Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz befürchtet, dass der IS bei der Verteidigung Mossuls chemische Waffen einsetzen könnte. Davon wäre auch die Bevölkerung betroffen. Ein IKRK-Sprecher sagte in Genf, rund um Mossul würden Krankenstationen vorbereitet, in denen Opfer chemischer Angriffe behandelt werden könnten. Zudem verteile man Schutzmasken.
Das UNO-Büro zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) rechnet mit bis zu einer Millionen Flüchtlinge. Hilfsorganisationen wie Unicef und die Diakonie Katastrophenhilfe bringen bereits Notunterkünfte, Medikamente und Nahrung in die Region. Mobile Teams sollen traumatisierte und verletzte Kinder betreuen.
"Extremer Gefahr ausgesetzt"
Ein Unicef-Sprecher sagte der Deutschen Presse-Agentur, mehr als 500.000 Kinder und ihre Familien in Mossul könnten in den kommenden Wochen extremer Gefahr ausgesetzt sein. Viele Mädchen und Jungen könnten vertrieben werden, zwischen die Frontlinien oder ins Kreuzfeuer geraten.
Der chaldäisch-irakische Weihbischof Shlemon Warduni aus Bagdad appellierte an die Kriegsparteien, auf Rachaakte an der Bevölkerung zu verzichten. Es sei wichtig, dass in einem befreiten Mossul nicht eine ethnische Gruppe über die andere triumphiere, sagte Warduni dem "Radio Vatikan". So lange es Hass und Rache gebe, sei an eine Rückkehr vertriebener Christen nach Mossul nicht zu denken.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verweist auf frühere schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen paramilitärischer schiitischen Milizen und Regierungstruppen im Irak, so etwa bei Einsätzen um die irakische Stadt Falludscha. Amnesty spricht unter anderem von Folter, willkürlichen Inhaftierungen und außergerichtlichen Hinrichtungen. Beim Militäreinsatz zur Rückeroberung Mossuls bestehe die Gefahr erneuter schwerer Menschenrechtsverletzungen.
Der Journalist Martin Gerner verwies in einem Interview im Deutschlandfunk auf zahlreiche unterschiedliche Interessen im Irak und fragte: "Was geschieht mit der Zivilbevölkerung?" Der Angriff sei ein Lackmustest, ob der Irak als Staat eine Zukunft hat.
Die türkische Armee greift ein
Am zweiten Tag der Offensive gegen Mossul griff nach Angaben aus Ankara auch die Türkei ein. Regierungschef Binali Yildirim sagte im Fernsehen, türkische Flugzeuge hätten sich an Lufteinsätzen der Koalition beteiligt. Einzelheiten nannte er nicht. Die Regierung in Bagdad hatte eine türkische Militärpräsenz im Irak bislang abgelehnt. Nun soll der Streit zwischen den beiden Ländern offenbar auf diplomatischem Wege beendet werden: Das türkische Außenministerium kündigte an, man erwarte noch für diese Woche den Besuch einer irakischen Delegation in Ankara.
Frankreich und der Irak kündigten zudem für Donnerstag ein internationales Treffen zur Zukunft Mossuls an. Der französische Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte in Paris, zu der Konferenz seien die Außenminister von rund 20 Ländern geladen.
Der Start der Offensive gegen die vom IS beherrschte Stadt ist offenbar ein Erfolg: "Der erste Tag lief gut", sagte Pentagon-Sprecher Peter Cook in Washington. Man rechne jedoch mit großem Widerstand durch den IS, denn Mossul sei dessen letzte Bastion. Die Terroristen hatten die Millionenstadt Mossul im Juni 2014 vollständig unter ihre Kontrolle gebracht. Die irakische Armee nahm nun zwölf Orte südlich von Mossul ein, kurdische Peschmerga sieben Dörfer östlich der Stadt, berichtet ARD-Korrespondentin Anna Osius.
Entscheidende Phase im Kampf gegen den IS
Irakische Sicherheitskräfte hatten gestern im Schutze der Dunkelheit mit dem Angriff begonnen. Die von Washington angeführte Anti-IS-Koalition unterstützt die Regierungstruppen und kurdische Peschmerga-Kämpfer mit Luftangriffen, Artillerie und Ausbildung. Die seit Monaten vorbereitete Großoffensive auf die Stadt ist die entscheidende Phase im Kampf gegen die Extremisten.
Die Einnahme der Stadt, in der einmal fast drei Millionen Menschen lebten, käme laut Beobachtern zumindest im Irak einer militärischen Vernichtung des IS gleich. "Es ist jedenfalls, wie es scheint, der Anfang vom Ende der territorialen Ausdehnung des IS im Irak und seines Staatsprojekts im Irak", sagte Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk. Der Nahost-Experte Udo Steinbach sagte im DLF, mit dem Zurückdrängen durch die Armee sei "das Thema Irak dann abgehakt" für den sogenannten Islamischen Staat.
(mg/tzi)