Phyllis Zolotorow hat eine ganze Menge Krankheiten. Aber keine Krankenversicherung. Wir können es uns einfach nicht leisten, sagt sie und wedelt mit drei eng beschriebenen Seiten Papier, auf denen sie die Krankengeschichte ihrer Familie aufgelistet hat. Phyllis ist arbeitslos, die Familie lebt von der staatlichen Unterstützung, die ihr Mann bekommt, weil er seit einem Herzinfarkt arbeitsunfähig ist. 1100 Dollar haben die beiden im Monat für Miete, Lebensmittel und alles andere - das sind umgerechnet etwa 770 Euro.
Aussichten auf einen Job, der Geld und vielleicht sogar Krankenversicherung bringen würde, hat die 58-Jaehrige so gut wie keine. Wenn sie krank ist, geht sie nicht zum Arzt, sondern nimmt nicht verschreibungspflichtige Medikamente und hofft, dass es ihr irgendwann besser geht:
Phyllis aus der Nähe von Baltimore ist einer von etwa 46 Millionen Menschen in den USA, die nicht krankenversichert sind - das ist fast jeder sechste Bürger. Viele haben nicht das Geld dafür, andere könnten es sich leisten, aber sie werden von jeder der privaten Versicherungen abgelehnt, weil sie Vorerkrankungen haben. Die USA sind das einzige westliche Industrieland, das keine Grundversorgung für alle Bürger hat. Das ist ein unhaltbarer Zustand, sagt Präsident Barack Obama, der das Thema mit viel Leidenschaft und ein bisschen Pathos angeht:
"Unsere Nation akzeptiert nicht, dass fast 46 Millionen Frauen, Männer und Kinder nicht versichert sind. Unsere Nation lässt hart arbeitende Familien nicht ohne Schutz und wendet sich nicht von Menschen in Not ab. Unsere Nation sorgt sich um ihre Bürger - das macht die Vereinigten Staaten von Amerika aus."
Die Krankenversicherung aller Bürger ist der Kern der geplanten Gesundheitsreform. Aber die Probleme gehen weit darüber hinaus. Die USA geben so viel Geld für ihr Gesundheitswesen aus wie kein anderer Staat der Welt - 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - aber das bedeutet nicht immer gute Versorgung. Experten sind sich einig, dass das System nicht effizient genug arbeitet, sie beklagen zu hohe Verwaltungskosten und schlechtes Management, mangelhafte Versorgung und Geldverschwendung. Es gibt viel zu verbessern und weil das so ist, wird eine Reform riesige Summen kosten. Eine Billion Dollar werden es mindestens sein, manche Schätzungen sprechen von bis zu 1,6 Billionen.
Präsident Obama verspricht, dass zwei Drittel der Kosten allein dadurch reingeholt werden können, dass Missmanagement und Verschwendung abgeschafft werden. Keine Dreifach-Untersuchungen mehr, weil sich Ärzte nicht absprechen, keine teure Fußamputation mehr, nur weil niemand dem Diabetes-Patienten gesagt hat, worauf er bei seiner Ernährung achten muss.
Julie Fondorow greift in den Rollschrank neben sich und zieht eine neue Patientenakte heraus. Vor ihr sitzt ein Mittdreißiger, eigentlich sehr gesund, aber in seiner Familie gibt es viele Fälle von gefährlichem Bluthochdruck, der Mann will wissen, was er tun kann, um sein Risiko zu minimieren. Julie Fondorow ist Patientenberaterin am Bellin Health Krankenhaus in Green Bay, Wisconsin. Die Stadt erhielt ein Riesenlob, als Präsident Obama im Juni zu Besuch kam: wenn alle im Land so praktizieren würden wie in Green Bay, stünde es besser um das amerikanische Gesundheitssystem. Stimmt, sagt Pete Knox, Bellins Vize-Verwaltungsdirektor, und nennt ein Beispiel:
"Wenn die Versorgung der Patienten am Lebensende überall so wäre wie bei uns, könnten die Ausgaben im Gesundheitswesen insgesamt 30 Prozent niedriger sein."
Der Schlüssel zum Erfolg bei Bellin ist ein integriertes, eng vernetztes System aus Krankenhäusern, Hausärzten, und Experten, die sich gemeinsam um die Patienten kümmern. Da wird durchaus auch sanfter Druck ausgeübt, damit die Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und gesünder leben. Die Reaktionen sind sehr positiv, sagt Krankenhauschef George Kerwin:
"Die Patienten bedanken sich für die Hinweise, und sagen: Alleine hätten wir das nicht geschafft, aber durch Eure Bemühungen sind wir gesünder."
Wer sich in Green Bay, Wisconsin umschaut, der könnte meinen, es sei gar nicht so schwer, im amerikanischen Gesundheitssystem zu sparen. Aber selbst wenn zwei Drittel der Reform-Kosten durch weniger Verschwendung und Einsparungen abgedeckt wären - was viele bezweifeln - blieben immer noch Hunderte Milliarden Dollar, die bezahlt werden müssten. Woher in Zeiten der Rezession und eines gigantischen Staatsdefizits das Geld dafür kommen soll, darüber wird erbittert gestritten. Die Superreichen stärker zur Kasse bitten, Versicherungsleistungen des Arbeitgebers besteuern, Softdrinks stärker besteuern - all dies wird diskutiert. In Obamas eigener Partei, bei den Demokraten, gibt es viele, die sehr skeptisch sind, ob der Präsident den richtigen Kurs eingeschlagen hat. Deshalb können die Pläne durchaus scheitern, obwohl die Demokraten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat komfortable Mehrheiten haben. Gerade erst hat der Senat Obama einen Dämpfer verpasst: er wird erst nach der Sommerpause über ein Reformpaket abstimmen, nicht schon vorher, wie vom Präsidenten gewünscht.
Der Druck auf die Politiker ist enorm. Lobbygruppen stecken Millionen in Fernsehanzeigenkampagnen, private Krankenversicherer, die um ihr Monopol fürchten, belagern Abgeordnete und Senatoren. Umfragen sagen mal, dass 80 Prozent der versicherten Amerikaner mit ihrer Krankenversicherung zufrieden sind, dann wieder, dass 80 Prozent das System als kaputt empfinden. Von den Republikanern kann Obama wenig Kompromissbereitschaft erwarten. Viele glauben, dass es ihnen parteipolitisch mehr bringt "to go for the kill" - auf den Abschuss hinzuarbeiten. Der republikanische Senator Jim DeMint will die Gesundheitsreform zu Obamas Waterloo machen, ein Scheitern werde ihn brechen, prophezeit er: Barack Obamas Antwort:
"Hier geht es nicht um mich, sondern um ein Gesundheitssystem, das amerikanische Familien kaputt macht, das Firmen und die Wirtschaft kaputt macht."
Doch Obama kann sich nicht mehr sicher sein, dass die Amerikaner hinter ihm stehen. Die Zustimmung zu seiner Politik sinkt, er hat es bisher offensichtlich nicht geschafft, bei einer Mehrheit durchzukommen mit seiner Botschaft, dass ohne ein besseres Gesundheitssystem auch die amerikanische Wirtschaft nicht wieder auf die Beine kommen wird.
Aussichten auf einen Job, der Geld und vielleicht sogar Krankenversicherung bringen würde, hat die 58-Jaehrige so gut wie keine. Wenn sie krank ist, geht sie nicht zum Arzt, sondern nimmt nicht verschreibungspflichtige Medikamente und hofft, dass es ihr irgendwann besser geht:
Phyllis aus der Nähe von Baltimore ist einer von etwa 46 Millionen Menschen in den USA, die nicht krankenversichert sind - das ist fast jeder sechste Bürger. Viele haben nicht das Geld dafür, andere könnten es sich leisten, aber sie werden von jeder der privaten Versicherungen abgelehnt, weil sie Vorerkrankungen haben. Die USA sind das einzige westliche Industrieland, das keine Grundversorgung für alle Bürger hat. Das ist ein unhaltbarer Zustand, sagt Präsident Barack Obama, der das Thema mit viel Leidenschaft und ein bisschen Pathos angeht:
"Unsere Nation akzeptiert nicht, dass fast 46 Millionen Frauen, Männer und Kinder nicht versichert sind. Unsere Nation lässt hart arbeitende Familien nicht ohne Schutz und wendet sich nicht von Menschen in Not ab. Unsere Nation sorgt sich um ihre Bürger - das macht die Vereinigten Staaten von Amerika aus."
Die Krankenversicherung aller Bürger ist der Kern der geplanten Gesundheitsreform. Aber die Probleme gehen weit darüber hinaus. Die USA geben so viel Geld für ihr Gesundheitswesen aus wie kein anderer Staat der Welt - 17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts - aber das bedeutet nicht immer gute Versorgung. Experten sind sich einig, dass das System nicht effizient genug arbeitet, sie beklagen zu hohe Verwaltungskosten und schlechtes Management, mangelhafte Versorgung und Geldverschwendung. Es gibt viel zu verbessern und weil das so ist, wird eine Reform riesige Summen kosten. Eine Billion Dollar werden es mindestens sein, manche Schätzungen sprechen von bis zu 1,6 Billionen.
Präsident Obama verspricht, dass zwei Drittel der Kosten allein dadurch reingeholt werden können, dass Missmanagement und Verschwendung abgeschafft werden. Keine Dreifach-Untersuchungen mehr, weil sich Ärzte nicht absprechen, keine teure Fußamputation mehr, nur weil niemand dem Diabetes-Patienten gesagt hat, worauf er bei seiner Ernährung achten muss.
Julie Fondorow greift in den Rollschrank neben sich und zieht eine neue Patientenakte heraus. Vor ihr sitzt ein Mittdreißiger, eigentlich sehr gesund, aber in seiner Familie gibt es viele Fälle von gefährlichem Bluthochdruck, der Mann will wissen, was er tun kann, um sein Risiko zu minimieren. Julie Fondorow ist Patientenberaterin am Bellin Health Krankenhaus in Green Bay, Wisconsin. Die Stadt erhielt ein Riesenlob, als Präsident Obama im Juni zu Besuch kam: wenn alle im Land so praktizieren würden wie in Green Bay, stünde es besser um das amerikanische Gesundheitssystem. Stimmt, sagt Pete Knox, Bellins Vize-Verwaltungsdirektor, und nennt ein Beispiel:
"Wenn die Versorgung der Patienten am Lebensende überall so wäre wie bei uns, könnten die Ausgaben im Gesundheitswesen insgesamt 30 Prozent niedriger sein."
Der Schlüssel zum Erfolg bei Bellin ist ein integriertes, eng vernetztes System aus Krankenhäusern, Hausärzten, und Experten, die sich gemeinsam um die Patienten kümmern. Da wird durchaus auch sanfter Druck ausgeübt, damit die Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen gehen und gesünder leben. Die Reaktionen sind sehr positiv, sagt Krankenhauschef George Kerwin:
"Die Patienten bedanken sich für die Hinweise, und sagen: Alleine hätten wir das nicht geschafft, aber durch Eure Bemühungen sind wir gesünder."
Wer sich in Green Bay, Wisconsin umschaut, der könnte meinen, es sei gar nicht so schwer, im amerikanischen Gesundheitssystem zu sparen. Aber selbst wenn zwei Drittel der Reform-Kosten durch weniger Verschwendung und Einsparungen abgedeckt wären - was viele bezweifeln - blieben immer noch Hunderte Milliarden Dollar, die bezahlt werden müssten. Woher in Zeiten der Rezession und eines gigantischen Staatsdefizits das Geld dafür kommen soll, darüber wird erbittert gestritten. Die Superreichen stärker zur Kasse bitten, Versicherungsleistungen des Arbeitgebers besteuern, Softdrinks stärker besteuern - all dies wird diskutiert. In Obamas eigener Partei, bei den Demokraten, gibt es viele, die sehr skeptisch sind, ob der Präsident den richtigen Kurs eingeschlagen hat. Deshalb können die Pläne durchaus scheitern, obwohl die Demokraten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat komfortable Mehrheiten haben. Gerade erst hat der Senat Obama einen Dämpfer verpasst: er wird erst nach der Sommerpause über ein Reformpaket abstimmen, nicht schon vorher, wie vom Präsidenten gewünscht.
Der Druck auf die Politiker ist enorm. Lobbygruppen stecken Millionen in Fernsehanzeigenkampagnen, private Krankenversicherer, die um ihr Monopol fürchten, belagern Abgeordnete und Senatoren. Umfragen sagen mal, dass 80 Prozent der versicherten Amerikaner mit ihrer Krankenversicherung zufrieden sind, dann wieder, dass 80 Prozent das System als kaputt empfinden. Von den Republikanern kann Obama wenig Kompromissbereitschaft erwarten. Viele glauben, dass es ihnen parteipolitisch mehr bringt "to go for the kill" - auf den Abschuss hinzuarbeiten. Der republikanische Senator Jim DeMint will die Gesundheitsreform zu Obamas Waterloo machen, ein Scheitern werde ihn brechen, prophezeit er: Barack Obamas Antwort:
"Hier geht es nicht um mich, sondern um ein Gesundheitssystem, das amerikanische Familien kaputt macht, das Firmen und die Wirtschaft kaputt macht."
Doch Obama kann sich nicht mehr sicher sein, dass die Amerikaner hinter ihm stehen. Die Zustimmung zu seiner Politik sinkt, er hat es bisher offensichtlich nicht geschafft, bei einer Mehrheit durchzukommen mit seiner Botschaft, dass ohne ein besseres Gesundheitssystem auch die amerikanische Wirtschaft nicht wieder auf die Beine kommen wird.