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Kandidat für SPD-Parteivorsitz
Ahrens: Beabsichtige nicht, auf dem Raumschiff Berlin anzuheuern

Er komme aus der Kommunalpolitik und habe eine deutlich parteiunabhängigere Position als andere Mitkandidaten, sagte Alexander Ahrens, Oberbürgermeister von Bautzen, im Dlf. Leute mit guten Ideen dürften nicht einfach abgewürgt werden: Die SPD müsse offener, durchlässiger und transparenter werden.

Alexander Ahrens im Gespräch mit Peter Sawicki |
Alexander Ahrens, Bürgermeistervon Bautzen, bei einem Diskussionsabends im Bautzener Burgtheater.
"Wir müssen auch innerhalb der SPD darauf achten, dass Leute, die gute Ideen haben, nicht gleich abgewürgt werden", sagte der SPD-Politiker Alexander Ahrens im Dlf (imago images / xcitepress)
Peter Sawicki: Gut ist es um die SPD schon länger nicht mehr bestellt. Seit einiger Zeit hat sich die Situation aber noch einmal verschärft durch den Rücktritt einerseits von Andrea Nahles als Partei- und Fraktionschefin, und in den Umfragen bleiben die Sozialdemokraten seit Wochen bei etwa zwölf Prozent hängen. Die Suche nach Bewerbern für die Parteispitze gestaltet sich bisher auch nicht allzu leicht. Mittlerweile wächst das Kandidatenfeld aber, Robert Maier heißt der neueste dort. Er ist Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums.
Ende vergangener Woche dann hatte das dritte Duo den Hut in den Ring geworfen. Diesmal sind es zwei Oberbürgermeister, zum einen Simone Lange aus Flensburg und Alexander Ahrens, der in Bautzen in Sachsen an der Spitze steht. "SPD gewinnen" lautet ein Schlagwort dieser Kandidatur, und was das bedeutet, das kann uns Alexander Ahrens jetzt selbst erläutern. Er ist bei uns am Telefon. Schönen guten Morgen!
Alexander Ahrens: Schönen guten Morgen!
Sawicki: Warum tun Sie sich das an?
Ahrens: Das ist eine gute Frage. Nein, Scherz beiseite, ich bin ja vor zwei Jahren wieder in die SPD eingetreten. Ich war von '92 bis 2001 Mitglied und bin tatsächlich 2017 wieder eingetreten, weil mich der Zustand der SPD dauert, weil ich das einfach nicht mit ansehen kann, denn ich habe – und das habe ich auch vor vier Jahren in meinem Wahlkampf immer wieder gesagt – eine sozialdemokratische Prägung, ich bin in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat von der Herkunft her, von der eigenen Lebenserfahrung et cetera. Ich konnte mir das tatsächlich irgendwann nicht mehr mit angucken, und die Frage steht im Raum, steckt man den Kopf in den Sand und bleibt weiter weg aus der Partei. Ich habe mich damals dafür entschieden, wieder einzutreten, um auch als innerparteilicher Kritiker zu wirken, und es reicht nicht, wenn man immer nur meckert, man muss auch selber anpacken wollen oder selber Vorschläge machen, und das ist einer der Gründe, warum ich mit Simone Lange zusammen kandidiere.
Preis für Hartz IV "war deutlich zu hoch"
Sawicki: Wie lauten Ihre Kernvorschläge?
Ahrens: Die Kernvorschläge sind zunächst mal … Also man muss es im Prinzip unterteilen in inhaltliche Kernvorschläge und in systematische Kernvorschläge. Inhaltlich ist es tatsächlich extrem wichtig, dass wir auf die Kernkompetenzen der SPD tatsächlich auch schauen und uns also genau angucken, was sind denn die Gründe, warum die Wählerinnen und Wähler weggelaufen sind in Scharen und das auch weiterhin tun. Als einen der Gründe haben wir ganz deutlich identifiziert, jedenfalls in Ostdeutschland ist das auch überdeutlich zu sehen, dass uns die Leute das nachhaltig übelnehmen, wie Hartz IV funktioniert. Ich habe immer gesagt, Hartz IV hat der Wirtschaft geholfen, und die Grundidee, die Gerhard Schröder damals umgesetzt hat, war, glaube ich, richtig. Nur muss man sich auch ganz klar angucken, der Preis, den wir als Land dafür bezahlt haben, ist nach meinem Erachten viel zu hoch. Was hat denn Hartz IV im Verwaltungsalltag bedeutet: Hunderttausende, Millionen von Menschen haben Entwürdigungserfahrungen gemacht, und dieser Preis ist dann definitiv zu hoch, auch wenn die Grundidee dahinter sicherlich mal eine gute war und ja auch für einen Teil des Landes positive Effekte hatte, ist der Preis trotzdem viel zu hoch. Das heißt, da müssen wir andere Ansätze finden.
Sawicki: Gut, das ist jetzt aber auch kein neuer Ansatz, denn schon Andrea Nahles hatte sich ja für eine Umwandlung, eine Abschaffung von Hartz IV ausgesprochen, und da ist jetzt die Frage, was Sie noch mal anders machen würden konkret.
Ahrens: Na ja, uns geht es um das Thema Gemeinwohlökonomie. Ich bin gerade im Urlaub in Finnland. Das Land hat ja ein sehr interessantes Experiment zum Thema bedingungsloses Grundeinkommen gemacht, und das ist eine Lösung, die tatsächlich diskutiert werden muss. Ich sage jetzt nicht, dass ich laut danach rufe und das als einzige Lösung sehe, dass es unbedingt so kommt, wie das hier in Finnland im Versuch gelaufen ist, aber wir haben doch schon alleine zwei Felder, wo über so eine Idee einer Gemeinwohlökonomie verbunden mit einem Grundeinkommen ja offen diskutiert wird.
Das ist zunächst mal das Thema der Grundrente, und das ist das Thema, was machen wir weiter mit Hartz IV. Ich gebe zu, dass das jetzt keine besonders neue Idee ist, aber da müssen wir tatsächlich auch etwas deutlicher und radikaler erst mal auftreten, aber schon solche Diskussionen können wir momentan gar nicht führen in der Partei, weil wenn die aufkommen, die Diskussionen, dann wird immer mit dem Koalitionsvertrag gewunken und gesagt, steht nicht im Koalitionsvertrag, darüber können wir jetzt nicht reden. Aus dieser Situation müssen wir tatsächlich rauskommen, dass wir noch nicht einmal über grundsätzliche Änderungen reden können.
"Ich habe doch eine deutlich parteiunabhängigere Position"
Sawicki: Aber auch die Grundrente beispielsweise, die ist ja jetzt ein Thema, über das gesprochen wird, steht im Koalitionsvertrag, und selbst wenn die – und es war in der Vergangenheit so –, selbst wenn die SPD ihre Themen dann durchgesetzt hat in der Bundesregierung, kam das dann offenbar nicht bei den Wählern an, wurde nicht honoriert. Woran liegt das?
Ahrens: Ja, das kommt noch dazu. Wir hatten bei der letzten Bundestagswahl nun wirklich keinen Regierungsauftrag. Davon war ich überzeugt und bin ich überzeugt. Daran hat sich auch nichts geändert. In der Wahrnehmung ist es tatsächlich so, wie Sie das beschrieben haben, dass die Menschen das Gefühl haben, wenn etwas Gutes durchgesetzt von der SPD, dann ist es quasi eine Selbstverständlichkeit, und auch das hängt, glaube ich, damit zusammen, dass die Partei wahrgenommen wird als machtversessen oder auf Posten schielend. Das sind Themen, die müssen dringend weg, und sowohl Simone Lange als auch ich haben aus der kommunalpolitischen Ebene kommend doch eine deutlich parteiunabhängigere Position, als das so manch anderer hat, und auch das finde ich wichtig. Von der strukturellen Seite her ist es tatsächlich auch so, dass wir uns Gedanken machen müssen, wie gehen wir mehr auf die Menschen zu. Es geht nicht um eine Erneuerung. Nicht nur die gesellschaftspolitische Lage in Deutschland hat sich doch massiv verändert in den letzten Jahren. Da muss ich jedenfalls mit einer Veränderung drauf reagieren, nicht mit einer Erneuerung. Eine Erneuerung findet ja im Prinzip schon statt, wenn ich einen neuen Vorsitzenden habe oder eine neue Vorsitzende, aber das reicht nicht. Wir müssen auch da uns viel weiter öffnen. Wir müssen auch innerhalb der SPD darauf achten, dass Leute, die gute Ideen haben, nicht gleich abgewürgt werden mit dem Hinweis, du bist erst drei Jahre Mitglied und hast dir das noch nicht verdient.
"Nicht auf dem Raumschiff Berlin anheuern"
Sawicki: Ist das Ihre Erfahrung?
Ahrens: Ja, das ist einer der Gründe, warum ich 2001 nach neun Jahren mit ausgetreten bin. Da hatte ich das Gefühl, gut, die brauchen hier keine Leute, die sechs Sprachen sprechen und sich für Außenpolitik interessieren, denn damit war ich abgeblitzt, und das war damals der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat bei mir. Von dieser Nummer müssen wir weg. Wir müssen offener sein, wir müssen durchlässiger sein, wir müssen transparenter sein.
Sawicki: Sie haben auch eben noch mal das Stichwort Kommunalpolitik angesprochen, Ihre Erfahrungen dort und die von Simone Lange. Warum sollten Sie als Kommunalpolitiker, als Oberbürgermeister besser geeignet sein als beispielsweise Bundestagsabgeordnete?
Ahrens: Einfach aus dem Grund, weil wir wirklich in unserer täglichen Arbeit – und das meine ich so wie ich es sage – mit den Themen der Menschen konfrontiert sind. Wir wissen, was die Menschen umtreibt, wir wissen aber auch, was die Menschen antreibt, und diese Erfahrungsebene ist uns beiden sehr wichtig, weswegen wir gesagt haben, wir beabsichtigen nicht, im Falle einer erfolgreichen Wahl auf dem Raumschiff Berlin anzuheuern, sondern wir wollen unsere Posten als Oberbürgermeister beibehalten. Das ist offiziell immer noch ein Ehrenamt. Uns ist völlig klar, dass das mit einem großen Arbeitsaufwand verbunden sein wird, aber wir halten das für machbar, und vor diesem Hintergrund, denke ich, ist es auch sinnvoll, dass jetzt mal die Kommunalebene am Zug ist.
Sawicki: Sie haben sich früher mit NPD-Politikern unter anderem getroffen. Wie weit geht für Sie Bürgernähe beziehungsweise das Zugehen auf politische Konkurrenten?
Im Gespräch auch mit Rechtsextremen und AfD-Anhängern
Ahrens: Das Zugehen auf politische Konkurrenten geht für mich doch recht weit, weil es mir auch darum geht, inhaltlich …
Sawicki: Auch auf Rechtsextreme zuzugehen?
Ahrens: Na ja, das Gespräch damals mit den Rechtsextremen, das war ein bisschen speziell. Das waren vier Betreiber von rechtsextremen Websites, von denen war nur einer von Personen her bekannt, wer dahintersteht. Die haben mir ein Gesprächsangebot gemacht. Ich habe gesagt, wir können gerne reden, aber da es kein Gespräch auf Augenhöhe ist, nur in Gegenwart des polizeilichen Staatsschutzes. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass die unter dieser Bedingung zustimmen, haben es aber gemacht. Wir haben das Gespräch dann genutzt, um denen klipp und klar zu sagen, was wir von ihnen wissen und was wir uns in Zukunft nicht gefallen lassen werden, und die Herrschaften verspüren seitdem auch keinen Drang mehr, sich noch mal mit mir an einen Tisch zu setzen. Die hatten das damals auch versucht, mit einem Ultimatum zu verbinden, das habe ich denen auch klipp und klar gesagt, dass die sich das wirklich hinstecken können, wie die Sonne nicht scheint. Wir lassen uns von solchen Leuten auch nicht diktieren, was wir zu tun und zu lassen haben. Das war in der damaligen Situation aber wichtig, da auch ein Statement zu setzen.
Sawicki: Aber wie gehen Sie dann mit Menschen um, die für Botschaften solcher Parteien zugänglich sind?
Ahrens: Denen muss man ganz klar sagen, was in der Sache dahintersteht. Ich nehme zum Beispiel immer Herrn Höcke beim Wort. Wenn ich mit Menschen spreche, die sich mir gegenüber als Wähler der AfD outen, wenn ich das mal so formulieren darf, dann rede ich mit denen auch über den Höcke und sage, was will denn der Herr Höcke. Der fordert, dass wir unsere Gedenkkultur um 180 Grad drehen. Sollen wir jetzt anfangen, Denkmäler für KZ-Kommandanten zu bauen. Da ist die Reaktion immer gleich. Da sagen die, nein, also natürlich auf gar keinen Fall, und im zweiten Satz kommt dann, das hat der gar nicht so gemeint. Dann sage ich, doch, er hat es aber gesagt. Deswegen nehme ich ernst, und das müsst ihr auch ernst nehmen. Man sieht ja auch, dass sich der Flügel in der AfD immer weiter stärkt, also die Rechtsnationalen, und das ist tatsächlich was, da habe ich keinerlei Verständnis mehr dafür, und das muss man den Leuten auch klipp und klar sagen. Die Gründe, warum gerade in Ostdeutschland AfD gewählt wird, sind sehr vielschichtig. Das hat nicht damit zu tun, dass die Wähler alle rechtsaffin sind. Es sind aber viele dabei, denen ist das egal, was die inhaltlich fordern als Partei. Da müssen wir ran. Wir müssen den Leuten auf der Sachebene klarmachen, was das bedeutet, wenn man so eine Partei wählt und wenn wir die dann in unseren Parlamenten sitzen haben.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und