Zwei Namen aus Polen werden immer wieder genannt, wenn es um die Besetzung von europäischen Spitzenposten geht – der des Außenministers Radoslaw Sikorski, den sich manche als EU-Außenbeauftragten in der Nachfolge der Britin Cathrin Ashton vorstellen können. Der andere Name ist der des Premierministers Donald Tusk, der wahlweise als EU-Ratspräsident oder als Chef der Kommission genannt wird.
Vor allem aus den Reihen der nationalkonservativen Opposition in Warschau wurde in den letzten Monaten immer wieder behauptet, Tusk sei schon lange auf einen Posten in Brüssel scharf und sitze dabei in einem Boot mit Angela Merkel, die sich beide vertrauen sollen – der Premier hat diese Berichte, zuletzt mitten im Europa-Wahlkampf erhoben, stets dementiert: „Ich nehme die Wähler und meine Pflichten ernst. Die Legislaturperiode endet in anderthalb Jahren, bis dahin habe ich in Polen genug zu tun", beteuert Tusk. „Diejenigen also, die mir die Daumen drücken, dass sich Polen verlasse, muss ich enttäuschen. Ich bin vor allem an der Zukunft Polens interessiert."
Mangelnde Fremdsprachen-Kenntnisse gelten als Haupt-Manko Tusks; seine umgängliche Art dagegen als Plus im Brüsseler Machtzirkus – ein allzu selbstbewusstes Auftreten wird hingegen gern Jean-Claude Juncker zugeschrieben, dem eigentlichen konservativen EU-Spitzenkandidaten. Nach dem außenpolitischen Krawall-Kurs seines Vorgängers Kaczynski machte Tusk den Ausgleich und die enge Zusammenarbeit mit Deutschland zum Markenzeichen. Dabei muss Tusk aufpassen, nach innen nicht zu angepasst gegenüber Deutschland zu erscheinen.
Die Ukraine-Krise ruft nach einem Osteuropäer
Inzwischen scheint Tusk aber die nötige Balance zwischen selbstbewussten Auftreten und Diplomatie gefunden zu haben – gerade wegen seiner Außenpolitik punktet Tusk inzwischen auch im eigenen Land. In der Ukraine-Krise stimmten sich beide Regierungschefs eng ab. Die Krise dürfte den generellen Ruf nach einem Osteuropäer in einem wichtigen EU-Amt noch verstärken. Die Warschauer Außenpolitik-Expertin Malgorzata Bonkowska:
„Ich denke, für Polen ist jetzt eine sehr gute Zeit gekommen Wir sind schon seit 10 Jahren in der EU und wir können einfach mehr, als nur europäische Gelder verbrauchen und unser Land auf allen Ebenen aufzubauen. Wir können auch strategisch denken, und wir sind bereit dazu."
Für den oder die künftige EU-Außenbeauftragte dürften Kenntnisse der Region von hohem Nutzen sein angesichts der Krise in der Ukraine Und hier kommt der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski ins Spiel, dessen Wendigkeit schon daran sichtbar wird, dass er sowohl unter Kaczynski als auch unter Tusk Minister-Ämter innehatte – und jeweils als Stütze in den Kabinetten galt. Doch auch er wiegelt offiziell ab – und baut sich doch eine Hintertür.
„Ich habe darüber sogar nachgedacht...", gibt Sikorski zu. „...bis zu der Zeit der Ukraine-Krise. Aber jetzt bin ich der Meinung, dass das, was hinter unserer Ostgrenze geschieht, so wichtig ist, dass ich das im Lande selbst überwachen muss. Aber - Das muss der Premier entscheiden. Ich möchte in der Regierung von Donald Tusk bis Ende der Legislaturperiode dienen."
Sikorski hat im Gegensatz zum eher bodenständigen Tusk Weitläufigkeit, spricht ein beim Studium in Oxford erworbenes geschliffenes Englisch, lebt mit seiner Frau, einer US-Historikerin auf einem weitläufigen Landsitz in der Nähe von Bydgoszcz, deutsch Bromberg – und ist seit der Ukraine-Krise regelrecht aufgeblüht. In Russland-Fragen eher ein Hardliner, Sikorski fordert seit Jahren vehement, dass Nato-Truppen in Polen und den östlichen Mitgliedsstaaten stationiert werden. Sein vehementes Auftreten hat zu einer sehr aktiven Rolle der polnischen Außenpolitik in der Ukraine-Krise beigetragen – nicht immer mit Erfolg, denn Sikorski gehörte gemeinsam mit Frank-Walther Steinmeier und dem Franzosen Fabius zu den Wegbereitern des Februar-Abkommens zur Beilegung der Krise, das bekanntlich schneller scheiterte, als seine Tinte trocknete.
Tusks Weggang wäre ein herber Verlust für die polnische Regierung
Probleme könnte Sikorski noch seine unverkennbar hohe Eitelkeit bereiten; der Twitter-Fan überspannt gelegentlich mit flotten Äußerungen, die unter Diplomaten eigentlich nicht üblich sind. Egal ob Sikorski oder Tusk, ginge tatsächlich auch nur einer der beiden nach Brüssel, es täten sich erheblich Lücken in der polnischen Politik auf. Insbesondere auf Tusk kann die regierende Bürgerplattform kaum verzichten; der Premier ist das Gesicht der einzigen Partei, die in Polen auf Augenhöhe mit der nationalkonservativen Partei PiS um Jaroslaw Kaczynski steht. Kaczynski-Nahe Publizisten wie Piotr Semka warten nur darauf, dass Tusk vor den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr die Brücke verlässt.
„Ob die Bürgerplattform das überleben wird, ist fraglich. Angesichts einer wachsenden Ablehnung der Regierungspartei innerhalb der Bevölkerung und der dann stattfindenden Grabenkämpfe könnte das den Zerfall der Bürgerplattform bedeuten", prognostizert Semka.
Deswegen würde ein Wechsel Tusks nach Brüssel ein Risiko auch für Angela Merkel bedeuten, denn das Comeback des schwierigen Partners Kaczynskis im mittelgroßen EU-Land Polen wäre dann wohl kaum zu vermeiden.