Friedrich Alfred ist die dritte Generation der Dynastie Krupp. Der Großvater Friedrich hatte die Kruppsche Gusstahlfabrik gegründet, der Vater Alfred hatte sie ausgebaut und nun war sie auf Friedrich Alfred gekommen, dem schon mit seinen Vornamen die Aufgabe aufgetragen worden war, die Synthese aus seinen beiden Vorfahren zu bilden.
Die Firma Krupp in Essen steht 1874, als Friedrich Alfred in die Firma eintritt, gesund und solide da. Zwei überragende Unternehmensleiter haben die Maßstäbe gesetzt und gezeigt, was technisches Verständnis, Durchsetzungsfähigkeit und Ehrgeiz vermögen. Der Vater Alfred aber glaubt nicht, dass sein Sohn Friedrich Alfred das Potenzial hat, diese Leistungsvorgaben einzuhalten. Zeitweilig überlegt er sogar, das Familienunternehmen in eine Stiftung umzuwandeln. Als er den Sohn doch noch in die Firma holt, ist mit Hans Jenke, dem Vorsitzenden des Direktoriums bereits eine Art Vormund installiert, der ihn anleiten soll. Für den Sohn ist das ein Problem. Daran kann er zerbrechen oder aber sich auf seine Weise behaupten. Am Ende seines nur 48 Jahren dauernden Lebens hat sich unter seiner Leitung die Zahl der Angestellten der Kruppwerke auf 45.000 Mitarbeiter verdoppelt. Friedrich Alfred hatte gezeigt, dass er das Potenzial hatte.
Den Sammelband über Friedrich Alfred Krupp, einen Unternehmer im Kaiserreich, haben Michael Epkenhans und Ralf Stremmel herausgegeben. Stremmel ist der Leiter des Historischen Archivs Krupp bei der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Epkenhans ist Leiter der Abteilung Forschung im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr – nicht eben erstaunlich, wenn es um den Kanonenkönig Krupp geht. Der Leser ist skeptisch, es gibt eine große Nähe der Herausgeber zu ihrem Thema und es stellt sich die Frage, wem sie verpflichtet sein mögen. Sechs Aufsätze enthält der Band, etwa zu Krupps Rolle als Mäzen oder zu seinen naturwissenschaftlichen Forschungen – sowohl in seinem stählernen Fachgebiet als in auch seiner meereskundlichen Liebhaberei. Ein Aufsatz widmet sich seiner Frau Margarete Krupp, die Friedrich Alfred nur nach lang anhaltendem Widerstand seines Vaters heiraten durfte.
Lieber Carl! Nach schwerem Kampf, wobei es fast zum Bruch mit dem Vater kam, habe ich gesiegt. Ich bin daher hier, wo ich längere Zeit Chemie treiben werde – bis – bis – bis zur oder kurz vor meiner Heirat!. Wenn er die Einwilligung auch widerwillig gab, so hat er sie doch gegeben.
Schrieb der junge Krupp an einen Freund. Der Brief gehört zu der Auswahl von 53 Dokumenten, die den Einzeldarstellungen beigegeben sind. Wichtiger als diese individuellen Details dürften für das Bild Krupps in der Geschichte Aufsätze sein, wie beispielsweise der über die Unternehmerrolle Friedrich Alfred Krupps, der als Herr über seine Besitzungen in der Villa Hügel – man möchte sagen - thronte, doch das wäre nicht richtig. Krupps Sekretär musste folgende Anweisung an den Leiter der Werkskontrolle erlassen:
In Folge des Vorfalles, dass eine Arbeiterfrau Herrn Krupp gestern auf dem Hügel zu sprechen wünschte, machte Herr Krupp mir heute die Erklärung, dass er für jeden seiner Arbeiter und für jede Arbeiterfrau, welche Anliegen persönlich vorbringen wollen, hier auf der Fabrik zu sprechen sei, dagegen möchte man ihn auf dem Hügel in Ruhe lassen.
Ein Unternehmer mit am Ende 45.000 Arbeitern und Angestellten, der sich lediglich ausbat, nicht in seinen privaten Räumen gestört zu werden – das dürfte es heute wohl kaum geben, ungeachtet aller Theorien von flacher Hierarchie und kurzen Entscheidungswegen. Krupp war – das schildert Ralf Stremmel – ein patriarchalischer Unternehmer, der von seinen Arbeitern Ruhe und Gehorsam verlangte, der aber ihnen gegenüber auch eine Fürsorgepflicht empfand. Er gründete eine Siedlung für seine Angestellten, eine Sparkasse, eine Bücherhalle zur Fortbildung - ja bis in die Gestaltung der Schreibtische seiner Angestellten reichte sein Interesse. Aber natürlich war er nicht nur ein besorgter Patriarch, der die Welt verbessern wollte. Sein Ziel war es, ein internationaler Unternehmer in einer großen Familientradition zu sein, und er wollte Geld verdienen. Krupp produzierte Eisenbahnschienen und Kanonen und lieferte sie an jeden, der zahlen konnte. Als nahezu leidenschaftlicher Angehöriger des wilhelminischen Patriotismus stand für ihn Preußen-Deutschland als Staat seiner Heimat an erster Stelle – das preußisch-deutsche Heer erhielt seine Geschütze und Kanonen mit einem Preisnachlass von fünf bis zehn Prozent. Immer noch teuer genug, wie Berlin klagte. Dafür lieferte Krupp aber auch beste Ware, und er erwartete, schreibt Michael Epkenhans, den Dank des Vaterslandes: in Gestalt Wilhelms II., der ihm ein gnädiges Ohr zuwandte, und in Form einer kooperativen Handlungsweise seiner staatlichen Auftraggeber. Die jedoch wollten sich oft nicht unternehmerischen Grundsätzen fügen und begegneten dem mächtigen bis übermächtigen Lieferanten mit Misstrauen. Aber Krupp war nicht nur ein Lieferant präzisester Transport- und Tötungsmaschinen, er war auch aktiver Sozial- und theoretischer Gesellschaftspolitiker. Darwins Abstammungs- und Evolutionstheorie lieferte ein intellektuelles Modell, das Krupp in die Gesellschaftswissenschaften einführen wollte:
Was lernen wir aus der Descendenzlehre, der Haupterrungenschaft der Naturforschung des 19. Jahrhunderts, in Beziehung auf die innerpolitische Entwickelung und die Gesetzgebung der Staaten?
Naturgemäß war eine derart exponierte Person des wirtschaftlichen und sozialen Lebens auch Anfeindungen ausgesetzt. Am 15. November 1902 veröffentlichte der sozialdemokratische "Vorwärts" einen Artikel, in dem Krupp als homosexuell und seine Lieblingsinsel Capri als Schauplatz unerhörter Orgien beschrieben wurde. Ein ausführliches Kapitel von Dieter Richter widmet sich diesem Angriff. Krupp war oft und lange auf Capri gewesen, er hatte sich dort eingerichtet, war auch als Mäzen bekannt geworden. Offenbar ist die Person Krupp als Waffe in einem inneritalienischen Machtkampf verwendet worden, wo eine Partei versuchte, mit den durchaus bekannten homoerotischen Neigungen Krupps dem politischen Konkurrenten zu schaden. Der Widerhall dieser lokalpolitischen Streitigkeiten drang bis nach Berlin und Essen.
In der ehrpusseligen wilhelminischen Gesellschaft waren solche Angriffe für das Ansehen nahezu tödliche Dolchstöße. Friedrich Alfred Krupp starb nur wenige Tage nach dem peinlichen Artikel, wohl nicht durch den immer wieder vermuteten Selbstmord, sondern als Opfer seiner schwachen Gesundheit. Die Aufsätze dieses Bandes montieren Details der unternehmerischen und historischen Persönlichkeit Friedrich Alfred Krupp zu einem erklärenden, aber nicht kompletten Bild. Hier ist kein Historiker, der sich einer Person annähert, deren Leben und Wirken, deren Motive im Handeln und im Schmerz der Niederlage er durch warmherziges Nachfühlen und Mitempfinden zu verstehen sucht - sondern hier werden, interessiert, aber durchaus distanziert, einzelne Fäden eines biografischen Gewebes ausgebreitet. Wenn er den Band zuklappt, erinnert sich der Leser an die Skandale der jüngsten Zeit und fragt sich, ob selbst ein Kanonenbauer Krupp nicht heute noch einen gewissen Vorbildcharakter hätte. Das anzuregen war nicht die Absicht oder Aufgabe des Buches, aber der Gedanke drängt sich schon auf.
Paul Stänner war das über Friedrich Alfred Krupp. Ein Unternehmer im Kaiserreich, herausgegeben von Michael Epkenhans und Ralf Stremmel. Erschienen bei C.H. Beck. 364 Seiten kosten 29,95 Euro, ISBN: 978-3406606700.
Die Firma Krupp in Essen steht 1874, als Friedrich Alfred in die Firma eintritt, gesund und solide da. Zwei überragende Unternehmensleiter haben die Maßstäbe gesetzt und gezeigt, was technisches Verständnis, Durchsetzungsfähigkeit und Ehrgeiz vermögen. Der Vater Alfred aber glaubt nicht, dass sein Sohn Friedrich Alfred das Potenzial hat, diese Leistungsvorgaben einzuhalten. Zeitweilig überlegt er sogar, das Familienunternehmen in eine Stiftung umzuwandeln. Als er den Sohn doch noch in die Firma holt, ist mit Hans Jenke, dem Vorsitzenden des Direktoriums bereits eine Art Vormund installiert, der ihn anleiten soll. Für den Sohn ist das ein Problem. Daran kann er zerbrechen oder aber sich auf seine Weise behaupten. Am Ende seines nur 48 Jahren dauernden Lebens hat sich unter seiner Leitung die Zahl der Angestellten der Kruppwerke auf 45.000 Mitarbeiter verdoppelt. Friedrich Alfred hatte gezeigt, dass er das Potenzial hatte.
Den Sammelband über Friedrich Alfred Krupp, einen Unternehmer im Kaiserreich, haben Michael Epkenhans und Ralf Stremmel herausgegeben. Stremmel ist der Leiter des Historischen Archivs Krupp bei der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, Epkenhans ist Leiter der Abteilung Forschung im Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr – nicht eben erstaunlich, wenn es um den Kanonenkönig Krupp geht. Der Leser ist skeptisch, es gibt eine große Nähe der Herausgeber zu ihrem Thema und es stellt sich die Frage, wem sie verpflichtet sein mögen. Sechs Aufsätze enthält der Band, etwa zu Krupps Rolle als Mäzen oder zu seinen naturwissenschaftlichen Forschungen – sowohl in seinem stählernen Fachgebiet als in auch seiner meereskundlichen Liebhaberei. Ein Aufsatz widmet sich seiner Frau Margarete Krupp, die Friedrich Alfred nur nach lang anhaltendem Widerstand seines Vaters heiraten durfte.
Lieber Carl! Nach schwerem Kampf, wobei es fast zum Bruch mit dem Vater kam, habe ich gesiegt. Ich bin daher hier, wo ich längere Zeit Chemie treiben werde – bis – bis – bis zur oder kurz vor meiner Heirat!. Wenn er die Einwilligung auch widerwillig gab, so hat er sie doch gegeben.
Schrieb der junge Krupp an einen Freund. Der Brief gehört zu der Auswahl von 53 Dokumenten, die den Einzeldarstellungen beigegeben sind. Wichtiger als diese individuellen Details dürften für das Bild Krupps in der Geschichte Aufsätze sein, wie beispielsweise der über die Unternehmerrolle Friedrich Alfred Krupps, der als Herr über seine Besitzungen in der Villa Hügel – man möchte sagen - thronte, doch das wäre nicht richtig. Krupps Sekretär musste folgende Anweisung an den Leiter der Werkskontrolle erlassen:
In Folge des Vorfalles, dass eine Arbeiterfrau Herrn Krupp gestern auf dem Hügel zu sprechen wünschte, machte Herr Krupp mir heute die Erklärung, dass er für jeden seiner Arbeiter und für jede Arbeiterfrau, welche Anliegen persönlich vorbringen wollen, hier auf der Fabrik zu sprechen sei, dagegen möchte man ihn auf dem Hügel in Ruhe lassen.
Ein Unternehmer mit am Ende 45.000 Arbeitern und Angestellten, der sich lediglich ausbat, nicht in seinen privaten Räumen gestört zu werden – das dürfte es heute wohl kaum geben, ungeachtet aller Theorien von flacher Hierarchie und kurzen Entscheidungswegen. Krupp war – das schildert Ralf Stremmel – ein patriarchalischer Unternehmer, der von seinen Arbeitern Ruhe und Gehorsam verlangte, der aber ihnen gegenüber auch eine Fürsorgepflicht empfand. Er gründete eine Siedlung für seine Angestellten, eine Sparkasse, eine Bücherhalle zur Fortbildung - ja bis in die Gestaltung der Schreibtische seiner Angestellten reichte sein Interesse. Aber natürlich war er nicht nur ein besorgter Patriarch, der die Welt verbessern wollte. Sein Ziel war es, ein internationaler Unternehmer in einer großen Familientradition zu sein, und er wollte Geld verdienen. Krupp produzierte Eisenbahnschienen und Kanonen und lieferte sie an jeden, der zahlen konnte. Als nahezu leidenschaftlicher Angehöriger des wilhelminischen Patriotismus stand für ihn Preußen-Deutschland als Staat seiner Heimat an erster Stelle – das preußisch-deutsche Heer erhielt seine Geschütze und Kanonen mit einem Preisnachlass von fünf bis zehn Prozent. Immer noch teuer genug, wie Berlin klagte. Dafür lieferte Krupp aber auch beste Ware, und er erwartete, schreibt Michael Epkenhans, den Dank des Vaterslandes: in Gestalt Wilhelms II., der ihm ein gnädiges Ohr zuwandte, und in Form einer kooperativen Handlungsweise seiner staatlichen Auftraggeber. Die jedoch wollten sich oft nicht unternehmerischen Grundsätzen fügen und begegneten dem mächtigen bis übermächtigen Lieferanten mit Misstrauen. Aber Krupp war nicht nur ein Lieferant präzisester Transport- und Tötungsmaschinen, er war auch aktiver Sozial- und theoretischer Gesellschaftspolitiker. Darwins Abstammungs- und Evolutionstheorie lieferte ein intellektuelles Modell, das Krupp in die Gesellschaftswissenschaften einführen wollte:
Was lernen wir aus der Descendenzlehre, der Haupterrungenschaft der Naturforschung des 19. Jahrhunderts, in Beziehung auf die innerpolitische Entwickelung und die Gesetzgebung der Staaten?
Naturgemäß war eine derart exponierte Person des wirtschaftlichen und sozialen Lebens auch Anfeindungen ausgesetzt. Am 15. November 1902 veröffentlichte der sozialdemokratische "Vorwärts" einen Artikel, in dem Krupp als homosexuell und seine Lieblingsinsel Capri als Schauplatz unerhörter Orgien beschrieben wurde. Ein ausführliches Kapitel von Dieter Richter widmet sich diesem Angriff. Krupp war oft und lange auf Capri gewesen, er hatte sich dort eingerichtet, war auch als Mäzen bekannt geworden. Offenbar ist die Person Krupp als Waffe in einem inneritalienischen Machtkampf verwendet worden, wo eine Partei versuchte, mit den durchaus bekannten homoerotischen Neigungen Krupps dem politischen Konkurrenten zu schaden. Der Widerhall dieser lokalpolitischen Streitigkeiten drang bis nach Berlin und Essen.
In der ehrpusseligen wilhelminischen Gesellschaft waren solche Angriffe für das Ansehen nahezu tödliche Dolchstöße. Friedrich Alfred Krupp starb nur wenige Tage nach dem peinlichen Artikel, wohl nicht durch den immer wieder vermuteten Selbstmord, sondern als Opfer seiner schwachen Gesundheit. Die Aufsätze dieses Bandes montieren Details der unternehmerischen und historischen Persönlichkeit Friedrich Alfred Krupp zu einem erklärenden, aber nicht kompletten Bild. Hier ist kein Historiker, der sich einer Person annähert, deren Leben und Wirken, deren Motive im Handeln und im Schmerz der Niederlage er durch warmherziges Nachfühlen und Mitempfinden zu verstehen sucht - sondern hier werden, interessiert, aber durchaus distanziert, einzelne Fäden eines biografischen Gewebes ausgebreitet. Wenn er den Band zuklappt, erinnert sich der Leser an die Skandale der jüngsten Zeit und fragt sich, ob selbst ein Kanonenbauer Krupp nicht heute noch einen gewissen Vorbildcharakter hätte. Das anzuregen war nicht die Absicht oder Aufgabe des Buches, aber der Gedanke drängt sich schon auf.
Paul Stänner war das über Friedrich Alfred Krupp. Ein Unternehmer im Kaiserreich, herausgegeben von Michael Epkenhans und Ralf Stremmel. Erschienen bei C.H. Beck. 364 Seiten kosten 29,95 Euro, ISBN: 978-3406606700.