Die Diagnose "Parodontitis" kam für Thomas Zimmermann ziemlich überraschend. Das bisschen Zahnfleischbluten beim Zähneputzen, das der 52-Jährige schon seit einiger Zeit wahrgenommen hatte, das tat nicht weh und konnte deshalb ja eigentlich auch nicht so schlimm sein, dachte er. Dann machte seine Zahnärztin aber ein Röntgenbild seines Kiefers.
"Dann hat sie gesehen, dass da der Kiefer schon ein wenig in Mitleidenschaft gezogen ist, der Oberkiefer."
Eine Parodontitis ist nämlich weit mehr als nur eine Entzündung im Mund, die Zahnfleischbluten auslösen kann. Nur: Der Patient merkt kaum etwas davon, wenn das Zahnfleisch langsam schrumpft und das umliegende Gewebe und der Kieferknochen Stück für Stück zerstört werden. Wenn jedoch all das, was einem Zahn Halt gibt, verloren geht, sind die Folgen absehbar, erklärt Zahnmediziner Thomas Beikler vom Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf:
"Wenn kein Zahnhaltesapparat mehr da ist, dann geht der Zahn verloren. Wir können das Voranschreiten der Erkrankung stoppen. Und da können wir mit ein paar Tricks chirurgischer Art ein bisschen Knochen und auch ein bisschen Zahnfleisch wieder dazubauen. Aber eine Heilung als solche ist bei der Parodontitis nicht möglich."
Parodontis ist tückisch - und bislang unheilbar
Deshalb forscht Thomas Beikler am UKE daran, wie man einer Parodontitis besser als bisher vorbeugen kann. Denn gründliches Zähneputzen allein reicht dafür offenbar nicht, haben die Mediziner festgestellt:
"Wir wissen, dass auf jeden Fall Bakterien beteiligt sind. Wir sprechen da heute von einer Art "Umkippen" der Mikroflora, die wir in der Mundhöhle auch haben, die auch gute Eigenschaften besitzt. Und die wird wahrscheinlich durch einige wenige Bakterien in eine eher schädliche Flora umformiert. Man weiß offen gestanden noch nicht genau, woher diese Bakterien kommen."
Zahnmediziner vermuten, dass dabei das Erbgut eine große Rolle spielt. Rund 50 Prozent aller Parodontitis-Erkrankungen seien demnach genetisch bedingt. Um den schädlichen Bakterien den Garaus zu machen, setzt Thomas Beikler nun auf eine Therapie, die auch schon Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gut geholfen hat.
Per Transplantation zu einer intakten Mundflora
"Sobald sich dieses Umkippen der Mikroflora ausgebildet hat und bevor es entsprechende Schäden gesetzt hat, ist unsere Idee, dass wir versuchen, die Mikroflora auszutauschen. Das heißt, indem wir "gute" Mikroflora in einen Patienten geben, der eine "schlechte" Mikroflora hat oder sagen wir mal eine unter Umständen Parodontitis auslösende Mikroflora hat. Abgeleitet auch aus den sehr positiven Ergebnissen, die die Gastroentereologen bei der Therapie des Morbus Crohn haben."
Bei der Morbus Crohn-Therapie bekommen die Patienten den Stuhl von gesunden Verwandten übertragen, also "transplantiert". Die "gute" Mikroflora für den Mund soll dagegen künstlich hergestellt werden, so der Plan der Wissenschaftler:
"Wir würden jetzt nicht von anderen Menschen ausgehen als Spender für das Mikrobiom. Das ist dann in der Akzeptanz so´n bisschen schwierig. Das wär´ vielleicht ganz am Anfang mal noch so eine Idee, dass wir da mit Versuchspersonen arbeiten würden. Mittel- und langfristig muss das dann wirklich technisch hergestellt werden. Dass man also wirklich definiert weiß, was man dort einbringt, vielleicht dann in eine Lösung bringt oder in eine Art Joghurt, wie auch immer, und das dann dem Patienten verabreicht."
Experimente mit Hunden belegen die Wirksamkeit
Allerdings: Bislang haben die UKE-Forscher dazu nur mit Hunden experimentiert. Der erste Schritt, die Transplantation der Mundflora, habe auch geklappt, so Thomas Beikler.
"Ob das dann allerdings auch eine Verbesserung mit sich führt, müssten noch weitere Experimente bestätigen. Aber wenn man davon ausgeht, dass wohl einige "böse" Bakterien dafür verantwortlich sind, und das wissen wir heutzutage, und ich es schaffen würde, diese bei einem noch gesunden Patienten herauszubekommen, dann wäre das doch mit Sicherheit ein neuer Präventionsansatz. Anders als die Bisherigen, wo wir einfach nur breitflächig irgendwie Zahnreinigung anbieten und dann sagen: Ja, hoffen, wir mal, das wird dann schon hinhauen. Und das ist ja, was die Parodontitis angeht, nicht immer mit Erfolg gekrönt."
Ob der neue Vorbeugungsansatz der UKE-Forscher erfolgreich sein wird, ist allerdings ebenfalls noch fraglich. Noch gab es zuwenige Tests, um sicher sagen zu können, ob die Übertragung gesunder Mundflora wirklich gegen Parodontitis hilft. Unklar ist zum Beispiel auch noch, wie man das hilfreiche Mikrobiom künstlich herstellen kann. Die ersten Studien dazu sind jedoch vielversprechend: "Es wird aber mit Sicherheit drei bis fünf Jahre dauern, bis ich sagen kann: Hey, wir habens´s geschafft. Parodontitis ist hoffentlich kein Problem mehr!"