"Zukünftige Heimat eines Endlagers in tiefen geologischen Formationen". Was auf dem Schild am Rande des 11.000-Seelen-Städtchens Kincardine in der kanadischen Provinz Ontario steht, berührt Kanadier und Amerikaner zugleich: Hier soll demnächst das erste unterirdische Endlager für schwach und mittelaktiven Atommüll in Nordamerika entstehen, doch der Standort in unmittelbarer Nähe des Huron Sees ist umstritten. Eine enorme Gefahr für die riesigen Süßwasserreserven, warnen Umweltschützer und Politiker aller Coleur.
"Radioaktiven Müll ungefähr einen Kilometer entfernt von der Küste der Großen Seen und dem Trinkwasser von 40 Millionen Kanadiern und Amerikanern zu lagern, entbehrt jeder Vernunft",
sagt Beverly Fernandez. Dem neuen kanadischen Premierminister Justin Trudeau übergab die kanadische Anti-Nuklear-Aktivistin vorige Woche mehr als 90.000 Unterschriften, die sie gesammelt hatte.
Es ist kein Zufall, dass die Debatte über das Endlager gerade jetzt an Schärfe zunimmt: Catherine McKenna, die neue kanadische Umweltschutzministerin, will am 1. März dieses Jahres eine Entscheidung für die Zukunft des Projektes treffen – oder gegen sie.
Argumente für ein Endlager
Es ist die größte Herausforderung der liberalen Regierung in Ottawa seit ihrer Amtsübernahme im vergangenen November – und die Vertreter der Nuklearbranche hoffen auf grünes Licht.
"Unsere Forschungen zeigen, dass unser Projekt keinen Schaden anrichten wird. Die Grundwasserressourcen und die Großen Seen sind jederzeit geschützt",
sagt Mark Jensen, der Forschungsleiter des Endlagers. Schon im Mai vorigen Jahres hatte sich ein Ausschuss der kanadischen Kommission für nukleare Sicherheit nach jahrelangen Studien und Diskussionen für den Standort ausgesprochen. 200.000 Kubikmeter verstrahlten Mülls 680 Meter tief unter der Erde dort in Kalkgestein zu lagern berge ein "niedriges Risiko".
Weil sich der Fels seit Millionen von Jahren nicht bewegt habe und keine wasserdurchlässigen Risse zeige, sei der Bau des Endlagers in Kincardine die "bevorzugte Lösung", entschied der Ausschuss – zum Unwillen von Beverly Fernandez.
Für die Nuklearbranche ist Kincardine auch aus anderen Gründen praktisch: Hier befindet sich Bruce Power, eine der größten Atomanlagen der Welt. Ein Großteil des verstrahlten Abfalls der Anlage, die 60 Prozent des Stroms in Ontario liefert, wird bereits auf dem Betriebsgelände von Bruce Power zwischengelagert – und braucht nicht weit transportiert zu werden.
Gemischte Gefühle bei der Bevölkerung
Außerdem befürworten die meisten Anwohner das Projekt – Bruce Power ist der größte Arbeitgeber der Gegend. Während sich die Einwohner Kincardines auf die Mehrarbeit freuen, wollen die Bewohner anderer Regionen in der Nähe der großen Seen nichts mit der Aufbewahrung des Mülls zu tun haben. So sprachen sich Vertreter 180 kanadischer und US amerikanischer Städte, darunter Toronto, Detroit und Chicago, kürzlich gegen den Standort für das Endlager aus. Dan Kildee, Kongressabgeordneter des US Bundesstaates Michigan:
"Kommt es dort zu einer unbeabsichtigten Freisetzung von Radioaktivität, vielleicht einem Fehler, könnten die großen Seen auf lange Zeit verschmutzt werden. Wie sollen wir damit umgehen? Das geht doch nicht."
Müll ohne Aufsicht
Gemeinsam mit acht Bundesstaaten, darunter New York, Pennsylvania und Michigan, haben auch die kanadischen Provinzen Ontario und Quebec bei der kanadischen Regierung Einspruch gegen den Bau des Endlagers erhoben.
Problematisch sei unter anderem, dass der Müll langfristig nicht genau beobachtet und im Ernstfall zurückgeholt werden kann, sagt Gordon Edwards, Leiter der Canadian Coalition for Nuclear Responsibility, eine Anti-Atomkraft-Organisation in Montreal.
"Wir sollten diesen Abfall nur dann unterirdisch ablagern, wenn wir genau wissen, wie wir auf ihn aufpassen können. Sollte es zu Problemen kommen, müssen Menschen da sein, um sie zu lösen. Am besten ist, wenn wir den Müll nicht vergraben, bis eine wirkliche Lösung gefunden ist."
Die Kosten für das Endlager werden auf eine Milliarde kanadische Dollar geschätzt. Der Bau soll 2018 beginnen und 2025 fertig sein. Und nicht nur die kanadische Regierung, sondern auch die Ureinwohner der Saugen Ojibway Nation, auf deren Land das Endlager errichtet werden soll, müssen ihre Zustimmung geben.