Ann-Kathrin Büüsker: Mit dem Auto vom Kanzleramt nach Schloss Meseberg schafft man es in einer knappen Stunde, sagt Google Maps - kommt natürlich immer auf die Verkehrslage an. Dort in Meseberg trifft sich ab heute Mittag das Bundeskabinett. Gegenseitiges Beschnuppern und vielleicht auch ein bisschen Friedenspfeife rauchen, denn im Vorfeld haben sich die Koalitionspartner ja schon kräftig die Köpfe eingeschlagen. Insofern wird bis morgen viel zu diskutieren sein, vor allem darüber, was man jetzt gemeinsam umsetzen möchte.
Wir wollen hier im Deutschlandfunk jetzt genauer auf die Situation der SPD gucken. Die ist ja durchaus etwas in der Zwickmühle. Auf der einen Seite will die Partei sich als Mitglied der Regierung aktiv um die Gestaltung der Politik bemühen, sich aber auch vom Koalitionspartner abgrenzen und in diesem Rahmen auch inhaltlich neu aufstellen. Darüber möchte ich jetzt mit Simone Lange sprechen. Sie ist Oberbürgermeisterin von Flensburg und kandidiert beim anstehenden Sonderparteitag der SPD am 22. April als Parteivorsitzende - eine Kampfkandidatur gegen Andrea Nahles. Guten Morgen, Frau Lange.
"Die SPD braucht ein eigenes Profil"
Simone Lange: Ja, guten Morgen! Ich grüße Sie.
Büüsker: Frau Lange, bisher haben sich ja, wenn wir auf die Große Koalition blicken, vor allem die Unions-Politiker profiliert. Wie schwierig ist das gerade für die SPD, in dieser Koalition einen Fuß auf den Boden zu kriegen?
Lange: Es ist natürlich schwierig, weil die Große Koalition in der Tat von der SPD insgesamt kein geliebtes Konstrukt ist, und wir haben es ja auch am Abstimmungsergebnis gesehen, das zwar eindeutig war, aber doch nicht ganz breit in der Partei getragen war. Mehr als ein Drittel der Genossinnen und Genossen waren gegen die Große Koalition und es zeichnet sich ab, dass die SPD vor allem eins braucht: Sie braucht ein eigenes Profil und eigene Ziele als Partei - neben der Regierungsarbeit, die wir jetzt natürlich verlässlich zu leisten haben.
Büüsker: Aber kann man das denn schaffen, sich neu aufstellen und gleichzeitig regieren? Das klingt für mich ein bisschen wie die Quadratur des Kreises.
Lange: Natürlich ist das eine ganz besondere Herausforderung. Aber ich bin davon überzeugt, dass man das auch erreichen kann, denn wir haben die Situation, dass wir auf der einen Seite jetzt durch den Vertrag der Großen Koalition auch wissen, was die Regierung umzusetzen hat, und da hat Manuela Schwesig vollkommen recht. Die CDU hat sich jetzt mit ihren Ministerinnen und Ministern auf die Konzepte zu konzentrieren, um das umzusetzen, was vereinbart worden ist. Das erwarten die Menschen unseres Landes. Das erwartet nicht nur der Koalitionspartner SPD. Das müssen wir auch den Menschen unseres Landes jetzt beweisen, dass die Regierung tatsächlich auch gut regieren kann.
Gleichzeitig müssen wir uns aber vorbereiten auf die nächste Legislatur. 2021 ist nicht mehr lange hin und in dreieinhalb Jahren hat dann die Partei mit einem eigenen Profil auch noch mal eine neue Chance, bei einer Bundestagswahl tatsächlich auch zu gewinnen.
"Die Große Koalition ist eine Kompromissformel"
Büüsker: Sie gucken jetzt voraus auf die nächsten Wahlen. Wie schwierig ist es denn aber für eine Partei wie die SPD, innerhalb einer Koalition das eigene Profil auch in die Regierungsarbeit einzubringen, wenn die Partei noch gar nicht richtig weiß was sie will?
Lange: Die Partei sollte jetzt schleunigst wissen, was sie will. Das ist ja genau das, wofür auch ich antrete, indem ich sage, lasst uns der Partei einen eigenen Kopf geben. Dann kann Andrea Nahles sich auf ihre Arbeit als Fraktionsvorsitzende konzentrieren, und die ist ja schwierig genug bei einem Koalitionspartner wie die CDU-eigenen Minister, die die eigene Profilierungssucht vor die Regierungsarbeit stellen gerade.
Wir müssen als Partei tatsächlich auch uns bewusst werden, wo wollen wir eigentlich hin und welchen Rahmen bieten wir unseren Ministerinnen und Ministern. Das gilt nicht nur für den Bereich Gesundheitspolitik; das gilt vor allem auch für den Bereich der Außenpolitik. Das Agieren von Heiko Maas sollte auf eine breite Zustimmung der Partei gestellt werden. Damit müssen wir uns auch beschäftigen.
Büüsker: Das heißt, Sie ziehen das im Moment in Zweifel, dass das so ist?
Lange: Ja! Die Partei hat im Moment ein Stück weit ihre eigene Profilierung hinter die Ziele der Großen Koalition angestellt. Wir definieren uns im Moment über den Vertrag der Großen Koalition auch als Partei, und das ist ein Anspruch, den wir uns wieder bewusst werden sollten. Wir haben als Partei den Anspruch auf ein eigenes Profil und das eigene Profil kann nicht deckungsgleich sein mit dem Profil des Vertrages der Großen Koalition. Die Große Koalition ist eine Kompromissformel, aber wir müssen doch ein eigenes Profil, eigene Ziele entwickeln, neben dem, was wir als Kompromissformel in der Regierung jetzt umsetzen.
"Für einen roten Fußabdruck in der Regierungszeit sorgen"
Büüsker: Und was, wenn das, was die Basis sich wünscht, letztlich mit dem Koalitionsvertrag gar nicht vereinbar ist? Dann kommt man ja in eine absolute Zwickmühle.
Lange: Dann käme man in eine absolute Zwickmühle. Aber ich sage auch, der Koalitionsvertrag ist vorher der Partei zur Abstimmung gestellt worden und die Partei hat mit eindeutiger Mehrheit gesagt, wir wollen diesen Vertrag, wir wollen diese Ziele. Die Partei ruft aber genau mit der gleichen lauten Stimme, wir wollen uns erneuern bis 2021, und das ist das, wo ich sage, lasst uns diese dreieinhalb Jahre nehmen und uns tatsächlich mit einem neuen Grundsatzprogramm noch mal neu aufstellen. Bis dahin wird in der Großen Koalition die SPD - und davon bin ich überzeugt, dass alle SPD-Ministerinnen und Minister im Sinne der SPD für einen roten Fußabdruck in der Regierungszeit sorgen werden. Aber wir müssen danach deutlich unsere eigenen Ziele nach vorne stellen, um der Gesellschaft zu zeigen, wie es gelingen kann, tatsächlich die Schere von Arm und Reich zu schließen, denn das wird der Vertrag der Großen Koalition leider nicht erfüllen können.
Büüsker: Sie wollen die SPD wieder linker machen?
Lange: Ja! Wenn man es in diese Richtung einordnet, will ich das, weil es genau das ist, was die Gesellschaft im Moment braucht, um wieder zusammenzuwachsen. Wir brauchen Gemeinschaft, wir brauchen Solidarität. Wir müssen den Menschen manchmal sogar erklären, warum es notwendig ist, solidarisch zu sein. Wir brauchen nicht mehr die Antworten, die sagen, sorge Du für Dich privat für Dein Alter vor. Das reicht längst nicht mehr aus und das wissen wir auch. Da setzen die Menschen auch auf eine SPD, die durchaus wieder nach links rückt, die Ziele definiert, die mit Solidarität auch vereinbar sind, die auch wieder bewusst ist, für welche Interessen wir eintreten und für welche Interessen andere Parteien zuständig sind.
"Wir müssen die Mitgliedschaft unserer Partei in einem regelmäßigen Prozess einbeziehen"
Büüsker: Sie wollen ja, um wieder zu einem schärferen Profil der SPD zu finden, die Basis stärker einbinden. Wie kann das denn praktisch gelingen?
Lange: Das gelingt uns ja durchaus in Teilen praktisch. Wenn unsere Mitgliedschaft beteiligt wird an der Frage, ob wir einem großen Koalitionsvertrag zustimmen sollen, ist das ja ein erster richtiger Schritt. Das dürfen wir aber nicht nur machen nach Bundestagswahlen oder kurz vor Bundestagswahlen, wenn es um Wahlkämpfe geht. Wir müssen die Mitgliedschaft unserer Partei in einem regelmäßigen Prozess einbeziehen, unsere Programmatik gemeinsam zu gestalten. Wir müssen sie an den Entwürfen der Programmatik beteiligen, und das sofort, damit wir in dreieinhalb Jahren ein fertiges Programm liefern können.
Die SPD als Mitgliederpartei, "in der die Menschen mitgestalten können"
Büüsker: Sie gucken jetzt wieder weit voraus, Frau Lange. Dazu habe ich noch eine Frage, weil der Vorwurf ist ja immer wieder, dass die Spitze zu weit weg sei von der Basis. Deshalb jetzt die Idee, die Basis wieder stärker zu integrieren. Aber ist es vielleicht auch manchmal anders herum, dass die Basis manchmal viel zu weit weg ist von dem, was in Berlin passiert, und dann auch die Zwänge einer Regierungsbeteiligung vielleicht gar nicht so richtig versteht?
Lange: Doch, ich glaube, das verstehen die Mitglieder sehr. Was die Mitglieder nicht verstehen, ist das Agieren, das Agieren des Bundesvorstandes, insbesondere in den letzten Monaten. Die Basis möchte beteiligt werden auch an der Frage, welche Ziele definiert die SPD eigentlich. Wir haben im vergangenen Bundestagswahlkampf das Ziel Gerechtigkeit ausgerufen. Das ist ein Oberziel, das ist eine Folge von gut definierten sozialdemokratischen Zielen. Da müssen wir hin zurückkehren und an dieser Definition wollen die Mitglieder gerne mitwirken. Und sie wollen es natürlich verbindlich einbringen, weil die SPD war immer und soll auch eine Mitgliederpartei bleiben, in der die Menschen mitgestalten können, tatsächlich in der Idee, von unten nach oben mitgestalten, wie kann ich meine Idee, die ich als Mitglied in die SPD einbringe, verbindlich in den Programmen wiederfinden.
Das sind die Fragen, die die Mitglieder haben, und da ist ein Stück weit auch, möglicherweise durch Kommunikation, die nicht gut läuft, die besser laufen kann, etwas verloren gegangen. Dieses Gefühl, es gibt tatsächlich ein Gefühl der Mitgliedschaft der Entfernung zur Führung unserer Partei auf Bundesebene, und ich glaube, daran müssen wir arbeiten als Partei. Das wird nicht die Bundestagsfraktion erfüllen können. Das muss die Partei erfüllen.
Büüsker: Sagt Simone Lange. Sie ist Oberbürgermeisterin von Flensburg und kandidiert beim anstehenden Sonderparteitag der SPD als Parteivorsitzende. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen hier im Deutschlandfunk, Frau Lange.
Lange: Ich bedanke mich bei Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.