Ann-Kathrin Büüsker: Erst wollten wenige, jetzt purzeln die Namen. Den ganzen Vormittag über tröpfelten hier bei uns in der Redaktion die Informationen rein: Gerüchte, Infos aus Hintergrundgesprächen, klare Zusagen, Pressemittteilungen, Vorabmeldungen. Wer kandidiert nun alles für den SPD-Parteivorsitz. Klar ist: Das Duo Boris Pistorius, niedersächsischer Innenminister, und Petra Köpping, sächsische Integrationsministerin, die beiden wollen wohl und werden das am Sonntag verkünden. Und dann munkelt man in Berlin jetzt noch über einen weiteren Namen: Olaf Scholz!
Über das Bewerber(innen)-Feld bei der SPD möchte ich jetzt mit Uwe Jun sprechen, Politikwissenschaftler an der Universität Trier. Ich grüße Sie, Herr Jun!
Uwe Jun: Einen schönen guten Tag.
Büüsker: Olaf Scholz sagt erst, es sei völlig unangemessen, wenn er SPD-Chef würde, und jetzt will er plötzlich doch. Hat Olaf Scholz kein Interesse mehr an Glaubwürdigkeit?
Jun: Nun ja. Ich denke, er wird es so darstellen, dass bisher Kandidaten aus der ersten Reihe, aus der absoluten Prominenz der Sozialdemokratie fehlen und dass aufgrund dessen er nun sich zu diesem Schritt veranlasst sieht, wenn denn das, was im Moment so in Berlin diskutiert wird, tatsächlich wahr werden sollte.
"Er hat bisher wenig Sympathien in der Delegiertenschicht"
Büüsker: Braucht es denn diese Prominenz tatsächlich für den Parteivorsitz?
Jun: Die SPD ist in einer ganz schwierigen Lage. Sie ist vielleicht in der größten Krise seit vielen Jahrzehnten und da braucht es eine starke Führungspersönlichkeit, auch eine Führungspersönlichkeit, die in der Bevölkerung ein gutes Standing hat, ein hohes Standing hat und die in der Lage ist, die SPD aus dieser schwierigen Situation wieder herauszuführen. Dazu bedarf es vielerlei Durchsetzungsfähigkeit. Dazu bedarf es Strategiefähigkeit, Handlungsfähigkeit, und das ist kaum vorstellbar bei jemandem, der bisher nicht in der ersten Reihe der Sozialdemokratie agiert hat.
Büüsker: Nun hat unser Korrespondent Frank Capellan gerade erläutert, dass Scholz an der Basis bei den Jusos durchaus umstritten ist. Hat er das Zeug dazu, die Partei zu einen?
Jun: Da sprechen Sie den wunden Punkt an bei Olaf Scholz. Er hat bisher eigentlich wenig Sympathien insbesondere in der Delegiertenschicht erworben. Er gilt da tatsächlich, wie es auch schon Ihr Kollege gesagt hat, als wenig sozialdemokratisch. Er hat dort ein bisschen den Ruf, eher der Parteirechten anzugehören, zu stark exekutiv zu denken. Zu wenig hat er bisher auch die sozialdemokratische Seele streicheln können. Das müsste er alles noch schaffen und da wäre es jetzt auch wichtig, dann eine entsprechende Partnerin zu gewinnen, die vielleicht diese Schwachstelle von Scholz füllen könnte.
"Die SPD hat viel zu lange zurückgeschaut"
Büüsker: Wenn Sie sagen, er ist zu wenig sozialdemokratisch, drängt sich mir die Frage auf: Was ist denn überhaupt noch sozialdemokratisch und ist sich die Partei da tatsächlich so einig?
Jun: Ich sagte gerade, aus der Sicht seiner Kritiker ist er zu wenig sozialdemokratisch. Das wäre jetzt ein abendfüllender Vortrag, Ihnen zu erklären, was unter Sozialdemokratie zu verstehen ist. Aber die meinen damit hauptsächlich den Aspekt der sozialen Gleichheit, der sozialen Gerechtigkeit, und das ist etwas, was nach Ansicht vieler Scholz nicht so stark in den Vordergrund in der Vergangenheit gestellt hat. Er galt auch immer als großer Befürworter der Agenda 2010. Aber er hat jetzt mit seinen neuesten Vorschlägen, denken Sie etwa an die Rentenpolitik, versucht, stärker in diese Richtung zu gehen, in die Richtung von mehr sozialer Gerechtigkeit. Es war ja erkennbar, dass er seit einem Jahr auch versucht, hier der Linken innerhalb seiner Partei entgegenzukommen, und das könnte jetzt ein weiterer Schritt werden. Er müsste mit Angeboten diesbezüglich jedenfalls werben.
Büüsker: Ich habe diese Frage ja auch deshalb gestellt: Sie sagen, die Partei ist in einer Krise, letztlich auch thematisch. Es gibt große Widerstände in der Partei zwischen links und dem eher rechten Flügel. Wie gelingt denn jetzt tatsächlich eine inhaltliche Diskussion innerhalb der Partei darüber, was Sozialdemokratie noch sein kann, sein will, wenn man sich jetzt wieder komplett auf Köpfe fokussiert?
Jun: Ich denke, das wäre zu kurz gegriffen. Jeder Vorsitzende oder jeder Kandidat, der jetzt den Vorsitz anstrebt, wird ja auf diesen 23 Regionalkonferenzen erklären müssen, mit welchem Programm er antritt, wie er die Sozialdemokratie aus dieser Krise führen wird oder will, und auch, was er darunter versteht, welches seine Zukunftsentwürfe sind, und das wäre auch wichtig. Die SPD hat viel zu lange zurückgeschaut, viel zu wenig nach vorne geschaut, war viel mehr mit sich selbst beschäftigt und ihrer eigenen Vergangenheit, statt die Zukunftsthemen anzupacken, und das müsste dann auch in diesen Regionalkonferenzen von den Kandidaten und Kandidatinnen deutlich werden.
"Im Hintergrund werden schon Unterstützerkoalitionen geschmiedet"
Büüsker: Sie haben es angesprochen: Es werden ganze 23 Regionalkonferenzen sein. Das bedeutet für die Bewerberinnen und Bewerber ja auch ein ordentliches Getingel über die Dörfer. Kann man schon sagen, wer das mitmacht, der hat im Prinzip gar keine Zeit mehr für andere Dinge?
Jun: Da sprechen Sie etwas an. Da müsste uns Olaf Scholz auch noch erklären, wie das ein Finanzminister bewältigen kann. Es wird dann ja im September und Oktober diese Regionalkonferenzen geben. Das kann man nicht nur nebenbei machen, da muss man sich voll drauf konzentrieren und dann wird es schwer. Aber nun gut, es gibt Staatssekretäre im Finanzministerium, die dann vielleicht ihm die Arbeit abnehmen, wenn er tatsächlich antritt.
Büüsker: Wie erklären Sie sich, dass es so lange gedauert hat, bis jemand aus der allerersten Reihe der SPD vorgetreten ist und seinen Hut in den Ring geworfen hat?
Jun: Ich denke, da laufen im Hintergrund – Ihr Kollege hat das ja schon mit Blick auf Stephan Weil erklärt – Gespräche, wer könnte wie antreten, wer hat genug Unterstützer. Und wir müssen ja sehen, dass außer dem Duo Roth-Kampmann bisher die anderen noch gar nicht die Unterstützer, die der Vorstand ja vorgegeben hat, haben. Ich gehe davon aus, dass Stegner den Landesverband Schleswig-Holstein hinter sich hat, aber dennoch werden da im Hintergrund derzeit schon Unterstützerkoalitionen geschmiedet, um nicht als Prominenter ganz böse dazustehen und am Ende nicht die nötige Unterstützung zu bekommen. Das erscheint mir im Moment deswegen der zögerliche Moment bei vielen.
"Wir haben im Moment kein echtes flügelübergreifendes Duo"
Büüsker: Wie beurteilen Sie denn das Duo Pistorius und Köpping, von dem wir seit heute ebenfalls wissen?
Jun: In der Tat war es für mich eine kleine Überraschung, da ja Herr Weil angekündigt hatte, dass Niedersachsen noch warte. Nun gut, es ist ein Duo, was aus der Landespolitik mit viel Erfahrung kommt, was das Thema innere Sicherheit sehr stark in den Vordergrund rückt und das sicherlich hier eine andere Position beziehen möchte als diejenigen, die wir bisher vornehmlich gesehen haben. Wir haben eigentlich primär Kandidaten der Parteilinken bisher gesehen und nun haben wir ein Duo, was sich eher der Parteirechten zuordnet, und das ist bisher eine Ausnahme gewesen. Wahrscheinlich wussten sie auch noch nicht, dass Olaf Scholz antritt, denn das wird ja jetzt überlagert durch Scholz. Aber die Parteirechte hat damit jetzt auch ein eigenes Duo oder zumindest das erste, was klar auf dieser Seite zu verorten ist.
Büüsker: Die SPD ist ja intern nicht unbedingt von Solidarität gekennzeichnet. Davon kann zum Beispiel Andrea Nahles wirklich ein Lied singen. Kann bei einer solchen Partei eine Doppelspitze überhaupt funktionieren?
Jun: Das ist ein weiterer interessanter Aspekt, den wir verfolgen müssen. Das wird nicht ganz einfach werden. Man hat das versucht, die Schwierigkeiten zu umgehen, indem man gesagt hat, es müssen zwei sein, die sich schon kennen oder die sich verständigen vorher, damit man die möglichen Kontroversen minimiert. Und tatsächlich haben wir ja gesehen, dass wir im Moment kein echtes flügelübergreifendes Duo haben, sondern dass wir Duette haben, die innerhalb der verschiedenen Flügel zu verorten sind, und das könnte am Ende dazu führen, dass sich die Kontroversen, die diese beiden Vorsitzenden dann haben, auf ein Minimum reduzieren lassen. Aber das hängt natürlich auch von Faktoren ab, die dann in den verschiedenen Positionen, auch Charakteren der Kandidaten zu finden sind. Aber in der Tat ist das Duo Habeck-Baerbock derzeit eher eine Ausnahme. Wir haben bei den Grünen vorher eher Kontroversen gesehen und wir kennen auch bei den Linken-Duos eher Kontroversen.
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