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Kampf gegen IS
"Diplomatie ist die einzige Lösung"

Im Kampf gegen die Terrormiliz IS könnten militärische Einsätze im besten Fall Zeit für politischen Handlungsspielraum schaffen, sagte der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, im DLF. Jedoch fehle der UNO jedes politische Konzept für die Zukunft Syriens.

Philipp Mißfelder im Gespräch mit Christine Heuer | 14.10.2014
    Philipp Mißfelder (CDU), außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag
    "Politische Lösungsansätze voranzutreiben, sind die einzige Lösung", sagte Philipp Mißfelder (CDU), außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag im DLF-Interview. (dpa / Matthias Balk)
    Das Vorgehen gegen die IS-Terroristen sei kein Fall für die NATO, sondern für die Vereinten Nationen, bekräftigte Mißfelder. Die UNO sei zwar rechtlich zuständig, aber nicht in der Lage, ein politisches Konzept für eine Stabilisierung Syriens zu erstellen, da sie sich "in einem Zustand der gegenseitigen Blockade" befinde. Ein UNO-Mandat liege außerdem in weiter Ferne.
    "Keine Schwarz-weiß-Lösungen"
    In Syrien gebe es nur eine politische Lösung ohne Machthaber Assad, führte Mißfelder aus. Temporär könne man jedoch auf Assad setzen, da die Alternative zu Assad Dschihadisten seien. "Vor dem Hintergrund warne ich davor, zu glauben, dass es schwarz-weiß Lösungen gibt", so der außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Ausgerechnet die Grünen machen diesen Vorstoß zuerst: Sie fordern ein UN-Mandat gegen den Islamischen Staat und in diesem Falle dann auch deutsche Soldaten für den Bodeneinsatz gegen die Islamisten in Syrien. Der deutsche Außenminister hält dagegen:
    O-Ton Frank-Walter Steinmeier: "Das lässt sich leicht fordern in Deutschland, wenn man weiß, dass ein solches VN-Mandat nicht zustande kommt und wir gesagt haben, dass wir unter den gegebenen Voraussetzungen keine Bodentruppen nach Syrien entsenden werden."
    Heuer: Frank-Walter Steinmeier gestern Abend. - Soll die Türkei Soldaten schicken, um den Kurden im Kampf gegen den IS zu helfen? Soll vielleicht sogar die NATO eine Bodenoffensive starten? Darüber wird in Deutschland und Europa gestritten. Hilflos und mit größter Sorge verfolgen Politiker und Bürger die Geschehnisse in der umkämpften Grenzstadt Kobane. Viele fürchten, dass der IS, wenn er dort gewinnt, ein Massaker an den Einwohnern verübt. Die deutsche Regierung hat sich bereits entschieden: Sie ist trotzdem strikt gegen die Entsendung westlicher Soldaten in die Region. Wir haben das gerade gehört. Der deutsche Außenminister ist auf diplomatischer Mission in Saudi-Arabien.
    Derweil gerät die Türkei politisch im Kampf gegen den IS täglich stärker unter Druck. Ihre Soldaten stehen an der Grenze zu Syrien bereit, doch die Regierung in Ankara gibt ihnen keinen Marschbefehl. Ihr sind die kurdischen Kämpfer zu dicht dran an der PKK. In Deutschland fordern die Grünen als erste unter Bedingungen eine aktive Beteiligung deutscher Soldaten. Die Bundesregierung ist wie gehört strikt dagegen. - Und wir sind gespannt, wie all das der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Deutschen Bundestag sieht. Guten Morgen, Philipp Mißfelder.
    Philipp Mißfelder: Guten Morgen, Frau Heuer.
    "Türkei hat zwischen verschiedenen Übeln gerade die Wahl hat"
    Heuer: Soll die Türkei Bodentruppen nach Kobane schicken?
    Mißfelder: Das ist zunächst eine Forderung, die logisch klingt. Aber wenn wir uns vorstellen, dass wir selber in der Situation der Türkei wären, dann würden wir uns sicherlich schwer tun, weil die Türkei eben zwischen verschiedenen Übeln gerade die Wahl hat. Entweder sie gerät weiter moralisch unter Druck, oder sie hat die Wahl, in einen dauerhaften Bodenkonflikt auf syrischem Territorium hineingezogen zu werden, und vor dem Hintergrund ist sie abwartend und vorsichtig. Das kann man kritisieren, aber man sollte sich immer, wenn man das kritisiert, fragen, wie hier Deutschland an dieser Stelle der Türkei reagieren würde.
    Heuer: Ist es nicht eigentlich auch ein bisschen viel verlangt, dass die Türkei diesen schwierigen Einsatz im Alleingang bewältigen soll?
    Mißfelder: Ja. Das klingt zunächst einfach, dass man sagt, die Türkei soll das machen. Aber wie gesagt: Es würde ja sicherlich ein dauerhaftes Engagement nach sich ziehen, zumal - Sie haben es ja selber angesprochen - die PKK-nahen Kurden, die in Kobane kämpfen, denen natürlich unsere Unterstützung und vor allem auch die moralische Unterstützung gilt, sind für die Türkei ein rotes Tuch, weil bislang der Friedensprozess nur mit einem Teil der Kurden so weit gediehen ist, dass sie ihnen wirklich vertrauen. Der PKK vertrauen sie letztendlich nicht und die PKK hat auch in den letzten Tagen durch ihre Äußerungen in der Türkei und auch durch viele Demonstrationen in der Türkei dafür gesorgt, dass noch weniger Vertrauen entstanden ist.
    "Ich sehe den NATO-Fall zunächst nicht"
    Heuer: Wenn die Türkei keinen Alleingang wagen soll, dann wäre ja vielleicht, Herr Mißfelder, die gesamte NATO gefordert. Soll Deutschland zum Beispiel mithelfen?
    Mißfelder: Ich sehe den NATO-Fall zunächst nicht. Ich sehe das auch da stimme ich den Grünen schon zu, als einen Fall der Vereinten Nationen. Die NATO ist nicht die Weltpolizei, sondern wenn es eine Weltpolizei gäbe, dann wären das die Vereinten Nationen. Leider sind sie nicht in der Lage, ein politisches Konzept zu finden, um in Syrien tatsächlich eine Stabilisierung zu errichten. Wir diskutieren ja jetzt nicht über Syrien seit gestern oder seit Kobane erst; wir diskutieren seit Jahren über Syrien, und die UNO befindet sich in einem Zustand der gegenseitigen Blockade der ständigen Mitglieder des VN-Sicherheitsrates, und deshalb fehlt auch jegliches politisches Konzept, was die Zukunft von Syrien angeht.
    Heuer: Und es wird sicher kein UN-Mandat geben. Braucht es das denn eigentlich unbedingt? Es gab ja auch andere Fälle, in denen die NATO dann trotzdem aktiv wurde, Jugoslawien zum Beispiel.
    Mißfelder: Das stimmt. Es ist völkerrechtlich natürlich arg umstritten, ob man ohne ein UNO-Mandat solche Missionen machen darf, und ich glaube auch, dass tatsächlich die UNO rechtlich zuständig wäre. Wir haben ja sogar einen eigenständigen Sachverhalt bei der UNO eingeführt: die sogenannte Responsibility to protect, also die Verpflichtung der UNO, die Zivilbevölkerung zu schützen. Das geht aber trotzdem auch nur mit VN-Mandat, und das ist weit entfernt. Also man könnte das schon konstruieren, dass die NATO zuständig wäre, aber selbst dann würde die politische Konzeption, was wird denn dann in Syrien passieren, fehlen. Denn die Türkei - man sagt ja, sie wären nur dann bereit, in Syrien einzumarschieren und den Kurden und der Zivilbevölkerung zu helfen, wenn das gleichzeitig bedeuten würde, Assad zu bekämpfen, und dafür gibt es keine Einigung gerade.
    "Es gibt keine einfachen Lösungen"
    Heuer: Politisch ist das alles fraglos sehr schwierig. Aber wenn keiner etwas unternimmt, dann droht in Kobane ein Massaker. Schauen wir da zu, Herr Mißfelder?
    Mißfelder: Ich sage nicht, dass wir jetzt entspannt uns zurücklehnen, sondern die Leute gucken ja wirklich jeden Abend, jeden Morgen, wenn sie aufstehen, auf diese Stadt. Es ist wirklich ja eine große Empathie, damit einhergeht. Aber es gibt keine einfachen Lösungen.
    Ich möchte noch ein weiteres Beispiel, was Syrien angeht, bringen. Natürlich kann man auf der Seite der Kämpfer der PKK sein. Aber wir haben natürlich in Syrien auch folgende Situation, dass diejenigen, die gesagt haben - dazu gehörte ich auch -, es gibt nur eine friedliche Lösung in Syrien ohne Assad, dass man jetzt auch gesehen hat, dass die alternative zu Assad nicht etwa die Kurden wären, oder eine gemäßigte Opposition, sondern dass das wirklich die Dschihadisten sind und wirklich die IS-Kämpfer. Das ist momentan die Alternative zu Assad, und vor dem Hintergrund warne ich, davor zu glauben, dass es Schwarz-Weiß-Lösungen gibt.
    Mißfelder: Die Frage sei auch, was kommt nach Assad
    Heuer: Sie setzen oder müssen setzen auf Assad in Syrien, um aus Ihrer Sicht da eine Lösung hinzubekommen, im Gegensatz zur Türkei, die ihn weghaben will?
    Mißfelder: Dafür ist die Situation zu komplex, zu sagen, wir setzen jetzt auf Assad. Das machen wir ja auch nicht. Aber es ist in der Tat so ...
    Heuer: De facto doch schon, Herr Mißfelder!
    Mißfelder: Sie haben ja gesehen, dass - - Ja, wobei ich würde auch sagen, das kann temporär so sein, weil Assad hat natürlich schon vor genau einem Jahr durch den Einsatz von Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung natürlich auch eine Grenze überschritten, die wir früher so nie zugelassen hätten beziehungsweise die Amerikaner so nie zugelassen hätten. Aber es ist in der Tat so, dass hier einfach die Frage im Raum steht, und das hängt ja auch mit dem missglückten Libyen-Einsatz zusammen: Was kommt nach Assad? Kommt dann mehr Chaos, oder eben nicht? Auf diese Frage hat man momentan keine Antwort. Auch die Türkei nicht.
    "Großer komplexer Stellvertreterkampf"
    Heuer: Chaos ist ein gutes Stichwort. Man fragt sich ja manchmal, ob die Türkei nicht irgendwie Recht hat. Wissen wir überhaupt, auf wen wir uns einlassen bei dieser Gemengelage? Amnesty International berichtet zum Beispiel, dass schiitische Milizen an der Seite der irakischen Armee Sunniten foltern und ermorden. Das sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Herr Mißfelder.
    Mißfelder: Ja, und das ist auch kein Einzelfall, mit Sicherheit nicht, denn wir sehen ja, Sie haben es ja vorhin auch schon angesprochen, Sie sehen ja, dass offensichtlich in syrischen Truppenverbänden auch Unterstützung, Berater aus Teheran involviert sind. Insofern ist es so, dass es nicht nur so ist, dass ein Diktator gegen seine Zivilbevölkerung kämpft, oder eine Terrorgruppe wie ISIS gegen andere Organisationen kämpft, sondern es ist tatsächlich so, dass es um einen großen komplexen Stellvertreterkampf geht, der sich momentan von Irak, Syrien hin auch in andere Länder begeben kann. Die Gefahr an ISIS ist natürlich, dass es nicht nur ein Phänomen bleibt, was auf diese beiden Länder begrenzt ist, sondern die Errichtung des Kalifats ist mit Sicherheit die größte Gefahr fürs saudische Königshaus, und man darf sich gar nicht ausmalen, was das für die Weltwirtschaft bedeuten würde oder für deutsche Interessen, wenn Saudi-Arabien durch ISIS unter Druck geraten würde.
    Deutsche Waffen
    Heuer: Herr Mißfelder, ganz kurz würde ich noch gerne bei den schiitischen Milizen bleiben, die foltern und morden. Müssen wir davon ausgehen, dass die deutsche Waffen haben?
    Mißfelder: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, weil ich vorsichtig geworden bin. Ich habe aber keine Informationen, die mir dahingehend vorliegen. Wir sind nur bei der Entscheidung sehr, sehr vorsichtig gewesen vor vier Wochen, Waffen an die Kurden im Nordirak zu liefern. Die Kurden untereinander sind ja sich auch nicht einig. Die Kurden werden repräsentiert durch verschiedene Stämme. Wir haben insbesondere Barsanis und den Talabanis sehr viel Vertrauen entgegengebracht, was bislang auch nicht enttäuscht worden ist. Ganz im Gegenteil: Die Erwartungen sind, wenn ich Ursula von der Leyens Bericht gestern gehört habe, übertroffen worden im positiven Sinne, und das finde ich auch gut. Aber wir sind bei der PKK natürlich zurückhaltend, weil wir nicht wissen, für den Fall, dass wir ihnen Waffen liefern würden, ob diese Waffen nicht unmittelbar in Terroreinsätzen gegen die Türkei, also unseren NATO-Partner und Verbündeten, eingesetzt werden.
    "Diplomatie ist sowieso die einzige Lösung"
    Heuer: Die Lage ist unübersichtlich und man gewinnt den Eindruck, egal was man tut, es kann immer ein sehr schwerer Fehler sein. Hilft in dieser Situation das, was Frank-Walter Steinmeier gerade versucht: die Diplomatie?
    Mißfelder: Ja. Das ist sowieso die einzige Lösung. Es gibt, was die Komplexität des Konfliktes im Nahen Osten insgesamt angeht, sowieso nur die Möglichkeit, politische Lösungsansätze voranzutreiben, den Ausgleich und den Dialog zu pflegen. Ich bin sowieso generell der Meinung, dass militärische Einsätze im besten Fall nur Zeit schaffen, um politischen Lösungs- und Handlungsspielraum wieder zu gewinnen, und deshalb ist das absolut richtig, dass der Außenminister auf diese Karte setzt, und ich unterstütze ihn auch dabei.
    Heuer: Philipp Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion im Bundestag. Herr Mißfelder, vielen Dank für das Interview.
    Mißfelder: Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.