Der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete Stefan Kaufmann macht das, was man gemeinhin Kärrnerarbeit nennt: Straßenwahlkampf. Er ist in den Stuttgarter Stadtteilen unterwegs, auf Märkten, in Straßenbahnen und an diesem Nachmittag beim Schwäbischen Albverein, Ortsgruppe Heslach, die im Hinterhof einer Weinstube ihr Sommerfest feiert:
"Das ist so ein klassisches Fest eines alten Heslacher Vereins. Und gute Stimmung, die meisten Leute kenne ich von anderen Festen."
Tatsächlich ist der gutbürgerliche Verein eine Art Relikt im Stuttgarter Westen. Denn ansonsten ist der Stadtteil fest in der Hand junger, urbaner Stuttgarter, die heute überwiegend Grün wählen. Die Schwabenmetropole hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Hochburg der Grünen entwickelt. Ein Grund dafür war die Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Ein anderer, dass sich hier eine bunte, offene Gesellschaft entwickelt hat, in der CDU jedoch Erzkonservative wie Gerhardt Mayer-Vorfelder lange Zeit die Fäden in der Hand hielten. Beim Albverein in Heslach aber ist der 44-jährige CDU-Abgeordnete willkommen. Er hat seine Krawatte abgelegt, das Sakko über den Arm geworfen und schüttelt Hände:
"Mit dem Herrn Kaufmann schwätze ich immer. Das ist ein alter Freund von uns, den sehen wir auf allen Festen, und der ist immer wieder lustig (…) - Ha der, den kennen wir halt, der kommt ja überall rum."
Zur gleichen Zeit ein bisschen außerhalb des Stuttgarter Talkessels. Stefan Kaufmanns Mitbewerber um das Direktmandat in Stuttgart ist Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Er ist bereits vor vier Jahren gegen Kaufmann angetreten, ist damals aber mit einem Rückstand von 4.600 Stimmen knapp gescheitert. Jetzt hält der Politiker mit den markanten Koteletten in einem Bürgerzentrum, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist, eine Wahlkampfrede.
"Und es wird bei dieser Wahl ganz besonders auf das grüne Wahlergebnis ankommen, dass es möglichst starke Grüne gibt, am liebsten in der Regierung, und wenn es wider Erwarten dafür nicht reicht, dann als eine möglichst starke Opposition, die, wer immer dann halt regiert, dafür sorgt, dass unsere Inhalte nicht vergessen werden."
Routiniert streift er in nur 20 Minuten Energiewende, Verkehrs- und Familienpolitik, Integration und natürlich die umstrittenen grünen Steuerpläne, um die es auch in der anschließenden Diskussion geht:
"Wenn man von einer Mittelschicht spricht, die bei 18.000 Euro Einkommen anfängt, dann ist das in meinen Augen keine Mittelschicht mehr. Aber dass bei 48.000 Euro Einkommen die Mittelschicht endet, das findet ich ein bisschen arg heftig."
Eine Frage, die viele Stuttgarter bewegt, denn in der Autostadt verdienen die Menschen im Durchschnitt mehr als anderswo, und ein Jahreseinkommen von mehr als 48.000 Euro ist keine Seltenheit. Özdemir hat zwar auf alle Fragen eine Antwort, aber die auf die Frage nach den Steuerplänen bleibt allgemein:
"Über 90 Prozent der Steuerzahler werden durch die Vorschläge von den Grünen nicht be-, sondern entlastet, und logischerweise ist bei diesen 90 Prozent auch der Mittelstand dabei."
Dennoch: Am Ende sind die meisten der gut 100 Zuhörer zufrieden. Cem Özdemir, den viele hier bis jetzt nur aus dem Fernsehen kannten, ist im direkten Kontakt überzeugend und strahlt Kompetenz aus, auch wenn er die Steuer-Frage nicht wirklich beantwortet hat:
"Mit der Antwort war ich nicht ganz zufrieden, weil es gab doch nicht das Bekenntnis zur Steuererhöhung für die Mittelschicht. Aber es ist trotzdem besser, wenn man mit den Leuten persönlich sprechen kann. Ich fand interessant, ihn mal so persönlich zu erleben."
Özdemir kommt gut an, das Direktmandat aber ist für ihn kein Spaziergang. Seine Prominenz hat ihm bereits vor vier Jahren wenig genutzt, obwohl Stefan Kaufmann damals noch weitgehend unbekannt war. Der Grüne hat seitdem zwar viele Termine in Stuttgart wahrgenommen, traf aber nicht immer auf zustimmenden Applaus. Als er sich beispielsweise auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 mit einem Hubschrauber zu einer Fernsehsendung im Talkessel einfliegen ließ, musste er sich lauten Spott gefallen lassen:
"Mich reuen viele Sachen, wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein. Wie sagt man immer so schön: Nach dem Rathaus ist man klüger wie vor dem Rathaus."
Und auch die Stuttgarter CDU hat dazugelernt. Denn sein Mitbewerber Stefan Kaufmann ist alles andere als ein typischer Vertreter der alten CDU.
"Ich stehe für eine CDU, die sich auch in den Großstädten öffnen muss. Das sage ich auch ganz bewusst, ich möchte die Partei von innen heraus modernisieren."
Kaufmann ist bekennender Homosexueller, er hat sich bundesweit einen Namen gemacht in der Diskussion um die Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Paare. Auf dem Sommerfest des Albvereins ist das kein Thema. Und doch steht er für eine neue CDU in der Landeshauptstadt, die auch für Bürger, die sonst eher zu den Grünen tendieren, wählbar sein will:
"Wahlkreis Stuttgart I gilt als einer der spannendsten in ganz Deutschland. Auf der anderen Seite war ich vor vier Jahren nahezu unbekannt und habe jetzt nicht nur eine größere mediale Aufmerksamkeit, sondern habe auch sehr viele Leute noch mal persönlich getroffen."
Hier der Exot innerhalb der CDU, dort der grüne Realo, der - nach Freiburg – in Baden-Württemberg das zweite Direktmandant für die Grünen holen will. Hier der gebürtige Stuttgarter Kaufmann, dort der anatolische Schwabe aus Bad Urach – wie sich Özdemir selbst nennt – mit dem Lebensmittelpunkt in Berlin. Spannend wird das Rennen in jedem Fall. Und es geht um viel: für den CDU-Kandidaten um den Wiedereinzug in den Bundestag, wohin auch der grüne Parteichef nach jahrelanger Abstinenz wieder will. Özdemirs Abschneiden aber ist auch ein Stimmungstest für die Grünen weit über Stuttgart hinaus: Können sie ihren Höhenflug fortsetzen? Im Stuttgarter Gemeinderat sind sie seit 2009 stärkste Fraktion. Der baden-württembergische Ministerpräsident ist ein Grüner und auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Was nun noch fehlt, ist nach dem 22. September ein grüner Direktkandidat.
"Das ist so ein klassisches Fest eines alten Heslacher Vereins. Und gute Stimmung, die meisten Leute kenne ich von anderen Festen."
Tatsächlich ist der gutbürgerliche Verein eine Art Relikt im Stuttgarter Westen. Denn ansonsten ist der Stadtteil fest in der Hand junger, urbaner Stuttgarter, die heute überwiegend Grün wählen. Die Schwabenmetropole hat sich in den vergangenen Jahren zu einer Hochburg der Grünen entwickelt. Ein Grund dafür war die Auseinandersetzung um Stuttgart 21. Ein anderer, dass sich hier eine bunte, offene Gesellschaft entwickelt hat, in der CDU jedoch Erzkonservative wie Gerhardt Mayer-Vorfelder lange Zeit die Fäden in der Hand hielten. Beim Albverein in Heslach aber ist der 44-jährige CDU-Abgeordnete willkommen. Er hat seine Krawatte abgelegt, das Sakko über den Arm geworfen und schüttelt Hände:
"Mit dem Herrn Kaufmann schwätze ich immer. Das ist ein alter Freund von uns, den sehen wir auf allen Festen, und der ist immer wieder lustig (…) - Ha der, den kennen wir halt, der kommt ja überall rum."
Zur gleichen Zeit ein bisschen außerhalb des Stuttgarter Talkessels. Stefan Kaufmanns Mitbewerber um das Direktmandat in Stuttgart ist Grünen-Parteichef Cem Özdemir. Er ist bereits vor vier Jahren gegen Kaufmann angetreten, ist damals aber mit einem Rückstand von 4.600 Stimmen knapp gescheitert. Jetzt hält der Politiker mit den markanten Koteletten in einem Bürgerzentrum, das bis auf den letzten Platz gefüllt ist, eine Wahlkampfrede.
"Und es wird bei dieser Wahl ganz besonders auf das grüne Wahlergebnis ankommen, dass es möglichst starke Grüne gibt, am liebsten in der Regierung, und wenn es wider Erwarten dafür nicht reicht, dann als eine möglichst starke Opposition, die, wer immer dann halt regiert, dafür sorgt, dass unsere Inhalte nicht vergessen werden."
Routiniert streift er in nur 20 Minuten Energiewende, Verkehrs- und Familienpolitik, Integration und natürlich die umstrittenen grünen Steuerpläne, um die es auch in der anschließenden Diskussion geht:
"Wenn man von einer Mittelschicht spricht, die bei 18.000 Euro Einkommen anfängt, dann ist das in meinen Augen keine Mittelschicht mehr. Aber dass bei 48.000 Euro Einkommen die Mittelschicht endet, das findet ich ein bisschen arg heftig."
Eine Frage, die viele Stuttgarter bewegt, denn in der Autostadt verdienen die Menschen im Durchschnitt mehr als anderswo, und ein Jahreseinkommen von mehr als 48.000 Euro ist keine Seltenheit. Özdemir hat zwar auf alle Fragen eine Antwort, aber die auf die Frage nach den Steuerplänen bleibt allgemein:
"Über 90 Prozent der Steuerzahler werden durch die Vorschläge von den Grünen nicht be-, sondern entlastet, und logischerweise ist bei diesen 90 Prozent auch der Mittelstand dabei."
Dennoch: Am Ende sind die meisten der gut 100 Zuhörer zufrieden. Cem Özdemir, den viele hier bis jetzt nur aus dem Fernsehen kannten, ist im direkten Kontakt überzeugend und strahlt Kompetenz aus, auch wenn er die Steuer-Frage nicht wirklich beantwortet hat:
"Mit der Antwort war ich nicht ganz zufrieden, weil es gab doch nicht das Bekenntnis zur Steuererhöhung für die Mittelschicht. Aber es ist trotzdem besser, wenn man mit den Leuten persönlich sprechen kann. Ich fand interessant, ihn mal so persönlich zu erleben."
Özdemir kommt gut an, das Direktmandat aber ist für ihn kein Spaziergang. Seine Prominenz hat ihm bereits vor vier Jahren wenig genutzt, obwohl Stefan Kaufmann damals noch weitgehend unbekannt war. Der Grüne hat seitdem zwar viele Termine in Stuttgart wahrgenommen, traf aber nicht immer auf zustimmenden Applaus. Als er sich beispielsweise auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung um Stuttgart 21 mit einem Hubschrauber zu einer Fernsehsendung im Talkessel einfliegen ließ, musste er sich lauten Spott gefallen lassen:
"Mich reuen viele Sachen, wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein. Wie sagt man immer so schön: Nach dem Rathaus ist man klüger wie vor dem Rathaus."
Und auch die Stuttgarter CDU hat dazugelernt. Denn sein Mitbewerber Stefan Kaufmann ist alles andere als ein typischer Vertreter der alten CDU.
"Ich stehe für eine CDU, die sich auch in den Großstädten öffnen muss. Das sage ich auch ganz bewusst, ich möchte die Partei von innen heraus modernisieren."
Kaufmann ist bekennender Homosexueller, er hat sich bundesweit einen Namen gemacht in der Diskussion um die Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Paare. Auf dem Sommerfest des Albvereins ist das kein Thema. Und doch steht er für eine neue CDU in der Landeshauptstadt, die auch für Bürger, die sonst eher zu den Grünen tendieren, wählbar sein will:
"Wahlkreis Stuttgart I gilt als einer der spannendsten in ganz Deutschland. Auf der anderen Seite war ich vor vier Jahren nahezu unbekannt und habe jetzt nicht nur eine größere mediale Aufmerksamkeit, sondern habe auch sehr viele Leute noch mal persönlich getroffen."
Hier der Exot innerhalb der CDU, dort der grüne Realo, der - nach Freiburg – in Baden-Württemberg das zweite Direktmandant für die Grünen holen will. Hier der gebürtige Stuttgarter Kaufmann, dort der anatolische Schwabe aus Bad Urach – wie sich Özdemir selbst nennt – mit dem Lebensmittelpunkt in Berlin. Spannend wird das Rennen in jedem Fall. Und es geht um viel: für den CDU-Kandidaten um den Wiedereinzug in den Bundestag, wohin auch der grüne Parteichef nach jahrelanger Abstinenz wieder will. Özdemirs Abschneiden aber ist auch ein Stimmungstest für die Grünen weit über Stuttgart hinaus: Können sie ihren Höhenflug fortsetzen? Im Stuttgarter Gemeinderat sind sie seit 2009 stärkste Fraktion. Der baden-württembergische Ministerpräsident ist ein Grüner und auch der Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn. Was nun noch fehlt, ist nach dem 22. September ein grüner Direktkandidat.