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Kanzlerin gibt Emil-Nolde-Bilder zurück
Bunte Blumen, Brecher und braune Ideologie

Angela Merkel trennt sich von zwei Nolde-Gemälden, die seit Jahren als Leihgaben der Berliner Nationalgalerie in ihrem Amtszimmer hängen. Über den Maler ist seit langem bekannt, dass er Rassist und Anhänger der Nationalsozialisten war. Deshalb verwundert die Begründung der Bundeskanzlerin.

Von Stefan Koldehoff |
Angela Merkel mit Gästen vor Emil Noldes Gemälde "Brecher" (1936)
Die Werke eines Malers lassen sich nicht von seiner Gesinnung trennen: Angela Merkel 2013 mit Staatsgästen vor Emil Noldes Gemälde "Brecher" (1936) (Bundesregierung)
Da scheint Angela Merkel aber mächtig Glück gehabt zu haben: Ganz zufällig kurz vor der Eröffnung einer Ausstellung im Museum "Hamburger Bahnhof", die ab 11. April Emil Noldes Verhältnis zum Nationalsozialismus beschreiben soll, muss sie die beiden Nolde-Werke in ihrem Amtszimmer von der Wand nehmen. Nicht aus eigenem Antrieb, lässt das für Kanzlerinnenäußerungen zuständige Bundespresseamt auf Anfrage mitteilen: "Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hatte die Bundeskanzlerin gebeten, das Gemälde ‚Brecher‘ von Emil Nolde an die Stiftung als Eigentümerin des Kunstwerks zurückzugeben. Dieser Bitte kommt die Bundeskanzlerin selbstverständlich gerne nach. Neben diesem wird sie auch das zweite in ihrem Arbeitszimmer befindliche Gemälde von Emil Nolde dauerhaft an die Stiftung zurückgeben." Der "Brecher" wird in der Berliner Ausstellung auch gezeigt.
Der Zeitpunkt und die Begründung dürfen trotzdem verwundern. Dass die beiden Gemälde "Blumengarten (Thersens Haus)" von 1915 und die Meeresansicht "Brecher" von 1936 im Kanzleramt nicht gut hingen, war lange bekannt. Recherchen von Experten wie Aya Soika und Felix Krämer haben ergeben, was Krämer – Direktor des Düsseldorfer Museums Kunstpalast – im Deutschlandfunk so beschrieben hat: "Wir haben es hier mit einem Antisemiten und Rassisten zu tun, der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fest daran glaubte." Es sei belegt, so Krämer, dass Nolde ein überzeugter Nationalsozialist war. In seinen Lebenserinnerungen finden sich zahlreiche entsprechende Äußerungen, die der Künstler nach dem Krieg schnell wieder strich. Die weißgewaschenen Fassungen vertreibt der Dumont-Verlag bis heute – nahezu unkommentiert.
Die Legende vom Opfer
Dass Noldes Bilder ab 1937 trotz seiner politischen Überzeugung und Hoffnung aus den deutschen Museen entfernt und als "entartet" ausgestellt wurden, war Grundlage für die Legende von Nolde als Opfer und Verfolgtem, die nach dem Krieg und bis in die jüngste Gegenwart weiter gestrickt worden ist. Auch der Roman "Deutschstunde" von Siegfried Lenz und die Behauptung eines "Malverbotes" haben sich tief ins Bewusstsein eingegraben und zum Nolde-Mythos beigetragen. Der enge Lenz-Freund Helmut Schmidt hatte schon den Bonner Kanzlerbungalow mit Nolde dekoriert – auch als Akt der Wiedergutmachung.
Angela Merkel hätte es besser wissen können, als sie jahrelang Staatschefs und Delegationen auch aus Ländern, die einst Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands und seines Mordens waren, unter Werken des NS-Anhängers Emil Nolde empfing. Nur einige Ecken entfernt hängt im Kabinettssaal der "Sonntag der Bergbauern" von Ernst Ludwig Kirchner, der sich 1938 das Leben nahm. Krämer, damals noch Kurator am Frankfurter Städel, hat einem breiten Publikum schon 2014 in einer Ausstellung vor Augen geführt, dass sich das Werk eines Künstlers nicht von seiner Überzeugung trennen lässt. Und dass sich Noldes Bildwelt nach 1933 veränderte: Religiöse Themen, bis dahin eine wichtige Werkgruppe bei Nolde, traten deutlich in den Hintergrund; der Maler hatte einen anderen Glauben gefunden. Begriffe wie "Blut und Boden", Heimat, Rasse spielten nun eine herausgehobenere Rolle. Ab der kommenden Woche wird das nicht mehr zu übersehen sein – durch die Ausstellung im "Hamburger Bahnhof", etwa 600 Meter vom Kanzleramt entfernt.
Der Neue ist Karl Schmidt-Rottluff
Dass kurz zuvor der Nationalgalerie aufgefallen ist, dass sie ausgerechnet ihre Nolde-Leihgaben zurück haben möchte, ist also ein so glücklicher wie seltsamer Zufall für eine Kanzlerin - der nicht selbst aufgefallen ist, wie schlecht ihre Wahl war. Vor leeren Wänden in ihrem Amtszimmer muss sich trotzdem niemand fürchten, wie das Bundespresseamt auf Anfrage ebenfalls mitteilt: "Die Bundeskanzlerin nimmt gerne das Angebot der Stiftung Preußischer Kulturbesitz an, künftig zwei Bilder des Expressionisten Karl Schmidt-Rottluff (‚Haus unter Bäumen‘ und ‚Häuser am Kanal‘) in ihrem Arbeitszimmer aufhängen zu können."
Sie hätte diesen Wechsel offensiver vertreten können. Und politischer begründen müssen.