"Es ist einfach der beste Ort zum Leben. Ich glaube, es gibt Menschen, die nicht ohne das Meer leben können – und ich gehöre definitiv dazu."
Über 20 Jahre schon lebt Aldis Pinkens nahe Kolkasrags, zu deutsch Kap Kolka. Es ist windig, die Wellen schlagen hoch. Und sie schlagen gegeneinander, in Diagonalen laufen Wellen links und rechts von der Landspitze aufeinander zu. Kap Kolka ist der nördlichste Punkt der lettische Region Kurland. Hier treffen sich zwei Meere, die Ostsee und der Golf von Riga.
"Im Sommer kann man fast immer warmes Wasser finden, manchmal ist das Wasser wärmer in der Ostsee, manchmal im Golf von Riga, das hängt vom Wind ab."
Direkt an Kap Kolka grenzt der Slitere Nationalpark, ein mehr als 260 Quadratkilometer großes Naturschutzgebiet mit vielen Tier- und Pflanzenarten, die innerhalb Lettlands nur hier vorkommen. Dass sich dieses Gebiet so unberührt erhalten hat, ist, kaum zu glauben, der Sowjetunion zu verdanken.
"Zu Sowjetzeiten war das hier alles militärisches Sperrgebiet, denn hier war gewissermaßen die Grenze der Sowjetunion."
Noch immer steht, nur weniger hundert Meter vom Wasser entfernt ein altes Sowjetgebäude, baufällig und durch einen hohen Zaun für Unbefugte gesperrt. Doch für Aldis Pinkens als Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung von Kolka gilt das nicht.
"Hier haben die Soldaten das Meer beobachtet, sie hatten Radar und haben nach Flugzeugen und Schiffen Ausschau gehalten. Dass wir hier eine so unberührte Natur haben, das haben wir der sowjetischen Armee zu verdanken."
Nahe dem Wasser befindet sich eine etwa vier Meter große, sandsteinfarbene Skulptur. Auf den ersten Blick wirkt sie wie ein Tor, das ins Meer führt, wie der Überrest einer alten Festung. Die Skulptur wurde aber erst vor wenigen Jahren hier errichtet und die Inschrift, die sie trägt ist eine Warnung: Juras Panemtiem.
"Das bedeutet: vom Meer genommen. Es wurde hier zum Gedenken an vier Menschen errichtet, die meinten, sie könnten hier, am Kap Kolka schwimmen gehen, und sie verschwanden einfach. Hier zu schwimmen ist extrem gefährlich, dadurch, dass hier die Grenze zwischen Ostsee und dem Golf von Riga liegt, gibt es hier immer starke Strömungen, die man nicht vorhersehen kann."
Seit Jahrhunderten wird diese Grenze von Schiffen überquert, auf einer kleinen Insel im Mälaren-See westlich von Stockholm, rund 350 Kilometer Luftlinie von Kap Kolka entfernt, steht ein alter Wikinger-Runenstein, in der mehr als ein Jahrtausend alten Inschrift wird der Ort Domesnes erwähnt, ein alter Name für Kolkasrags:
"Sigrid errichtet diesen Stein für Sven, ihren Ehemann. Er segelte oft mit seinem kostbaren Schiff um Domesnes herum."
Und schon immer war es hier für Schiffe gefährlich. Es gibt dort eine Untiefe, die das Kap um circa sechs Kilometer unter Wasser verlängert. An ihrem Ende steht ein Leuchtturm aus dem 19. Jahrhundert auf einer künstlichen Insel. Es ist bereits der zweite, vom ersten, der direkt am Wasser stand, ist nur noch ein Haufen Steine übrig geblieben.
"Eine Sache, die mir Kap Kolka gezeigt hat ist, man kann nicht gegen Mutter Natur gewinnen."
In diesem Moment scheint das Meer Aldis Pinkens Recht geben zu wollen und wir kriegen nasse Füße.
"Vorsicht! Wissen Sie, man kann befestigte Häuser bauen, man kann versuchen, das Meer zu bändigen, sodass es das Haus in Ruhe lässt, aber das ist sinnlos. Das Meer nimmt sich, was es will. Hier in Kap Kolka ist das Wasser an einem Tag hier und einen Monat später ist es ganz woanders – es wird niemals gleich sein."