Bisher hielten sie sich zurück; jetzt greifen sie ein: Schiitische Milizionäre starteten eine Offensive gegen IS-Kämpfer in der Stadt Tel Afar. Die Luftwaffe des Irak unterstützt den Angriff; am Boden werden die schiitischen Milizionäre von Spezialkräften aus dem ebenfalls schiitischen Iran beraten. Und das gilt als fragwürdig.
Zwar war Tel Afar bis zum Vormarsch des IS, 2014, überwiegend turkmensich-schiitisch, aber grundsätzlich stoßen die Schiiten in Mossul und Umgebung auf eine mehrheitlich sunnitische Bevölkerung; religiös-politische Spannungen könnten die Folge sein. Vor dem Erstarken des IS, im Frühsommer vor zwei Jahren, lebten in Mossul und der dazugehörigen Provinz Niniva zu 80 Prozent Sunniten. Und die wurden von den Schiiten, die die Politik in Bagdad bestimmen, diskriminiert.
Sunniten warnen vor weiteren Rachefeldzügen
Deshalb sahen 2014, als der IS auftauchte, viele Menschen in Mossul in der Terrororganisation eine Alternative; der ebenfalls sunnitische IS wurde unterstützt, man hielt ihn für besser als die schiitischen Politiker in Bagdad. Der IS hat seinerseits alle Schiiten zu Ungläubigen erklärt; im Zuge dessen haben seine Anhänger viele Schiiten im Irak umgebracht.
Dafür haben schiitische Milizionäre bei der Rückeroberung von anderen Dörfern und Städten, die der IS 2014 besetzt hatte, Rache genommen an Sunniten. Sie – und auch ihre Fürsprecher, wie zum Beispiel die türkische Regierung - haben mehrfach vor weiteren Rachefeldzügen gewarnt, wie auch davor, dass die schiitisch geprägte Führung in Bagdad den Kampf um Mossul dazu nutzt, das Bevölkerungsgefüge zu ändern.
Schiitische Milizionäre wollen sich auf Tel Afar konzentrieren
Die irakische Regierung hält dem entgegen: Sie erklärte in den vergangenen Wochen mehrfach, die schiitischen Milizen sollten nicht nach Mossul einrücken. Ein Sprecher der schiitischen Milizionäre, die den IS in Tel Afar attackieren, versicherte nun noch einmal, dass es bei diesem Beschluss bleibt; die Milizionäre würden sich auf die einst turkmenisch-schiitische Stadt Tel Afar konzentrieren. Und auf die Sicherung der westlichen Grenze mit Syrien.
Bisher war der Westen von Mossul ein potenzielles Ausweichgebiet für IS-Kämpfer, die Mossul verlassen wollten: Aus allen drei anderen Himmelsrichtungen hatte sie das Bündnis aus Kurden, sunnitischen Milizionären und irakischer Armee angegriffen; aber die Westflanke blieb offen. Das hatte Spekulationen angeheizt: Darüber, ob der IS aus Mossul heraus getrieben werden soll, damit es nicht in der Stadt zu allzu heftigen Kämpfen kommt, mit großen Gefahren für die Zivilbevölkerung.
Manche Analytiker sahen in der offenen Westflanke von Mossul noch etwas anderes: Die Möglichkeit, dass schon bald eine zweite Offensive startet gegen Raqqa. Die Stadt, die gut 200 Kilometer von Mossul entfernt liegt, ist die IS-Hochburg in Syrien. Damit Raqqa aber nicht zum Fluchtpunkt für IS-Kämpfer aus Mossul wird, müsste auch ein Angriff in diese Richtung kommen. Spekulationen: Die werden mit der jetzigen Offensive gegen den IS in Tel Afar nicht enden.