhandel in Öl involviert und habe die Unterstützung des IS nicht eingestellt. Zudem sei die Türkei ein wichtiges Transitland für Terroristen.
    Vertreter aus rund 24 Ländern wollen heute in Paris über eine wirksame Strategie gegen den IS beraten. An dem Treffen nehmen auch Iraks Regierungschef Haidar al-Abadi und Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier teil.

    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Eine ganze Weile sah es so aus, als könne die US-geführte Koalition in der Lage sein, die Terrormiliz Islamischer Staat zurückzudrängen. Doch die jüngsten militärischen Erfolge der Dschihadisten legen ein anderes Bild nahe. Im Irak kontrolliert der IS inzwischen ein Drittel des Territoriums. Die Miliz hat die Stadt Ramadi erobert und stößt weiter nach Osten vor. Bagdad ist nur noch 100 Kilometer entfernt. In Syrien beherrschen die Kämpfer etwa die Hälfte des Landes. Mit Palmyra haben sie auch eine strategisch wichtige Stadt eingenommen. Jetzt scheint auch ein Vorstoß in Richtung Damaskus möglich.
    Am Telefon ist der Journalist Bruno Schirra, der sich seit vielen Jahren mit dem Nahen und Mittleren Osten, mit dem Islamismus beschäftigt. Er hat gerade ein Buch über den Islamischen Staat veröffentlicht. Schönen guten Morgen.
    Bruno Schirra: Guten Morgen Ihnen.
    "IS weiterhin auf dem Vormarsch"
    Dieses Bild zeigt nach Agenturangaben eine Explosion im irakischen Ramadi am 16. Mai 2015
    Dieses Bild zeigt nach Agenturangaben eine Explosion im irakischen Ramadi am 16. Mai 2015 (imago stock & people)
    Barenberg: Herr Schirra, was verrät uns der Blick auf die letzten militärischen Erfolge wie in Ramadi im Irak beispielsweise oder Palmyra in Syrien? Der IS ist viel stärker als gedacht, oder die Koalition gegen ihn viel zu schwach?
    Schirra: Beides ist zutreffend. Zunächst einmal hat der sogenannte Islamische Staat seinen Siegeszug fortsetzen können. Er hat seine Territorien konsolidieren können, ist dort mittlerweile tief verankert, bestens verwurzelt. Er ist militärisch ungebrochen weiterhin sehr stark auf dem Vormarsch. Das ist das eine.
    Das zweite ist, dass die merkwürdige Koalition der Willigen, die da gegen den sogenannten Islamischen Staat angetreten ist, in sich selbst viel zu zerbrochen ist, zu uneins ist, keine Strategie gefunden hat, wie denn letztendlich angesichts dieses wahnwitzigen Religionskrieges, der sich da aufbaut, vorzugehen ist. Da ist sehr viel Hilflosigkeit und Ratlosigkeit im Spiel.
    Barenberg: Nun wird massive Kritik gerade und vor allem an der nicht mehr ganz so neuen Regierung in Bagdad geübt, aus den USA zumal. Zurecht?
    Schirra: Ja, denn die Regierung in Bagdad, die eine ausschließlich schiitisch dominierte Regierung ist und die im Wesentlichen von der schiitischen islamischen Republik Iran mitgetragen wird, ist natürlich aus der Sicht der sunnitischen irakischen Menschen der Feind, den sie bekämpfen müssen. Und wenn man sich anschaut, was denn aus Bagdad in den letzten Wochen und Monaten getan worden ist, dann ist das nachvollziehbar, dass die sunnitischen Stämme sagen, nein, wir wollen mit dieser Art Regierung nichts zu tun haben, wir wollen sie im Gegenteil, wir müssen sie bekämpfen.
    "Der Wille zur Aussöhnung ist nicht sonderlich ausgeprägt"
    Barenberg: Warum ist es der Regierung in Bagdad entweder nicht gelungen, oder warum ist sie nicht willens, etwas für die Zusammenarbeit zwischen Schiiten und Sunniten zu leisten? Das war ja quasi ein Versprechen und eine der Prämissen für die neue Regierung.
    Schirra: Nun, wenn ich mir anschaue, wer da im Hintergrund an den Strippen der Macht zieht, an den Tischen der Macht sitzt, nämlich der vorhergehende schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der im Wesentlichen für diese blutige Malaise mit verantwortlich ist, er hat sie ausgelöst und befördert, dann stellt sich natürlich die Frage, will man denn von schiitischer Seite in Bagdad überhaupt so etwas wie eine in ferner Zukunft liegende nationale Aussöhnung, will man die überhaupt durchführen. Ich befürchte, der Wille ist nicht sonderlich ausgeprägt.
    Barenberg: Und wenn dieser Wille nicht besonders ausgeprägt ist, was kann man dann von der Koalition erwarten, der internationalen im Kampf gegen IS, selbst wenn sie, wie Sie sagen, innerlich zerstritten und zerbrochen ist?
    Schirra: Nun, das ist das Problem. Diese Koalition ist ohnmächtig. Sie kann, militärisch gesprochen, derzeit nur Luftschläge gegen den Islamischen Staat durchführen. Sie will keine Bodentruppen einsetzen. Wer, bitte schön, sollte denn die stellen? Die islamischen sunnitischen Staaten sind dazu nicht in der Lage, sie wollen es nicht. Der Westen sagt ganz klar, wie wir eben gehört haben, wir werden keine eigenen Bodentruppen einsetzen. Das ist eine Garantie dafür, dass dieser mörderische Krieg weiterhin toben wird auf lange Jahre hinweg.
    "US-Waffen fallen dem Islamischen Staat in die Hände"
    Kämpfer einer irakischen Einheit an einem Flussufer: Einer schießt über eine Böschung auf ein nicht sichtbares Ziel, zwei Andere kauern in Deckung. Im Hintergrund nähern sich weitere Soldaten.
    Irakische Einheiten beschießen Kämpfer der IS-Terrormiliz. (AFP / MOHAMMED SAWAF)
    Barenberg: Die USA haben stattdessen eine stärkere Unterstützung mit Waffen, mit weiteren Militärberatern angekündigt. Wie sinnvoll ist das dann vor dem Hintergrund?
    Schirra: Vollkommen sinnlos! Die USA pumpen nach wie vor Waffenarsenale in den Irak hinein. Diese Waffenarsenale fallen dem Islamischen Staat in die Hände und er weiß die bestens zu nutzen.
    Barenberg: Was kann nun Deutschland tun, was können die anderen Partner tun? Heute werden sich alle treffen in Paris, um darüber zu beraten. Es ging ja auch immer darum, die Finanzierung der Terrormiliz zu unterbrechen, den Zustrom von Kämpfern zu unterbinden. Welche Möglichkeiten haben die westlichen Partner da?
    Schirra: Die westlichen Partner haben die Möglichkeit, massiven politischen, diplomatischen Druck auf die Türkei auszuüben. Die Türkei ist nach wie vor das wichtigste Transitland für die nach Syrien und den Irak reisenden terroristischen Aspiranten, die zur ISIS pilgern. Die Türkei ist ganz wesentlich nach wie vor im Schwarzhandel mit dem Öl, das ISIS fördert und verkauft, involviert. Die Türkei hat mitnichten, wie offiziell immer wieder betont wird, die Unterstützung, die aktive als auch die passive Unterstützung des Islamischen Staates eingestellt. Das dauert an! Solange also auf die Türkei kein massiver Druck ausgeübt wird, solange wird das weitergehen.
    Das nächste ist: Aus Saudi-Arabien heraus - Saudi-Arabien ist ein Partner dieser Koalition - tönt es von dem wahhabitischen Klerus heraus. Aus den Schulen, den Universitäten, den theologischen Fakultäten tönt nach wie vor die breite ideologische Unterstützung in Richtung des sogenannten Islamischen Staates. Solange also der Westen nicht auch hier politischen und diplomatischen Druck ausübt, solange wird dieser blutige Reigen weitergehen.
    "Der Islamische Staat ist die größere Bedrohung"
    Barenberg: Unsere Telefonverbindung, Herr Schirra, ist leider sehr schlecht. Doch noch eine Frage trotzdem zum Schluss. Der Blick auf Syrien: Was ist die größere Bedrohung, Syriens Diktator Assad oder der Islamische Staat?
    Schirra: Der Islamische Staat ist die größere Bedrohung. Das muss man real politisch so brutal ausüben. Fällt Assad - und er wankt schon sehr bedenklich -, dann wird der Islamische Staat zum Herrscher Syriens werden.
    Barenberg: Also es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen, der Islamische Staat ist nur zu besiegen um den Preis, Assad zu stabilisieren?
    Schirra: Ja, das muss man so sehen - leider Gottes.
    Barenberg: Bruno Schirra, der Journalist und Buchautor, heute Morgen hier live im Deutschlandfunk. Vielen Dank dafür. Wir bitten die schlechte Tonqualität zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.