Stefan Koldehoff: In Ungarn geht es der Kultur nicht gut – wie in allen Ländern, in denen man versucht, Theater, Oper, Bildende Kunst, Literatur oder Tanz für politische Zwecke zu vereinnahmen. Genau das geschieht in Ungarn – mitten in Europa. Heute hat dort der Minister für Human-Ressourcen – man könnte auch von Menschen sprechen – bekannt gegeben, dass seine Regierung einen neuen Intendanten für das Budapester Nationaltheater ernannt hat. Den bisherigen nämlich wollte die rechtskonservative Regierung Orban nicht mehr haben. Attila Vidnyanszky heißt der neue Mann von Ministerpräsidenten Gnaden, und meinen Kollegen Stephan Ozsváth habe ich vor der Sendung gefragt, wie der Neue denn ist und wofür er steht.
Stephan Ozsváth: Also der Neue, Attila Vidnyanszky, 48 Jahre alt, ist ein ungarisch-stämmiger, geboren in der Karpato-Ukraine. Er hat die letzten Jahre das Csokonai-Theater in Debrecen geleitet, und das hat so einen Drall gekriegt hin zu Lustspiel, publikumswirksamen Projekten. Natürlich gibt es da auch die Klassiker wie Imre Madách, "Tragödie des Menschen", oder von Márai "Die Glut, aber im großen und ganzen sind es dann doch eher die lustigeren Sachen, die viel Publikum ziehen. Und interessant ist seine Verwicklung mit der Politik schon in der ersten Amtszeit von Viktor Orban 1998 bis 2002. Da war er schon mal am Opernhaus in Budapest tätig und auch am alten Nationaltheater. Und was ganz wichtig ist: er ist ein Freund von Geza Scöcs, dem ehemaligen Kulturstaatssekretär. Der war zuständig jetzt in den ersten zwei Jahren der neuen Orban-Regierung für diese schlimmen Säuberungswellen in der Kultur und er war sogar beteiligt an Gesetzgebungsverfahren, also am Gesetz über die Theaterschaffenden, und er hat auch schon gesagt, was er sich so vorstellt für die Zukunft. Er will das Nationale ganz stark betonen, die ungarische Seele, die Tradition, den ungarischen Gedanken will er pflegen und erneuern.
Koldehoff: Das ist was, was man nun dem Vorgänger nicht unbedingt anlasten kann, Robert Alföldi. Der hatte aber auch immer ein volles Haus. Also damit kann man eigentlich nicht argumentieren, dass er nicht erfolgreich gewesen wäre. Warum durfte der nicht weiter?
Ozsváth: Na ja, Alföldi war immer so das Enfant Terrible der ungarischen Theaterszene. Man hat sich dann auf der rechten Seite erregt über Theaterinszenierungen etwa auch von Madách "Tragödie des Menschen". Da waren dann Gruppensex-Szenen auf der Bühne zu sehen, angedeutet nur. Also wenn man so will, war er so der Calisto Pietro der ungarischen Theaterszene, und das wird in bestimmten Kreisen eben gar nicht goutiert. Es gab heftige Angriffe auf ihn, auch aufgrund seiner Homosexualität. Er wurde im Parlament von Rechtsextremen offen als Schwuchtel diffamiert. Und der Sündenfall war dann wohl, dass er seine Räumlichkeiten dem rumänischen Kulturinstitut am rumänischen Nationalfeiertag vermieten wollte, und das geht natürlich vor dem Hintergrund des Trianon-Friedensvertrages, wodurch ja Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel seines Territoriums verloren hat, unter anderem an Rumänien, das stieß vielen sogenannten Volkstümlichen auf.
Koldehoff: Von "interessierten Kreisen" haben Sie gerade gesprochen. Wer sind diese interessierten Kreise und auf welche Weise, vielleicht auch jenseits des Theaters, betreiben die denn im Moment ihre Kulturpolitik?
Ozsváth: Also es sind auf jeden Fall diejenigen, die ein, sagen wir, christlich-nationales Weltbild verkörpern, die Traditionspflege verkörpern, die eben bewusst national sind, während zum Beispiel jemand wie Robert Alföldi bewusst international war. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Aber ich glaube, das Wesentliche ist die Treue gegenüber dem Ministerpräsidenten, und auch der Stellvertreter, den Vidnyanszky jetzt zur Seite bekommt, Károly Eperjes, das soll der Lieblingsschauspieler von Viktor Orban sein. Also das ist, wenn man so will, eine Familienangelegenheit, die Kulturpolitik, und es gibt ganz klar einen Kampf um die Köpfe. Das sieht man zum Beispiel auch an den Lehrplänen: was wird in den Schulen unterrichtet, welche Autoren sind da Pflichtlektüre. Und da kommt zum Beispiel ein Literaturnobelpreisträger, der einzige nämlich, Imre Kertész, unter ferner liefen vor, während klerikal-faschistische Autoren oder Kriegsverbrecher, die aber eben dieses, sagen wir mal, Klerikal-Nationale bedienen, die kommen dort als Pflichtlektüre rein.
Koldehoff: Herr Ozsváth, gibt es schon Reaktionen auf die heutige Nominierung von Attila Vidnyanszky zum neuen Intendanten des Nationaltheaters?
Ozsváth: Ja, die gibt es. Die eher linksliberale Internet-Zeitung "168 Stunden", die kommentiert das so – Überschrift: "Der Kulturkampf geht weiter". Und der zuständige Minister, Zoltán Balog, der hat gesagt, "mehr Geld für das Nationaltheater, das sei nicht ausgeschlossen".
Koldehoff: Stephan Ozsváth über Kulturpolitik im rechtskonservativen Ungarn.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Stephan Ozsváth: Also der Neue, Attila Vidnyanszky, 48 Jahre alt, ist ein ungarisch-stämmiger, geboren in der Karpato-Ukraine. Er hat die letzten Jahre das Csokonai-Theater in Debrecen geleitet, und das hat so einen Drall gekriegt hin zu Lustspiel, publikumswirksamen Projekten. Natürlich gibt es da auch die Klassiker wie Imre Madách, "Tragödie des Menschen", oder von Márai "Die Glut, aber im großen und ganzen sind es dann doch eher die lustigeren Sachen, die viel Publikum ziehen. Und interessant ist seine Verwicklung mit der Politik schon in der ersten Amtszeit von Viktor Orban 1998 bis 2002. Da war er schon mal am Opernhaus in Budapest tätig und auch am alten Nationaltheater. Und was ganz wichtig ist: er ist ein Freund von Geza Scöcs, dem ehemaligen Kulturstaatssekretär. Der war zuständig jetzt in den ersten zwei Jahren der neuen Orban-Regierung für diese schlimmen Säuberungswellen in der Kultur und er war sogar beteiligt an Gesetzgebungsverfahren, also am Gesetz über die Theaterschaffenden, und er hat auch schon gesagt, was er sich so vorstellt für die Zukunft. Er will das Nationale ganz stark betonen, die ungarische Seele, die Tradition, den ungarischen Gedanken will er pflegen und erneuern.
Koldehoff: Das ist was, was man nun dem Vorgänger nicht unbedingt anlasten kann, Robert Alföldi. Der hatte aber auch immer ein volles Haus. Also damit kann man eigentlich nicht argumentieren, dass er nicht erfolgreich gewesen wäre. Warum durfte der nicht weiter?
Ozsváth: Na ja, Alföldi war immer so das Enfant Terrible der ungarischen Theaterszene. Man hat sich dann auf der rechten Seite erregt über Theaterinszenierungen etwa auch von Madách "Tragödie des Menschen". Da waren dann Gruppensex-Szenen auf der Bühne zu sehen, angedeutet nur. Also wenn man so will, war er so der Calisto Pietro der ungarischen Theaterszene, und das wird in bestimmten Kreisen eben gar nicht goutiert. Es gab heftige Angriffe auf ihn, auch aufgrund seiner Homosexualität. Er wurde im Parlament von Rechtsextremen offen als Schwuchtel diffamiert. Und der Sündenfall war dann wohl, dass er seine Räumlichkeiten dem rumänischen Kulturinstitut am rumänischen Nationalfeiertag vermieten wollte, und das geht natürlich vor dem Hintergrund des Trianon-Friedensvertrages, wodurch ja Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg zwei Drittel seines Territoriums verloren hat, unter anderem an Rumänien, das stieß vielen sogenannten Volkstümlichen auf.
Koldehoff: Von "interessierten Kreisen" haben Sie gerade gesprochen. Wer sind diese interessierten Kreise und auf welche Weise, vielleicht auch jenseits des Theaters, betreiben die denn im Moment ihre Kulturpolitik?
Ozsváth: Also es sind auf jeden Fall diejenigen, die ein, sagen wir, christlich-nationales Weltbild verkörpern, die Traditionspflege verkörpern, die eben bewusst national sind, während zum Beispiel jemand wie Robert Alföldi bewusst international war. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Aber ich glaube, das Wesentliche ist die Treue gegenüber dem Ministerpräsidenten, und auch der Stellvertreter, den Vidnyanszky jetzt zur Seite bekommt, Károly Eperjes, das soll der Lieblingsschauspieler von Viktor Orban sein. Also das ist, wenn man so will, eine Familienangelegenheit, die Kulturpolitik, und es gibt ganz klar einen Kampf um die Köpfe. Das sieht man zum Beispiel auch an den Lehrplänen: was wird in den Schulen unterrichtet, welche Autoren sind da Pflichtlektüre. Und da kommt zum Beispiel ein Literaturnobelpreisträger, der einzige nämlich, Imre Kertész, unter ferner liefen vor, während klerikal-faschistische Autoren oder Kriegsverbrecher, die aber eben dieses, sagen wir mal, Klerikal-Nationale bedienen, die kommen dort als Pflichtlektüre rein.
Koldehoff: Herr Ozsváth, gibt es schon Reaktionen auf die heutige Nominierung von Attila Vidnyanszky zum neuen Intendanten des Nationaltheaters?
Ozsváth: Ja, die gibt es. Die eher linksliberale Internet-Zeitung "168 Stunden", die kommentiert das so – Überschrift: "Der Kulturkampf geht weiter". Und der zuständige Minister, Zoltán Balog, der hat gesagt, "mehr Geld für das Nationaltheater, das sei nicht ausgeschlossen".
Koldehoff: Stephan Ozsváth über Kulturpolitik im rechtskonservativen Ungarn.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.