Die Terrormiliz Islamischer Staat mache sicher nicht an der Grenze zur Türkei Halt, sagte der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann in Deutschlandfunk. "Die Türkei ist unmittelbar von den Terroristen bedroht." Aus eigenem Interesse solle Ankara daher in "einer begrenzten Aktion" in Kobane eingreifen, um den IS zu stoppen, forderte Wellmann.
Die internationale Gemeinschaft müsse darüber hinaus endlich gemeinsam gegen die Terrororganisation vorgehen. Alles, was dem IS Einhalt gebiete, sei gut und richtig, sagte Wellmann. Man müsse auch darüber nachdenken, um Kobane herum eine Sicherheitszone als Puffer einzurichten. Es könne jedenfalls nicht geduldet werden, dass der IS-Konflikt mit den Kurden in andere Länder wie Deutschland hineingetragen werde. Straßenschlachten zwischen Kurden und Islamisten, zu denen es in den vergangenen Tagen in deutschen Städten gekommen ist, seien nicht zu akzeptieren.
Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen bereits schaut die Weltöffentlichkeit auf eine Stadt: Kobane, die Stadt direkt an der türkischen Grenze. Die kurdischen Peschmerga-Milizen leisten erbitterten Widerstand gegen die Kämpfer des selbsternannten Islamischen Staats.
Die amerikanische Luftwaffe, die fliegt gemeinsam mit den Verbündeten Angriffe auf Stellungen des IS, und niemand weiß, wie lange die Islamisten damit noch zu bremsen sind. Der Türkei wird vorgeworfen, sich zu passiv zu verhalten. Die türkische Regierung hat zwar Panzer an der Grenze stationiert; die greifen aber nicht ein.
Die amerikanische Luftwaffe, die fliegt gemeinsam mit den Verbündeten Angriffe auf Stellungen des IS, und niemand weiß, wie lange die Islamisten damit noch zu bremsen sind. Der Türkei wird vorgeworfen, sich zu passiv zu verhalten. Die türkische Regierung hat zwar Panzer an der Grenze stationiert; die greifen aber nicht ein.
Der Verdacht: Ankara benutzt den sogenannten Islamischen Staat, um Syriens Präsident Assad zu bekämpfen und die als Terrororganisation eingestufte kurdische PKK.
Am Telefon ist jetzt dazu Karl-Georg Wellmann von der CDU, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Herr Wellmann.
Karl-Georg Wellmann: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Wir müssen mehr von der Türkei erwarten
Heckmann: Angela Merkel hat der Türkei vorgeworfen, die falschen Prioritäten zu setzen. Zurecht?
Wellmann: Ja! Wir müssen von einem NATO-Partner, einem Partner, der seit 62 Jahren zuverlässiges Mitglied der NATO ist, auch erwarten, dass er die Werte der NATO vertritt, dass er mit der westlichen Staatengemeinschaft gemeinsam vorgeht gegen Massenmord und Terror und nicht wartet, aus innenpolitischen Gründen wartet, bis die ISIS sich durchsetzt. Wir müssen mehr von der Türkei erwarten. Die Bundeskanzlerin hat recht!
Wellmann: Ja! Wir müssen von einem NATO-Partner, einem Partner, der seit 62 Jahren zuverlässiges Mitglied der NATO ist, auch erwarten, dass er die Werte der NATO vertritt, dass er mit der westlichen Staatengemeinschaft gemeinsam vorgeht gegen Massenmord und Terror und nicht wartet, aus innenpolitischen Gründen wartet, bis die ISIS sich durchsetzt. Wir müssen mehr von der Türkei erwarten. Die Bundeskanzlerin hat recht!
Heckmann: Was erwarten Sie denn von der Türkei konkret? Ernsthaft, dass die Türkei jetzt in Syrien einmarschiert?
Wellmann: Das was sich in Kobane tut, ist ja in Sichtweite der türkischen Grenze. Das ist unmittelbar vor der Haustür. Es geht nicht darum, Krieg gegen Syrien zu führen. Es geht um eine begrenzte Aktion, um den bedrängten Kurden zu helfen und die westliche Staatengemeinschaft zu unterstützen, diese Terrororganisation, die Massenmorde begehen, die ethnische Säuberungen begehen, die Frauen und Kinder schänden und die Männer umbringen, ihnen die Köpfe abschneiden, dieses zu bekämpfen und nicht darauf zu warten, dass die anderen, nämlich die Amerikaner, die Franzosen, auch die Deutschen, im Nordirak das Problem schon lösen werden. Wir müssen von der Türkei erwarten, dass sie das unterstützen.
Heckmann: Und das soll die Türkei mal eben so machen, ohne dass auch nur ein UNO-Mandat beispielsweise nur im Entferntesten zu sehen ist?
Wellmann: Die UNO hat sich ja in zwei Sicherheitsratsbeschlüssen gegen die ISIS ausgesprochen. Es ist ja überhaupt kein Streit, und zwar gemeinsam übrigens mit Russland und China, dass die ISIS bekämpft werden muss.
Nicht sehenden Auges den Mord an Hunderttausenden zusehen
Heckmann: Aber es gibt kein Mandat!
Nicht sehenden Auges den Mord an Hunderttausenden zusehen
Heckmann: Aber es gibt kein Mandat!
Wellmann: Nein, das ist richtig. Aber auch die Amerikaner sind ja dann ohne Mandat tätig im Rahmen der Nothilfeaktion. Und auch wir Deutschen haben hier eine wichtige Aufgabe im Nordirak übernommen und unterstützen die Kurden mit Waffen und mit Ausbildung. Das ist ja auch neu. Und ich finde das richtig, weil wir nicht sehenden Auges den Mord an Hunderttausenden von Menschen mit ansehen können. Das sind ja nicht allein Kurden; das sind auch Christen und andere Minderheiten wie die Jesiden.
Heckmann: Wer im Glashaus sitzt, der sollte allerdings auch nicht mit Steinen werfen, kann man vielleicht dazu sagen, denn die Bundesregierung hat auch sehr lang gebraucht, um sich dazu durchzuringen, den Kurden wenigstens Waffen zu liefern.
Wellmann: Ja, so lange war das nicht. Das hat ungefähr eine Woche gedauert. Und ich finde das auch richtig, dass man sich die Zeit nimmt, um solche schwerwiegenden Fragen zu diskutieren. Das kann man nicht im Handumdrehen machen; da muss man auch das Parlament informieren. Das ist passiert, und ich finde, die Bundesregierung, die Bundeskanzlerin haben das sehr verantwortungsbewusst gemacht.
Türkei muss als unmittelbarer Nachbar reagieren
Heckmann: Es ist ein bisschen so, Herr Wellmann, hat man den Eindruck, als warteten alle ab, dass die Türkei jetzt die Kastanien aus dem Feuer holt, weil man gemerkt hat, mit Waffenlieferungen, mit Luftschlägen der Amerikaner und ihrer Verbündeten kommt man nicht weiter, kann man den sogenannten Islamischen Staat nicht stoppen. Dass aber die Türkei nicht alleine mit Bodentruppen da losschlagen will, das ist doch verständlich!
Wellmann: Das ist verständlich, aber auch wieder nicht verständlich. Erstens: Die Türkei steht nicht alleine. Auch die Bundeswehr ist ja schon in der Türkei, um der Türkei zu helfen. Wir haben eine Patriot-Abwehreinheit, Raketen-Abwehreinheit dort stationiert seit über einem Jahr.
Die Türkei ist aber nun mal der unmittelbare Nachbar und wäre auch selbst unmittelbar von der ISIS bedroht. Glaubt denn jemand, die ISIS macht an der Grenze Halt? Sie werden versuchen, ihre radikal-sunnitische Position dann auch in die Türkei zu tragen und die Türkei zu verunsichern. Insofern hat die Türkei auch Eigeninteressen. Sie sind -ich sage es noch mal - in Sichtweite dieser Terrorgruppe inzwischen. Kobane ist ja unmittelbar an der türkischen Grenze. Sie können zugucken mit einem Fernglas, was sich dort abspielt.
Deshalb ist die Türkei auch in der unmittelbaren Verantwortung, und sie stehen nicht alleine. Die Amerikaner, Franzosen und andere haben ja schon begonnen, die ISIS zu bekämpfen. Also es ist ja nicht so, dass der Westen sagt, geht ihr mal voran, macht ihr das, wir machen uns die Hände nicht schmutzig. Wir stehen zusammen!
Aussöhnungsprozess fortsetzen
Heckmann: Bodentruppen möchte kein anderes Land entsenden, weder die Amerikaner, noch die europäischen Staaten. Die türkische Regierung, die wirft dem Westen auch vor, mit zweierlei Maß zu messen. Terroristen seien schließlich Terroristen, egal ob es jetzt die IS ist oder die PKK.
Wellmann: Es gab ja einen Aussöhnungsprozess, den wir sehr unterstützt haben, zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Die Türken haben ja sehr viel getan, was wir sehr positiv bewerten, im Osten des Landes, was türkische Sprache angeht, was kurdische Sprache angeht, was Schulen und so weiter angeht. Den Aussöhnungsprozess fortzusetzen, das wäre das Ziel.
Ich fürchte oder wir befürchten, dass durch dieses türkische Vorgehen jetzt das auf eine lange Bank geschoben ist und wieder Hass erzeugt wird. Ich finde, wir müssen gemeinsam gegen die Terrororganisationen vorgehen. Es gab ja gute Ansätze zwischen der Türkei und den Kurden im Nordirak, den Barsani-Kurden. Wir lösen die Probleme ja nicht dadurch, dass wir uns miteinander bekämpfen, sondern versuchen, Frieden intern herzustellen, auch mit den Kurden, und das wird jetzt leider konterkariert.
Stellvertreterkriege unterbinden
Heckmann: Aber auch dieser Friedensprozess mit den Kurden könnte konterkariert werden mit beispielsweise dem türkischen Vorschlag zur Einrichtung einer Pufferzone. Die Kurden in Syrien, die sind davon gar nicht begeistert. Sie fürchten, dass die Türkei sie, also die Kurden und die PKK, klein macht, und da kann man sich vorstellen, was dann auf den türkischen Straßen los ist.
Wellmann: Alles was dem Morden, dem Massenmord und den ethnischen Säuberungen durch ISIS Einhalt gebietet, ist richtig. Dazu gehört möglicherweise auch die Frage der Einrichtung einer Sicherheitszone. Andererseits müssen wir auch klar sagen - das gilt für die Türkei, das gilt aber auch für uns -, wir können nicht dulden, dass solche religiösen Konflikte in unsere Länder getragen werden und dann in Hamburg, Celle oder Berlin Straßenschlachten stattfinden und Stellvertreterkriege stattfinden. Das müssen wir und werden wir unterbinden und den Anfängen wehren.
Heckmann: Karl-Georg Wellmann war das, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Er ist Mitglied bei der CDU. Herr Wellmann, danke Ihnen für das Gespräch, und für die schlechte Tonqualität bitten wir um Nachsicht.
Wellmann: Danke Ihnen! Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.