Es ist der 30. Januar. Gegen Ende des Abendgebetes kommt der Schütze in das Islamische Kulturzentrum von Quebec und eröffnet das Feuer. Sechs Menschen sterben. Wir sind keine Insel, wird Philippe Couillard, der Premier der Provinz, später sagen.
Nicht nur Quebec, ganz Kanada ist keine Insel der Glückseligen, die weit entfernt ist von rechtsextremistischen Übergriffen wie denen Charlottesville, Virgina. So sieht es Professorin Barbara Perry von der University of Ontario, Autorin von Büchern wie: "In the Name of Hate", "Im Namen des Hasses - Hassverbrechen verstehen".
"Die extreme Rechte wird auch in Kanada immer mutiger. Das haben wir vor und nach der letzten Wahl gesehen. Es begann mit Werbebroschüren in den Straßen. Es eskalierte dann bis hin zu den 'Sons of Odin', den 'Soldiers of Odin', die die Straßen patrouillieren. Sie sind sehr viel sichtbarer."
Die "Söhne Odins" und die "Soldaten Odins" oder "La Meute", die Meute mit geschätzten 43.000 Mitgliedern, gehören zu den Gruppen vom rechten Spektrum. Manche reinigen Parks und Spielplätze, sie demonstrieren, manche kontrollieren als selbst ernannte Wächter Stadtteile und sprechen sich gegen den radikalen Islam und das Gesetz der Scharia aus.
In ihrer Studie von 2015 geht die Forscherin Barbara Perry von rund 100 rechtsextremen Gruppen aus, sagt sie im Interview mit dem kanadischen Sender CTV.
"Über das vergangene Jahr gab es einen dramatischen Zuwachs. Um 30 Prozent würde ich schätzen. Es sind neue Gruppen, die überall im Land auftauchen und vor allem in den größeren Städten."
Sie werden mehr. Und sie werden sichtbarer. Mit Kundgebungen etwa in Toronto in der kommenden Woche, auch in Vancouver und Calgary, listet Perry auf. Nach den rassistischen Ausschreitungen in Charlottesville hatte Kanadas Premier Trudeau am Sonntag getwittert, er wisse, das Kanada nicht immun sei gegen rassistische Gewalt und Hass.
"Sie sind alle in Kanada willkommen"
Bei der Trauerfeier für die Opfer von Quebec hatte Trudeau im Februar nach dem Friedensgruß an das Miteinander der vielen Kulturen appelliert. Die Vielfalt Kanadas ist das Credo des Premiers - auch bei der 150-Jahr-Feier des Landes am 1. Juli.
"Egal, wo Sie herkommen, welcher Religion sie folgen oder wen Sie lieben. Sie alle sind in Kanada willkommen."
Die USA haben einen Präsidenten, der nur zögerlich und zu spät rassistische Überfälle verurteilt. Die Kanadier hätten dagegen einen Premier, der den Rechten ein Dorn im Auge ist, so Barbara Perry im CTV-Interview. Schon bei der Gedenkveranstaltung für die Toten und Verletzten des Islamischen Kulturzentrums wehrte sich der Psychologe Tarek Younis aus Quebec dagegen, dass rechtsextreme Taten bloß brutale Einzelfälle seien.
"Solche Taten geschehen nicht in einem Vakuum. Es gibt die Wut über ein Klima, das - so fühlen viele - Muslime und den Islam seit Jahren verunglimpft hat."
Nach dem Anschlag, so hat es der Moscheevorsitzende Mohamed Labidi vergangenen Monat berichtet, habe die Zahl vom Schmäh-Mails nicht etwa ab-, sondern vielmehr zugenommen. Inzwischen seien es ein bis zwei pro Woche.