Friedbert Meurer: Mitgehört hat Rainer Brüderle. Er ist der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Brüderle.
Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Billigen Sie den Abweichlern wie Herrn Willsch oder auch denen in Ihrer eigenen Fraktion ihre Überzeugung zu?
Brüderle: Man hat immer vor anderen Auffassungen Respekt. Nur was er darlegt, greift zu kurz. Die Zusammenhänge sind leider etwas komplizierter. Es geht ja darum, dass damals die Regelungen, die man getroffen hat bei der Einführung des Euros mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, nicht wirken. Die sind zerrissen. Die ersten waren die rot-grüne Regierung in Deutschland und Frankreich, die gegen die Kriterien, die zusätzlich zur Stabilität eingeführt wurden, verstoßen haben. Jetzt müssen wir etwas Neues schaffen, denn wir sind hier in einem einmaligen Vorgang in Europa: Wir haben eine Wirtschafts- und Währungsunion, keine politische Union. Das ist diese Asymmetrie, die uns von anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten unterscheidet. Wir müssen einen neuen Stabilitätspakt II schaffen mit dem ESM als zentralem Punkt, und was wir jetzt heute beschließen im Bundestag ist ein Zwischenschritt dahin. Wir haben eine Grauzonenaktivität durch die Europäische Zentralbank, die Staatsanleihen aufkauft, um Handlungsfähigkeit von Mitgliedsstaaten noch zu ermöglichen, Zinsen ertragbar zu halten. Das ist eigentlich nicht ihre Aufgabe. Das kann man nur rechtfertigen als Notmaßnahme, weil wir noch nichts haben als Instrumentarium.
Meurer: Ihr Koalitionspartner Horst Seehofer sagt heute Morgen in der "Süddeutschen Zeitung", bis hierhin und nicht weiter. Ist das auch Ihre Devise?
Brüderle: Ja, dafür habe ich viel Sympathie, aber ich will ja in einen anderen Mechanismus mit dem ESM, der den Ordnungsrahmen noch stärker setzt.
Meurer: Das ist der dauerhafte Euro-Rettungsschirm.
Brüderle: Der dauerhafte europäische Rettungsschirm. Wir machen was Temporäres bis 2013 jetzt, weil wir nichts haben, die Notenbank aus ihren Grauzonenaktivitäten herausgeholt werden muss, und das Kernproblem Griechenlands und anderer Länder ist, dass sie nicht hinreichend wettbewerbsfähig sind. Und jetzt ist die Stunde der Wahrheit, dass man sieht, dass in diesen Ländern Reformanstrengungen unterblieben sind, dass man Anpassungsmaßnahmen nicht gemacht hat. Jetzt müssen wir sie mit hohem Druck, indem man ein enges Zeitfenster setzt, veranlassen, dies nachzuholen, damit Europa insgesamt stark wird, und das geht nicht über Nacht. Und es geht auch nicht nur um Griechenland. Es geht auch darum, wie die Auswirkungen auf deutsche, französische und andere Banken dabei wären, wenn Griechenland zum Zahlungsausfall total käme durch eine Staatsinsolvenz. Deshalb muss man es in einem abgefederten Weg zu den richtigen Grundsätzen wieder hinführen, das ist die Aufgabe Europas, und nicht puristisch einen gut begründeten Teilaspekt, wie eben es getan wurde von dem CDU-Kollegen, nur isoliert zu sehen. Das Ganze ist noch komplizierter.
Meurer: Die Abgeordneten hören auch genau hin, Herr Brüderle, in Ihrer Fraktion, was zum Beispiel der Bundesfinanzminister sagt. Was hat er denn am Dienstag bei Ihnen in der Fraktion gesagt zu dieser ominösen Hebelwirkung, mit der aus den 200 Milliarden oder aus den 440 Milliarden Rettungsschirm Billionen werden können?
Brüderle: Er hat klar gesagt, dass genau nur das zur Entscheidung ansteht heute, was auch schriftlich vorgelegt ist. Die Spekulationen, wenn in Washington bei der Tagung des Währungsfonds ein paar Tausend Leute zusammenkommen und vielleicht auch, weil die Amerikaner ablenken wollen von ihrer Misere, die mindestens so groß ist wie die in Europa, solche Dinge in den Raum gestellt werden, dass man diesem Rettungsfonds noch zusätzliche Zugangsmöglichkeiten zur Notenpresse quasi geben will, die stehen überhaupt nicht zur Entscheidung an. Das Parlament entscheidet über die schriftliche Vorlage und nicht über Pressespekulationen, die der Kollege eben zitiert hat.
Meurer: Mag sein. Wird es denn den Hebel jetzt geben oder nicht?
Brüderle: Meines Erachtens wird es ihn nicht geben, weil hier der Text völlig eindeutig ist. Ich weiß, über was ich entscheide, ich weiß, was schriftlich vorliegt, und ich entscheide nicht über eine Fata Morgana und irgendwelche Spekulationen. Da muss man doch die Handlungsfähigkeit eines Parlaments haben, das eine schriftliche Vorlage hat, den zusätzlichen klaren Vortrag des Finanzministers, Herrn Schäuble, den ich für einen absolut ehrenwerten Mann halte, der dies vorträgt, und das ist die Entscheidungsgrundlage und nicht irgendwie, was in schwierigen Zeiten natürlich, wenn viele Blasen zufällig bewusst oder gezielt dann in die Landschaft gesetzt werden. Wir müssen doch die Dinge noch ein bisschen nüchtern zusammenhalten.
Meurer: Also Schäuble hat nicht verwirrt?
Brüderle: Er hat überhaupt nicht verwirrt. Er hat glasklar die Position dargelegt und ich würde ihm auch nicht unterstellen, Herr Schäuble ist einer der erfahrensten Politiker, dass er hier ein Trickser und Täuscher wäre und irgendwas anderes erzählt, als in Wahrheit die Zusammenhänge sind. Das ihm zu unterstellen, ist egal, wo man politisch steht, absolut ungerechtfertigt.
Meurer: Sie werden ja auch neugierig sein, wie die Abstimmung heute ausgeht. Reicht es für die Kanzlermehrheit?
Brüderle: Wir brauchen keine Kanzlermehrheit. Das ist ein normales Gesetz. Die Kanzlermehrheit braucht man – deshalb heißt sie so – zur Wahl des Kanzlers. Unabhängig davon glaube ich, dass die Geschlossenheit der Regierung so groß ist, dass es auch reichen wird. Aber das ist auch wieder ähnlich wie die Blasen, die wir eben diskutiert haben, so in den Raum gestellt, man braucht eine Kanzlermehrheit. Es wird gar keine Kanzlerin gewählt. Man könnte auch sagen, wir brauchen fünf Stimmen mehr als die Kanzlermehrheit, denn wenn so etwas zur Entscheidung ansteht, können ja fünf grippekrank sein. Ich tue es jetzt bewusst ein bisschen salopp darstellen. Dann werden Popanze in die Schaufenster hineingestellt, die Menschen werden verwirrt, so schafft man für eine parlamentarische Demokratie nicht mehr Akzeptanz. Man muss die Dinge auseinanderhalten, Kanzlermehrheit braucht man bei der Kanzlerwahl, unabhängig davon, dass ich davon überzeugt bin, dass wir so stark heute in der Abstimmung sein werden, dass auch diese Zahl überschritten wird.
Meurer: Nur ganz kurz! Wie viele sagen bei Ihnen Nein? Wie viele sagen bei Ihnen Nein oder enthalten sich?
Brüderle: Wir hatten bei der Abstimmung vor wenigen Wochen zwei Neinstimmen, vier Enthaltungen. Ich gehe davon aus, dass heute die Zustimmungsquote noch höher sein wird.
Meurer: Rainer Brüderle, FDP-Fraktionschef, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören, Herr Brüderle.
Brüderle: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Billigen Sie den Abweichlern wie Herrn Willsch oder auch denen in Ihrer eigenen Fraktion ihre Überzeugung zu?
Brüderle: Man hat immer vor anderen Auffassungen Respekt. Nur was er darlegt, greift zu kurz. Die Zusammenhänge sind leider etwas komplizierter. Es geht ja darum, dass damals die Regelungen, die man getroffen hat bei der Einführung des Euros mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, nicht wirken. Die sind zerrissen. Die ersten waren die rot-grüne Regierung in Deutschland und Frankreich, die gegen die Kriterien, die zusätzlich zur Stabilität eingeführt wurden, verstoßen haben. Jetzt müssen wir etwas Neues schaffen, denn wir sind hier in einem einmaligen Vorgang in Europa: Wir haben eine Wirtschafts- und Währungsunion, keine politische Union. Das ist diese Asymmetrie, die uns von anderen Ländern wie den Vereinigten Staaten unterscheidet. Wir müssen einen neuen Stabilitätspakt II schaffen mit dem ESM als zentralem Punkt, und was wir jetzt heute beschließen im Bundestag ist ein Zwischenschritt dahin. Wir haben eine Grauzonenaktivität durch die Europäische Zentralbank, die Staatsanleihen aufkauft, um Handlungsfähigkeit von Mitgliedsstaaten noch zu ermöglichen, Zinsen ertragbar zu halten. Das ist eigentlich nicht ihre Aufgabe. Das kann man nur rechtfertigen als Notmaßnahme, weil wir noch nichts haben als Instrumentarium.
Meurer: Ihr Koalitionspartner Horst Seehofer sagt heute Morgen in der "Süddeutschen Zeitung", bis hierhin und nicht weiter. Ist das auch Ihre Devise?
Brüderle: Ja, dafür habe ich viel Sympathie, aber ich will ja in einen anderen Mechanismus mit dem ESM, der den Ordnungsrahmen noch stärker setzt.
Meurer: Das ist der dauerhafte Euro-Rettungsschirm.
Brüderle: Der dauerhafte europäische Rettungsschirm. Wir machen was Temporäres bis 2013 jetzt, weil wir nichts haben, die Notenbank aus ihren Grauzonenaktivitäten herausgeholt werden muss, und das Kernproblem Griechenlands und anderer Länder ist, dass sie nicht hinreichend wettbewerbsfähig sind. Und jetzt ist die Stunde der Wahrheit, dass man sieht, dass in diesen Ländern Reformanstrengungen unterblieben sind, dass man Anpassungsmaßnahmen nicht gemacht hat. Jetzt müssen wir sie mit hohem Druck, indem man ein enges Zeitfenster setzt, veranlassen, dies nachzuholen, damit Europa insgesamt stark wird, und das geht nicht über Nacht. Und es geht auch nicht nur um Griechenland. Es geht auch darum, wie die Auswirkungen auf deutsche, französische und andere Banken dabei wären, wenn Griechenland zum Zahlungsausfall total käme durch eine Staatsinsolvenz. Deshalb muss man es in einem abgefederten Weg zu den richtigen Grundsätzen wieder hinführen, das ist die Aufgabe Europas, und nicht puristisch einen gut begründeten Teilaspekt, wie eben es getan wurde von dem CDU-Kollegen, nur isoliert zu sehen. Das Ganze ist noch komplizierter.
Meurer: Die Abgeordneten hören auch genau hin, Herr Brüderle, in Ihrer Fraktion, was zum Beispiel der Bundesfinanzminister sagt. Was hat er denn am Dienstag bei Ihnen in der Fraktion gesagt zu dieser ominösen Hebelwirkung, mit der aus den 200 Milliarden oder aus den 440 Milliarden Rettungsschirm Billionen werden können?
Brüderle: Er hat klar gesagt, dass genau nur das zur Entscheidung ansteht heute, was auch schriftlich vorgelegt ist. Die Spekulationen, wenn in Washington bei der Tagung des Währungsfonds ein paar Tausend Leute zusammenkommen und vielleicht auch, weil die Amerikaner ablenken wollen von ihrer Misere, die mindestens so groß ist wie die in Europa, solche Dinge in den Raum gestellt werden, dass man diesem Rettungsfonds noch zusätzliche Zugangsmöglichkeiten zur Notenpresse quasi geben will, die stehen überhaupt nicht zur Entscheidung an. Das Parlament entscheidet über die schriftliche Vorlage und nicht über Pressespekulationen, die der Kollege eben zitiert hat.
Meurer: Mag sein. Wird es denn den Hebel jetzt geben oder nicht?
Brüderle: Meines Erachtens wird es ihn nicht geben, weil hier der Text völlig eindeutig ist. Ich weiß, über was ich entscheide, ich weiß, was schriftlich vorliegt, und ich entscheide nicht über eine Fata Morgana und irgendwelche Spekulationen. Da muss man doch die Handlungsfähigkeit eines Parlaments haben, das eine schriftliche Vorlage hat, den zusätzlichen klaren Vortrag des Finanzministers, Herrn Schäuble, den ich für einen absolut ehrenwerten Mann halte, der dies vorträgt, und das ist die Entscheidungsgrundlage und nicht irgendwie, was in schwierigen Zeiten natürlich, wenn viele Blasen zufällig bewusst oder gezielt dann in die Landschaft gesetzt werden. Wir müssen doch die Dinge noch ein bisschen nüchtern zusammenhalten.
Meurer: Also Schäuble hat nicht verwirrt?
Brüderle: Er hat überhaupt nicht verwirrt. Er hat glasklar die Position dargelegt und ich würde ihm auch nicht unterstellen, Herr Schäuble ist einer der erfahrensten Politiker, dass er hier ein Trickser und Täuscher wäre und irgendwas anderes erzählt, als in Wahrheit die Zusammenhänge sind. Das ihm zu unterstellen, ist egal, wo man politisch steht, absolut ungerechtfertigt.
Meurer: Sie werden ja auch neugierig sein, wie die Abstimmung heute ausgeht. Reicht es für die Kanzlermehrheit?
Brüderle: Wir brauchen keine Kanzlermehrheit. Das ist ein normales Gesetz. Die Kanzlermehrheit braucht man – deshalb heißt sie so – zur Wahl des Kanzlers. Unabhängig davon glaube ich, dass die Geschlossenheit der Regierung so groß ist, dass es auch reichen wird. Aber das ist auch wieder ähnlich wie die Blasen, die wir eben diskutiert haben, so in den Raum gestellt, man braucht eine Kanzlermehrheit. Es wird gar keine Kanzlerin gewählt. Man könnte auch sagen, wir brauchen fünf Stimmen mehr als die Kanzlermehrheit, denn wenn so etwas zur Entscheidung ansteht, können ja fünf grippekrank sein. Ich tue es jetzt bewusst ein bisschen salopp darstellen. Dann werden Popanze in die Schaufenster hineingestellt, die Menschen werden verwirrt, so schafft man für eine parlamentarische Demokratie nicht mehr Akzeptanz. Man muss die Dinge auseinanderhalten, Kanzlermehrheit braucht man bei der Kanzlerwahl, unabhängig davon, dass ich davon überzeugt bin, dass wir so stark heute in der Abstimmung sein werden, dass auch diese Zahl überschritten wird.
Meurer: Nur ganz kurz! Wie viele sagen bei Ihnen Nein? Wie viele sagen bei Ihnen Nein oder enthalten sich?
Brüderle: Wir hatten bei der Abstimmung vor wenigen Wochen zwei Neinstimmen, vier Enthaltungen. Ich gehe davon aus, dass heute die Zustimmungsquote noch höher sein wird.
Meurer: Rainer Brüderle, FDP-Fraktionschef, heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke und auf Wiederhören, Herr Brüderle.
Brüderle: Danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.