Dirk Müller: Die Beschlüsse in New York, der Kampf gegen den Terror, der Kampf gegen den IS, unser Thema nun mit Thomas Jäger, Professor für internationale Politik an der Universität in Köln. Guten Tag!
Thomas Jäger: Guten Tag, Herr Müller!
Müller: Herr Jäger, können Resolutionen weiterhelfen?
Jäger: Sie helfen weiter, indem sie die politische Solidarität herstellen, die man braucht, um einen, wie es hier heißt, gemeinsamen Feind zu bekämpfen.
Müller: Auch in der Praxis?
Jäger: Auch in der Praxis. Wobei hier jetzt eine ganze Reihe von Themen wieder aufgegriffen werden, die ja auch in anderen Resolutionen schon angesprochen wurden, etwa dass die Staaten versuchen sollen, ausländische Kämpfer davon abzuhalten, in das Kriegsgebiet zu gehen, oder dass es darum geht, die Finanzströme für Terrororganisationen zu blockieren. Aber auch wenn das schon mal beschlossen wurde, die Zeit entwickelt sich und es ist wichtig, dass sich die Staaten dieser gemeinsamen Ziele immer wieder versichern.
Müller: Es wundert mich ein bisschen, denn wir hatten ja vor ein paar Tagen auch die Beschlüsse des G20-Gipfels, das hieß ja dann ähnlich. Was Sie auch gerade angesprochen haben, Herr Jäger, Finanzströme austrocknen, auch Öltransporte, die Ölquellen in irgendeiner Form da kontrollieren beziehungsweise restriktiv behandeln, zu unterbinden, das gibt es bei jeder Resolution und bei jeder Rede. Warum ist das noch nicht längst passiert?
Jäger: Na ja, dass es das bei jeder Resolution gibt und geben muss sinnvollerweise, liegt daran, dass es eben keine Weltregierung gibt. Die Staaten kooperieren, wenn sie das wollen, und sie kooperieren nicht, wenn sie nicht müssen. Und da es niemanden gibt, der die internationalen Werte festsetzt oder auch sanktioniert, ist es wichtig, dass sich Staaten immer wieder versichern, dass sie am gemeinsamen Ziel festhalten.
Gleichzeitig aber verfolgen Staaten eben ganz unterschiedliche Interessen und verstehen möglicherweise was ganz Unterschiedliches unter diesen Formulierungen. Alle Staaten sind immer aufgerufen, die Demokratie umzusetzen, und es gibt eine ganze Reihe von Staaten, die sich als demokratisch bezeichnen, wo manche Demokraten Probleme hätten, das als Demokratie zu bezeichnen. Also, das ist die Spannung, die in der internationalen Politik immer herrscht.
Gleichzeitig aber verfolgen Staaten eben ganz unterschiedliche Interessen und verstehen möglicherweise was ganz Unterschiedliches unter diesen Formulierungen. Alle Staaten sind immer aufgerufen, die Demokratie umzusetzen, und es gibt eine ganze Reihe von Staaten, die sich als demokratisch bezeichnen, wo manche Demokraten Probleme hätten, das als Demokratie zu bezeichnen. Also, das ist die Spannung, die in der internationalen Politik immer herrscht.
Staaten verstehen unterschiedliches im Kampf mit dem IS
Müller: Es ist interessant, dass Sie das sagen, denn der normale Bürger, der sich mit der Thematik beschäftigt, der die Bilder sieht im Fernsehen, das Grauen sieht, den Terror sieht, kann sich doch nicht vorstellen, dass es irgendwo Staaten gibt, die das anders sehen?
Jäger: Ja, man meint dann immer, dass das, was zu Papier gebracht wurde, eins zu eins umgesetzt wird, das ist natürlich nicht so, es verstehen eben unterschiedliche Staaten Unterschiedliches im Kampf gegen IS. Nehmen Sie etwa die Meinungsverschiedenheiten mit Russland: Russland versteht darunter, die legitime Herrschaft des Regimes von Assad wiederherzustellen. Während Frankreich darunter versteht, die Opposition nicht nur gegen IS, sondern auch gegen Assad zu unterstützen. Das sind die unterschiedlichen politischen Interessen, die dann verhindern, dass man tief gehender kooperiert.
Müller: Aber gibt es Staaten, die den IS unterstützen?
IS ist allein lebensfähig ohne Staaten-Unterstützung
Jäger: Bisher hat er in der Geschichte eine ganze Reihe von Unterstützung aus den Golfmonarchien erhalten. Und momentan ist es so, dass er allein lebensfähig genug ist. Es ist eine reiche Terrororganisation, sie kann auf eine ganze Reihe von Ressourcen zurückgreifen, von Öl bis zu Antiquitäten. Es ist eine Organisation, die anziehend wirkt auf eine ganze Reihe von Menschen, es sind Tausende, die in das Kriegsgebiet sozusagen gewandert sind, um dort mitzukämpfen und an diesem Projekt eines Aufbaus eines Kalifats teilzunehmen. Das ist übrigens ein ganz interessanter Punkt dabei, man wird bei all den Vorgehensweisen gegen die Terrororganisation, die ja territorial festzumachen ist, darauf achten müssen, dass sie nicht zu einem Völkerrechtssubjekt wird. Dass man diesen Anspruch, Staat zu sein, abwehrt.
Keine Regierung gibt offen Unterstützung des IS zu
Müller: Herr Jäger, ich frage da noch mal nach: Wir hatten vor ein paar Tagen im Deutschlandfunk auch ein Interview mit Jean Asselborn, gern gesehener Gast hier bei uns im Deutschlandfunk, ebenfalls die Frage, wer unterstützt den IS. Dann hat er gezögert, hat nicht konkret geantwortet und hat gesagt, kann er jetzt nicht sagen. Hat suggeriert: Ja, aber Sie wissen es ja auch, Herr Müller. Habe ich gesagt, ich weiß es nicht. Er wollte sich jedenfalls nicht darauf einlassen. Ist es Katar?
Jäger: Das kann man so nicht sagen. Jedenfalls gibt es keine Regierung, die das offensichtlich verlautbart. Es gibt sicher eine ganze Reihe von Privatpersonen, die hier Spenden, wie man das so nennt, geben, die dies unterstützen. Aber der IS hat für eine ganze Reihe von Staaten eine Rolle gespielt in dem Machtkampf, der auf syrischen Gebiet und dann im Irak ausgetragen wurde.
Müller: Bedroht der IS – um hier noch mal nachzufragen –, bedroht der IS nicht alle Staaten in der Region? Also alle Regierungen, alle amtierenden Regierungen.
Jäger: Nein, das tut er nicht, denn es gibt selbstverständlich ... Und das ist, was ich am Anfang sagte, Staaten verfolgen unterschiedliche Interessen, Terrorgefahr ist ein Thema von ganz vielen. Es gibt eine ganze Reihe von wirtschaftlichen Interessen, die Staaten verfolgen, sie versuchen, Allianzen einzugehen und so weiter. Und deswegen orientieren sich Staaten in ihrem Handeln nicht nur daran, ob sie dieser Gefahr begegnen können. Insofern gilt das Wort, gerade im Kriegsgebiet Irak und Syrien, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist. Und angesichts dieser Komplexität dieser Konflikte haben in der Vergangenheit eine ganze Reihe von Personen zumindest den IS unterstützt, weil er eben der Feind des Feindes war. Das heißt noch lange nicht, dass es Verbündete sind oder dass das in einem Monat noch so sein muss.
Müller: Reden wir über die Amerikaner! Werden sich die Amerikaner, werden sich die USA jetzt gegen den IS stärker noch engagieren?
Jäger: Na ja, das sieht so nicht aus, als wäre die amerikanische Gesellschaft jetzt bereit, in Syrien wirklich mit voller Kriegskraft einzugreifen. Der amerikanische Präsident ist hier ziemlich eindeutig, es bleibt bei den Luftschlägen, die ja schon seit einem Jahr laufen, die intensiviert wurden, nachdem Russland sich eingemischt hat. Und man wird versuchen, in irgendeiner Weise Bodentruppen vor Ort zu finden, das heißt, man muss sehen, was in der ganzen Zeit nicht gelungen ist, so etwas wie eine freie syrische Armee aufzubauen. Möglicherweise ist das ein Projekt, an dem jetzt anders gearbeitet wird, als das bisher der Fall war, denn das war ja nun erfolglos. Und die ...
Müller: Wenn die Amerikaner das nicht machen, heißt das, dass die Russen immer gewichtiger, immer stärker werden in der Region?
Jäger: Nein, das muss es nicht notwendig heißen, denn Russland steht vor demselben Problem. Russland muss auch sehen, wie bekommt es irgendwelche Füße auf den Boden, ohne dass es die eigenen Füße sind. Jetzt gibt es da zwei Projekte, wenn ich das sehe, die Russland verfolgt, nämlich zum einen die syrische Armee, das heißt, Ersatztruppen, die allerdings als sehr geschwächt gelten. Und zum Zweiten arbeitet Russland an einer Allianz mit dem Iran und dann hätte man Truppen vor Ort, denn Iran könnte sich engagieren, das ist ja nun der unmittelbare geopolitische Vorhof des Iran. Aber ob die Iraner auf dieser Linie längerfristig bleiben, das ist aus meiner Sicht überhaupt nicht ausgemacht.
Müller: Dass es nur mit Bodentruppen geht, das sagen ja viele Experten, da sind sich viele Experten ja einig. Sie sagen, alle schauen jetzt, dass man vor Ort Truppen in irgendeiner Form zusammengestellt bekommt. Sehen Sie von irgendeinem arabischen Land das Signal, da reinzugehen?
Jäger: Im Moment nicht.
Müller: Also ändert sich auch nichts?
Jäger: Das wollte ich gerade sagen, das weiß ich nicht. Und das weiß niemand im Moment, weil wir nicht wissen, wie sich dieser Konflikt entwickelt. Und es ist stets so, dass in einer Phase, in der stark nach einer Lösung gesucht wird, in einer Phase, in der sich nun die Staaten zusammentun und mindestens auf der letzten Syrien-Konferenz zwei, drei Grundsätze festgeklopft haben, sich erst mal die Auseinandersetzungen verstärken. Und zwar deshalb, weil jeder jetzt versucht, in eine besonders günstige Ausgangssituation zu kommen. Also, auszuschließen ist das auf gar keinen Fall und alles hängt an einer Frage letztlich, nämlich ob sich die beiden Großmächte Russland und USA mit den regionalen Mächten Türkei, Iran und Saudi-Arabien auf eine politische Gestalt von Syrien und dem Irak einigen können, eine Ordnung, die möglicherweise berücksichtigt, dass es demilitarisierte Zonen gibt, dass es autonome Gebiete gibt. Und wenn diese Einigung getroffen ist, dann würde ich das nicht ausschließen. Solange die nicht getroffen ist, weiß jeder, dass der militärische Kampf geführt wird, ohne dass eine politische Strategie dahintersteckt.
Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Thomas Jäger von der Uni Köln.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.