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Kampf um Aleppo
"Kein Ende des Krieges, sondern nur eine neue Phase"

Im syrischen Aleppo zeichnet sich ein Sieg der Regierungstruppen ab. Das bedeute aber nicht das Ende des Krieges, sagte der Nahost-Experte Guido Steinberg im Deutschlandfunk. Das Assad-Regime habe zu wenige Soldaten, um die Gebiete im Süden des Landes zu kontrollieren. Eine nachhaltige Stabilisierung des Landes sei nicht in Sicht.

Guido Steinberg im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik.
    Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Stefan Heinlein: Heute in Paris noch einmal eine Syrienkonferenz mit hochrangiger Besetzung. Doch die Chancen auf eine politisch-diplomatische Lösung des Krieges sind offenbar gering. Trotz einer von Russland ausgerufenen Waffenruhe gehen die Kämpfe in Aleppo unvermindert weiter. Der Sieg der Regierungstruppen scheint nur noch eine Frage der Zeit. Die Rebellen haben sich inzwischen auf einen kleinen Teil aus der zweitgrößten syrischen Stadt zurückgezogen. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Guido Steinberg. Er ist Syrienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Steinberg!
    Guido Steinberg: Guten Morgen, Herr Heinlein!
    "Es gibt keinen Grund zu hoffen, dass diese Parteien jetzt einlenken"
    Heinlein: Wie viele Hoffnungen setzen Sie in die Gespräche heute in Paris beziehungsweise in die Expertenverhandlungen in Genf?
    Steinberg: Überhaupt keine. Es gibt ja nun seit Monaten Verhandlungen, vor allem Versuche des amerikanischen Außenministers Kerry, die Russen, die Syrer und die Iraner zu einem Einlenken zumindest zu verlängerten Waffenruhen zu bewegen. All diese Versuche sind gescheitert, und es gibt keinen Grund zu hoffen, dass diese Parteien jetzt einlenken. Sie wollen zunächst einmal Aleppo vollständig erobern, und wie Sie das eben gesagt haben, zeichnet sich auch ab, dass das in den nächsten Wochen und Monaten gelingen wird.
    Heinlein: Wie wichtig ist denn Aleppo, die zweitgrößte syrische Stadt, für den Verlauf dieses Krieges?
    Steinberg: Aleppo hat eine große symbolische Bedeutung, es war die einzige der großen fünf Städte in Syrien, in der die Aufständischen wirklich einen großen Teil erobert hatten. Dennoch wird eine Niederlage der Rebellen dort kein Ende des Krieges bedeuten, sondern nur eine neue Phase. Sie sind noch stark in der Provinz Idlib, die liegt im Südwesten von Aleppo, und die wird fast vollständig von den Aufständischen dominiert – das ist eine alte Hochburg der Islamisten im Land –, aber es gibt auch noch ein großes Gebiet im Süden des Landes, südlich von Damaskus hin zur israelischen und hin zur jordanischen Grenze, in dem die Aufständischen auch noch sehr stark sind. Es wird sicherlich sehr lange dauern, bis das Regime auch dort wieder die Oberhand gewinnen wird, und dann werden wir einen sehr, sehr langen Abnutzungskrieg zwischen kleineren aufständischen Verbänden und der Regierung sehen.
    "Regime und die Russen werden Kampf Richtung Idlib tragen"
    Heinlein: Sie sagten, nach dem wahrscheinlichen Fall von Aleppo beginnt eine neue Phase des Krieges. Was genau meinen Sie damit, wie könnte diese Phase aussehen?
    Steinberg: Zunächst einmal zeichnet sich jetzt schon ab, dass das Regime und die Russen den Kampf Richtung Idlib tragen werden. Es hat dort schon in den letzten Tagen verstärkte Luftangriffe gegeben, die ich so als eine Art Absichtserklärung ansehe, und dann werden sich die Aufständischen wieder mehr auf terroristische Aktivitäten verlegen. Sie werden dann von ihren Hochburgen im ländlichen Raum, die einfach nicht vollständig zu kontrollieren sind, wieder mehr Autobombenanschläge verüben, sie werden die Verbindungslinien des Regimes, also vor allem die großen Autobahnen angreifen. Das Regime hat trotz der im Moment scheinbaren Stärke ein ganz großes Problem: Es fehlt ihm nämlich an den nötigen Soldaten. Also auch wenn jetzt Aleppo eingenommen wird, wird es sehr, sehr schwer werden, all diese Gebiete und Städte wirklich zu kontrollieren. Da werden sich also sehr viele Räume, Handlungsräume ergeben für die Aufständischen. Und da die nun einmal auch personell sehr stark sind, wird es überhaupt keine Chance geben für eine nachhaltige Stabilisierung auch nur des Teils des Landes, der dann vom Regime kontrolliert werden wird.
    Heinlein: Autobombenanschläge haben Sie gesagt, das klingt so, als ob Syrien demnächst eine Phase von Terror und Gewalt droht, ähnlich wie wir es seit Jahren ja bereits im Irak oder in Afghanistan erleben.
    Steinberg: Ja, allerdings ist, glaube ich, der Vergleich mit Afghanistan der bessere, ganz einfach deshalb, weil wir im Irak einen großen Teil des Landes haben, der relativ stabil ist, also vor allem den Süden und das Zentrum des Landes, in dem die Regierung in Bagdad eine doch sehr weitgehende Unterstützung hat. Also der Irak hat sehr viel bessere Aussichten. Das Regime in Syrien hat ganz einfach eine sehr viel schmalere soziale Basis, und das liegt an der Demografie des Landes, im Irak sind es zu etwa 60 Prozent Schiiten die weitgehend die Regierung in Bagdad unterstützen, in Syrien sind das "nur", nur in Anführungsstrichen, städtische Mittelschichten, vor allem aber Christen, Aleviten, Drusen, also die religiösen Minderheiten. Das sind maximal 30 Prozent, 35 Prozent des Landes, bei denen Assad zumindest auf eine beschränkte Unterstützung hoffen kann. Und das macht die Situation in Syrien längerfristig sehr viel instabiler. Die Aufständischen haben einfach einen größeren Rekrutierungspool als das Regime, und das wird eine Schwäche sein, die das Regime nur dadurch beheben kann, dass russische Truppen, vor allem aber iranische, libanesische und irakische Milizen das Assad-Regime unterstützen. Und solche fremden Truppen machen nun einmal eine Kontrolle des Landes sehr, sehr schwer. Die werden als Besatzungstruppen angesehen werden, wie das jetzt im Moment schon der Fall ist.
    "Die Rückkehr von Flüchtlingen ist nur sehr begrenzt denkbar"
    Heinlein: Herr Steinberg, aus deutscher, aus europäischer Sicht interessiert ja vor allem, was bedeutet diese neue Situation für die Menschen in Syrien, gerade mit Blick auf Flucht? Ist denn eine Rückkehr von Menschen, von syrischen Flüchtlingen in das Land in absehbarer Zeit in der Situation, die Sie gerade geschildert haben, überhaupt denkbar?
    Steinberg: Also die Rückkehr von Flüchtlingen, die ist nur sehr, sehr begrenzt denkbar. Wir haben nun hier einen Flüchtlingsstrom erlebt in den letzten Jahren, der vor allem aus den Hochburgen der Aufständischen kommt, also aus Aleppo und den ländlichen Gebieten, aus Rakka, und das sind all die Gebiete, in denen die Lage nicht grundsätzlich besser werden wird. Wir werden es sicherlich erleben, dass diejenigen Gebiete, die im Moment vom Regime beherrscht werden, vor allem im Westen und im Süden des Landes, etwas stabiler werden, und die werden aber auch deshalb stabiler, weil das Regime auf eine Politik der Vertreibung gesetzt hat. Überall dort, wo die Rebellen stark sind, hat die Regierung ja nicht nur Gruppen wie die Nusra-Front oder die Ahrar al-Scham bekämpft, sondern das Regime hat ganz bewusst die Zivilbevölkerung in einer Art und Weise angegriffen, dass die Zivilbevölkerung zu einem großen Teil geflüchtet ist, und das wird natürlich all diese Leute nicht in ihre Heimat zurücklassen. Diese Leute wissen natürlich auch, dass für sie in der gegenwärtigen Situation dort kein Platz mehr sein wird. Also, die Situation wird sich nicht verbessern, sie wird sich allerdings wahrscheinlich die nächsten Jahre auch nicht grundsätzlich verschlimmern, weil dann doch die großen Städte mit so etwa zehn Millionen Menschen im Land so halbwegs stabil sein werden.
    Heinlein: Heute Morgen im Deutschlandfunk Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Steinberg, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und ein schönes Wochenende für Sie!
    Steinberg: Ich danke Ihnen auch, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.