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Kommentar zum Ampel-Zoff
Die Krisen von FDP und Grünen werden für Scholz zum Problem

Olaf Scholz wisse, dass er nur mit der Ampel-Koalition Bundeskanzler bleiben könne, kommentiert Andreas Rinke von der Nachrichtenagentur Reuters. Doch die Juniorpartner agierten mehr und mehr im Modus der Opposition.

Andreas Rinke, Nachrichtenagentur Reuters |
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, r) spricht im Bundestag bei der Befragung der Bundesregierung neben Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen, und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen, M), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, zu den Abgeordneten im Plenum.
Zwischen den Spitzenpolitikern der Ampel-Koalition herrscht nur noch selten Harmonie (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Der Schock kam am vergangenen Dienstag. In einer Umfrage waren die Grünen plötzlich nur noch viertstärkste Kraft in Deutschland. Dabei hatten sie vor anderthalb Jahren noch davon geträumt, ins Kanzleramt einzuziehen. Aber seit einigen Monaten befinden sich die Grünen im Sinkflug in der Wählergunst. Während sich die meisten Beobachter an der FDP und deren Ausscheiden aus den Landtagen abarbeiten, wird immer deutlicher, dass auch ein zweiter Koalitionspartner in der Ampel-Koalition schwächelt. Dabei sind die Gründe für die Probleme bei den Liberalen und der Öko-Partei durchaus vergleichbar.

Olaf Scholz braucht die Ampel zum Machterhalt

2021 hatte Kanzler Olaf Scholz Grüne und FDP kunstvoll in eine Erzählung eingebunden, die die großen inhaltlichen Differenzen zwischen den drei Ampel-Parteien überbrücken sollte. Fortan war von einer „Fortschrittskoalition“, von einem „Modernisierungsbündnis“ die Rede. Und der SPD-Politiker betonte immer wieder, dass die Ampel ein Projekt sei, das über die nächste Bundestagswahl 2025 Bestand haben werde. Denn Scholz weiß: Nur mit der Ampel hat er angesichts einer als stärker eingeschätzten Union die Chance, Kanzler zu bleiben.

Die Krise hat die Koalition zusammengeschweißt

2022 schweißte die Weltlage mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine, mit Energiekrise und Inflation die drei Parteien zusammen. Die Krisen waren so ernst, dass alle über ihren Schatten springen mussten und überholte Positionen korrigierten: Der Kanzler sprach von Zeitenwende - nur so wurde eine zumindest zeitweise Verlängerung der Atomkraftnutzung möglich und der vorübergehende verstärkte Einsatz von Kohle als Gasersatz.
Deshalb machte Finanzminister Christian Lindner mit bei der Einrichtung neuer Schattenhaushalte wie der 100-Milliarden-Euro-Kreditlinie für die bessere Ausstattung der Bundeswehr – was auch Grüne und SPD-Linke nach jahrelangem Widerstand akzeptierten. Der FDP schadete dies bei ihren Kernwählern. Aber zumindest für Wirtschaftsminister Robert Habeck zahlte sich dieser Pragmatismus durch steigende Umfragewerte aus.

Grüne und FDP im Oppositionsmodus

2023 ebbte die Dramatik der Krise in der Wahrnehmung vieler Menschen und Politiker aber ab. Automatisch stieg gerade bei den beiden früheren Oppositionsparteien das Bedürfnis, nun wieder den eigenen Markenkern deutlicher sichtbar werden zu lassen. Das erklärt das wochenlange Beharren von Grünen und FDP auf Positionen beim Autobahnausbau und Verbrennermotor.
Zumindest den Grünen nutzte dies nicht. Zum einen hängen ihr Kritiker wieder das Label einer „Verbotspartei“ an. Zum anderen hat ihnen die Landtagswahl in Berlin gezeigt, dass sie nur als pragmatischer Koalitionspartner attraktiv sind. In SPD und Union breitet sich aber das Gefühl aus, dass ihnen eine Partei etwa mit einer als symbolhaft empfundenen, nicht mehrheitsfähigen Verkehrspolitik nur Probleme bereitet. „Menschlich in Ordnung, politisch schwierig“, lautete in den vergangenen Wochen das übereinstimmende Urteil mehrerer Politiker aus Bund und Ländern. Die Rolle als automatisch begehrter Koalitionspartner scheint beendet.
Und der Umgang mit den Beschlüssen des Koalitionsausschusses ist ein Warnzeichen, dass die Probleme in der Ampel anhalten dürften: Die über Monate gebeutelte FDP jubelte so laut über einige durchgesetzte Punkte, dass dies sofort Widerspruch provozierte. Die Grünen knickten angesichts der Kritik von Umweltverbänden so ein, dass sie die gemeinsamen Ergebnisse mit SPD und FDP mal lobten, mal kritisierten und mal infrage stellten. Dann schämte sich Habeck in Kiew auch noch für die seiner Meinung nach zu späten Waffenlieferungen für die Ukraine. Mit dem Rezept ‚Opposition in der Regierung‘ sind aber schon andere Parteien gescheitert.

Führungsstreit bei den Grünen

Bei den Grünen kommt erschwerend dazu, dass hinter den Kulissen längst der Wettbewerb zwischen Annalena Baerbock und Habeck begonnen hat, wer die Partei in die Wahl 2025 führen darf. Dumm für Kanzler Scholz: Der SPD und ihm selbst nutzt die Schwäche der beiden Koalitionspartner nicht. Zwar spielt Scholz die Rolle des erfahrenen Realpolitikers, der die Juniorpartner immer wieder daran erinnert, wie Politik funktioniert. Die Ampel winkt auch viele Gesetze durch, ist also funktionsfähig. Aber die Dauerauseinandersetzung in der Ampel etwa über Energie und Klimapolitik bewirkt, dass dem Kanzler zunehmend Führungsstärke abgesprochen wird.
Andreas Rinke
Andreas Rinke
Andreas Rinke, Jahrgang 1961, studierte in Hannover, London und Paris Geschichte, Politik und Soziologie. Der promovierte Historiker volonierte bei der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" und arbeitete dort zunächst in der Lokal-, dann in der Politikredaktion. Im Jahr 2000 wechselte er zum "Handelsblatt" nach Berlin, wo er zuletzt stellvertretender Büroleiter und Chefkorrespondent Außenpolitik war. Seit Jahr 2010 arbeitet er für die internationale Nachrichtenagentur "Reuters". Dort ist er politischer Chefkorrespondent des deutschen Dienstes und Teamleiter Politik. Er ist Autor der Bücher "11 drohende Kriege" und "Das Merkel-Lexikon".