Archiv

Kandidatur für Parteivorsitz
"Die CDU sehnt sich nach einer programmatischen Erneuerung"

Der Bonner Völkerrechtler Matthias Herdegen will beim CDU-Parteitag gegen Angela Merkel antreten und den Parteivorsitz übernehmen. Die notwendige innere Erneuerung der CDU könne nur mit einem Wechsel an der Spitze gelingen, sagte Herdegen im Dlf. Es gehe ihm nicht um irgendeine Form der Abrechnung.

Matthias Herdegen im Gespräch mit Dirk Müller |
    Matthias Herdgen, Völkerrechtler aus Bonn
    "Ich habe selbstverständlich Gespräche geführt - sonst wäre ich nicht in dieses Rennen gegangen." - Matthias Herdegen will gegen Angela Merkel kandidieren (imago/Reiner Zensen)
    Dirk Müller: Viele Stimmen auf dem Deutschlandtag der Jungen Union an diesem Wochenende in Kiel haben es klipp und klar gefordert: Einen Aufbruch, eine Erneuerung, ein klares Bekenntnis zu den Werten von CDU und CSU. Und wer soll das glaubwürdig an der Spitze verkörpern und dann auch verkaufen? – Am besten mit Angela Merkel, sagen zahlreiche Politiker in der Parteiführung, darunter auch Annegret Kramp-Karrenbauer, darunter auch Ralph Brinkhaus, der neue Fraktionschef der Union im Bundestag.
    Genau das soll nicht passieren, sagt der Bonner Völkerrechtler Professor Matthias Herdegen, der auf dem CDU-Parteitag Mitte Dezember in Hamburg gegen die Kanzlerin kandidieren will. Guten Morgen!
    Matthias Herdegen: Guten Morgen, Herr Müller!
    Müller: Herr Herdegen, warum haben Sie Angela Merkel satt?
    Herdegen: Ich bin der Überzeugung, dass die notwendige innere Erneuerung der CDU nur mit einem Wechsel an der Spitze gelingen kann. Es geht darum, dass die Union deutlich macht, dass sie eine Volkspartei ist mit einem eigenen programmatischen Anspruch. Das was wir jetzt am Parteitag der Jungen Union in Kiel erlebt haben, sind die ersten Anzeichen, Warnzeichen von Erschütterungen, die sich längst tief im Kern der Partei vollzogen haben, und von Erschütterungen, Verunsicherungen, bis hin zu Zorn in weiten Teilen der Wählerschaft der CDU/CSU.
    "Inneren Kompass aus dem Blick verloren"
    Müller: Hat Angela Merkel die Partei zerfleddert?
    Herdegen: Sie hat – und ich spreche jetzt von der gesamten Regierung – durch einen moderierenden Politikstil, das Beschränken auf ein Fahren von Sicht, den inneren Kompass aus dem Blick verloren, das geistige Erbe, das programmatische Erbe der CDU. Sie hat durch die Aufnahme und das Sich-treiben-lassen durch eine im Wesentlichen sozialdemokratische Politikgestaltung in weiten Bereichen der Sozialpolitik, der Steuerpolitik und anderer Felder die SPD als Volkspartei zerstört, aber gleichzeitig auch ihre eigene Stellung als letzte verbleibende Volkspartei im Kern gefährdet.
    Müller: Das hört sich so an, als hätte sie auch mit der Zerstörung der CDU begonnen.
    Herdegen: Das ist das Gefühl, das in weiten Teilen der Bevölkerung und der Wählerschaft herrscht. Was wir jetzt sehen, sind die ersten …
    Müller: Herr Herdegen, sehen Sie das auch so? Sie kandidieren jetzt. Sie haben ja etwas jetzt gegen Angela Merkel.
    Herdegen: Es geht mir nicht um irgendeine Form der Abrechnung. Es geht mir um etwas Positives, um eine inhaltliche und programmatische Erneuerung, mit klaren Linien in der Europapolitik. Hier warten etwa die Forderungen aus Frankreich von Präsident Macron bis heute auf eine konstruktive Antwort.
    "Ein Blick bis zur nächsten Kurve genügt nicht mehr"
    Müller: Sie würden da positiv antworten und sagen, genau das …
    Herdegen: Ich würde positiv-konstruktiv antworten, wie wir den Riss, der auch durch Europa geht, die osteuropäischen Länder auf der einen Seite, die südeuropäischen Länder, die westeuropäischen Länder, wir im Kern, wir müssen Antworten haben, wie wir langfristig, wie unser Fahrplan in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik aussehen muss, wo wir in der Sozial- und Steuerpolitik hin wollen. Das sind zentrale Fragen und hier genügt ein Blick nur bis zur nächsten Kurve nicht mehr.
    Müller: Herr Herdegen, Flüchtlingspolitik ist das Stichwort, was Sie genannt haben. Wie würden Sie Flüchtlingspolitik im Gegensatz zu Angela Merkel anders definieren?
    Herdegen: Ein Staat, ein Rechtsstaat kann den Anspruch auf die Sicherung und die Bewahrung seiner eigenen Grenzen überhaupt nicht aufgeben, ohne seine eigene Autorität in Frage zu stellen.
    Müller: Das heißt, das hat die Kanzlerin getan aus Ihrer Sicht?
    Herdegen: Es gab ja die Erklärung von Regierungsseite und von Seiten der Kanzlerin, dass man die Grenzen nicht mehr schützen könne. Das ist im Grunde eine Selbstpreisgabe des modernen demokratischen Rechtsstaats. Jetzt versuchen wir, mühsam die Außengrenzen der EU zu sichern, und auch das gelingt uns wirksam nicht. Wir müssen ja nur gucken, was im Süden Europas passiert. Das ist in der Tat ein tiefer Riss, der als Folge dieser Politik durch unsere ganze Gesellschaft geht, und sogar der Bundespräsident hat das ja völlig zurecht angemahnt.
    Müller: Und auch in der Partei? Ist die Partei auch zerrissen und gespalten in dieser Frage?
    Herdegen: Ich glaube, die Partei sehnt sich mehrheitlich nach einer programmatischen Erneuerung. Aber es ist so wie bei vielen anderen großen Erschütterungen: Das was wir jetzt sehen, diese Warnzeichen in Kiel sind nur Vorboten größerer Verschiebungen, die entweder ihre Antwort finden innerhalb der CDU selbst, indem sie sich selbst inhaltlich erneuert und personell, oder indem sie zu dieser Erneuerung unter ganz schlechten Bedingungen vom Wähler gezwungen wird.
    Der letzte große, schwere Tanker
    Müller: Herr Herdegen, ich weiß nicht, wie lange Sie schon Mitglied sind in der CDU. Sie kennen auf jeden Fall die Partei besser als ich und besser als auch viele Hörer. Aber warum ist das so, dass die Partei meistens immer mit dem weitermacht, was sie hat?
    Herdegen: Das ist das durchaus verständliche Kontinuitätsstreben, die Prämie auf den Machtbesitz, den Erhalt der Positionen, und da gibt es dann eine große Scheu, in einem so großen und schweren Tanker, wie es die letzte Volkspartei CDU ist, einen Aufbruch auch an der Spitze durchzuführen.
    Müller: Ist das Feigheit?
    Herdegen: Das ist zunächst einmal ein Abwarten, und wir werden auch sehen, wie das unterschiedliche Taktieren und die strategischen Zielsetzungen sich jetzt in den nächsten Wochen, erst mal nach der Bayern-Wahl und dann nach der Hessen-Wahl, bahnbrechen. Es ist überhaupt nicht möglich vorherzusehen, was sich hier personell noch bewegen wird.
    Müller: Was befürchten Sie? Ein weiterer Einbruch der Konservativen?
    Herdegen: Ich hoffe natürlich, dass die CSU und die CDU ihre Position stabilisieren können. Aber das geht nur, wenn das Signal kommt, dass man hier zu einem Umdenken bereit ist, zu einer Kurskorrektur und auch zu einer langfristigen politischen Planung in den Politikfeldern, die ich gerade genannt habe.
    Müller: Für Sie, Herr Herdegen, ist das ganz klipp und klar festgestellt, vielleicht in Ihrem Bekannten- und Freundeskreis auch viel diskutiert: Das geht auf gar keinen Fall mit Angela Merkel?
    Herdegen: Ich habe festgestellt, dass in weiten Teilen der Schichten, des Bürgertums, überhaupt der gesamten Wählerschaft der CDU nicht nur eine Verstimmung ist, sondern eine Sichtweise, die sich fast bis zum Zorn artikuliert. Und nur weil die AfD wegen ihrer Haltung zur deutschen Vergangenheit, die unanständig ist, und wegen ihrer völlig unklaren und dilettantischen Befassung mit Sachfragen für diese Wählerschichten nicht wählbar ist, ist der Wunsch nach Erneuerung im Augenblick in der Bevölkerung viel stärker als an der Spitze der Partei. Aber noch einmal: Auch bei vielen Mandatsträgern ist der Unmut genauso groß wie in der Bevölkerung.
    "AfD langfristig austrocknen"
    Müller: Das bekommen viele allerdings nicht mit, die Öffentlichkeit ja auch nicht immer, die Journalisten auch nicht immer, weil das ja doch eine sehr drastische Analyse Ihrer Seite ist. Es wird oft vermutet, aber man kann es sehr schwer belegen.
    Lassen Sie mich noch eine Frage in den Raum werfen, Herr Herdegen. Wenn Sie sagen, Sie haben das in vielen Gesprächen oder wie auch immer festgestellt, dass diese Zerrissenheit da ist, wird immer wieder dann auch gefragt, wohin soll die CDU, auch die CSU, aber bleiben wir bei der Partei, bei der CDU, in Zukunft gehen, um das plakativ von mir aus jetzt so zu formulieren, auch mit Blick auf die Zeit, die noch bleibt für uns. Soll die CDU aus Ihrer Sicht mehr nach rechts gehen, oder mehr nach links, in die Mitte? Wo ist die Lösung?
    Herdegen: Sie hat am rechten Rand die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass eine extreme Partei wie die AfD langfristig ausgetrocknet wird.
    Müller: Das Straußsche Prinzip?
    Herdegen: In dieser prinzipiellen Aussage ist man sich in der CDU/CSU weithin einig. Aber es wird nichts getan, um dieser Aufgabe gerecht zu werden. Es geht vor allen Dingen auch darum, die Mittelschicht, den Mittelstand wieder zu stärken und damit auch die gesamte Gesellschaft wieder stärker zu integrieren und stabiler zu machen. Es gibt Analysen etwa der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die sagen, die Regierungspolitik hat im Grunde den Mittelstand in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend ausgehöhlt. All das sind Warnsignale, auf die die Regierung, auf die die Spitze der CDU reagieren muss, und es ist fatal, wenn wir den Eindruck haben, es gibt hier nur das Prinzip, wir haben nie etwas falsch gemacht und wir machen weiter wie bisher.
    "Es ist noch zu früh, hier Namen zu benennen"
    Müller: Die Bevölkerung hat das bislang in vielen Teilen ja ganz oft anders gesehen und Angela Merkel immerhin bei jeder Wahl zur Kanzlerin gemacht. Herr Herdegen, noch eine Frage zum Verständnis: Sie sagen, Sie wollen Gegenkandidat sein. Jetzt habe ich gelesen, das ist ein kompliziertes Verfahren. Sie brauchen ein Votum beispielsweise des Kreisverbandes, der Sie dann vorschlägt, oder irgendjemand steht bei der Delegiertenversammlung in Hamburg beim CDU-Parteitag auf und schlägt Sie vor, Matthias Herdegen. Wie läuft das jetzt ab? Werden Sie jemanden benennen, der Sie vorschlägt?
    Herdegen: Ich habe selbstverständlich Gespräche geführt - sonst wäre ich nicht in dieses Rennen gegangen -, die mir diese Zustimmung in Aussicht gestellt haben. Aber Sie werden verstehen, dass es noch zu früh ist, hier Namen zu benennen.
    Müller: Aber zur Not stehen Sie da auf und sagen, ich will?
    Herdegen: Ich habe das bereits getan. Mein Wunsch ist, meinen Beitrag zu leisten, gewissermaßen in dienender Form als Bürger, als Staatsrechtler, als Mitglied der CDU seit 1986, indem ich hier eine personelle Alternative auf dem Hamburger Parteitag bieten will.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.