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Kapitalismus ohne Gewinnstreben

Um Armut zu bekämpfen, braucht es eine neue Form des Kapitalismus. Davon ist der Wirtschaftswissenschaftler Muhammad Yunus überzeugt. Seine Mikrokredite für Arme brachten dem heute 71-Jährigen 2006 den Friedensnobelpreis ein. Nun sorgt er mit einem neuen Buch für Aufsehen.

Von Thomas Fromm |
    Als der Friedensnobelpreispreisträger Muhammad Yunus vor einigen Wochen vor Studenten am Miami Dade College auftrat, hatte er seinen ganz persönlichen Wirtschaftsplan für Haiti mitgebracht: Das Land, sagte Yunus, habe eine Chance – wenn die Hilfen nur richtig eingesetzt würden. Milliardengelder seien seit dem schweren Erdbeben Anfang des Jahres nach Haiti geflossen, und doch tue sich das Land schwer, wieder ein funktionierendes Wirtschaftssystem auf die Beine zu stellen. Yunus schlug daher vor, einen Fonds für das einzurichten, was er "Social Businesses" nennt, "soziale Unternehmen". Zehn Prozent aller Hilfsgelder sollten in diesen Fonds eingezahlt werden. Nicht etwa, um es von dort aus weiterzureichen – sondern um das Wirtschaftssystem des Inselstaates komplett neu auszurichten. Die Idee, so Yunus:

    "Bei Wohltätigkeitsveranstaltungen hat jeder Dollar nur ein Leben.
    Bei Social Busineses hat er ein endloses Leben, weil er recycelt wird."


    Würde man die Geschichte des Mannes aus Chittagong in Bangladesh nicht kennen, könnte man die These von recycelten Dollar für eine Phrase halten, für ökonomischen Hokuspokus. Doch Yunus hat schon zu viele erfolgreiche Projekte ins Leben gerufen, um mit seinen neuen Ideen zu sozialen Unternehmen nicht ernst genommen zu werden. Der Akademiker, der früher als Hochschullehrer arbeitete, schreibt, wie aus dem Mann der Theorien ein Mann der Praxis wurde:

    "Es fiel mir immer schwerer, im Seminarraum elegante volkswirtschaftliche Theorien zu unterrichten, während draußen, vor den Toren der Universität, eine fürchterliche Hungersnot wütete. Im Angesicht des mörderischen Hungers und der Armut wurden die traditionellen wirtschaftlichen Konzepte für mich leer und inhaltslos."

    Der Visionär, der heute die Wirtschaft retten und armen Ländern mit den Mitteln eines neuen Kapitalismus helfen will, begann seine zweite Karriere mit 27 Dollar. 27 Dollar, die er nutzte, um 42 arme Kreditnehmer aus den Händen skrupelloser Geldverleiher freizukaufen. So entstand die Grameen-Bank, ein Institut, das ohne Profitzweck Mikrokredite an die Ärmsten der Armen vergibt und die Yunus noch heute eine "Dorfbank" nennt. Eine auf Arme spezialisierte Bank, deren Rückzahlungsrate bei Krediten der Autor mit 98 Prozent angibt. Wohlgemerkt: Es geht um Menschen, die nach den gängigen Regeln konventioneller Banken keinen Kredit bekommen würden, weil sie nicht kreditwürdig sind. Und wohlgemerkt: Viele dieser Großbanken kippten im Zuge der Finanzkrise der vergangenen Jahre, weil ihre Kunden – häufig bürgerliche Familien in den USA und Europa - Konsumentenkredite und Hypotheken nicht mehr bedienen konnten. Jetzt also der nächste Schritt, nach den Mikrokrediten das "Social Business". Der Autor setzt bei der Finanzkrise an. Und stellt fest:

    "Wir vergessen dabei, dass die Finanzkrise nur eine unter mehreren die Menschheit bedrohenden Krisen ist. Wir leiden außerdem noch unter einer weltweiten Ernährungskrise, einer Energiekrise, einer Umweltkrise, einer Krise des Gesundheitswesens sowie unter der fortdauernden sozialen und wirtschaftlichen Krise erheblicher weltweiter Armut. Diese Krisen sind genauso wichtig wie die Finanzkrise, auch wenn sie bisher nicht so viel Aufmerksamkeit fanden wie der Geldkreislauf."

    Yunus entwickelt so die Vision eines von Sozialunternehmen geprägten Wirtschaftssystems, den Traum von Unternehmen, die vor allem einen Zweck verfolgen: Menschen zu helfen. Er schreibt:

    "Ein Social Business ist ein Unternehmen, mit dem ein Investor anderen Menschen zu helfen versucht, ohne selbst einen finanziellen Nutzen daraus zu ziehen. Das Social Business ist zugleich auch ein echtes Unternehmen, weil es kostendeckend arbeiten muss. Es erzielt genügend Einkünfte, um die eigenen Betriebskosten decken zu können. Ein Teil des vom Social Business erwirtschafteten Überschusses wird in den Ausbau des Unternehmens investiert, ein weitere Teil wird als Reserve für wirtschaftlich schwierige Zeiten zurückgelegt."

    Es ist eine verlockende Idee: Mithilfe von Sozialunternehmen den Kapitalismus retten, indem man ihm die Gier und den Egoismus austreibt.

    "Wir wollen ehrlich sein: Das Gewinnmotiv ist äußerst mächtig. Wenn es auch nur den Fuß in die Tür bekommt, übernimmt es schon bald das ganze Haus."

    Man muss sich die von Yunus vertretene Form von Sozialunternehmen als kleine Joint Ventures mit großen etablierten Konzernen vorstellen. In Deutschland kooperiert er mit Adidas, Otto und BASF. BASF-Chef Jürgen Hambrecht muss die erste Begegnung mit dem Ökonomen aus Bangladesh sehr beeindruckt haben, denn er schreibt:

    "Bei vielen Themen stimmten wir auf Anhieb überein, obwohl wir doch in so unterschiedlichen Welten und Berufen zu Hause sind. Gerade die international tätigen Unternehmen sind sich immer stärker bewusst , dass sie langfristig nur erfolgreich sein können, wenn sie ihr Geschäft auf Werten aufbauen."

    Wie das in der Praxis funktioniert, zeigt das Beispiel des Ge-meinschaftsunternehmens Grameen Danone : Es entstand, als sich Yunus und der Danone-Vorstandsvorsitzende Franck Riboud bei einem gemeinsamen Mittagessen in Paris trafen. Er schlug dem Manager vor, ein gemeinsames Unternehmen zu gründen, das zwar rentabel arbeitet, aber keine Gewinne anpeilt. So entstand ein gemeinsames Yoghurt-Projekt. Beim Verkauf stützte man sich auf kleine Geschäfte und Frauen in den Dörfern – man nutzte deren soziale Netzwerke vor Ort, um den Yoghurt zu verkaufen und die Armen mit nährstoffreichem Joghurt zu versorgen.

    Gewinne wurden keine eingefahren, aber auch keine Verluste, nachdem man die Portionen kleiner gemacht hatte, als sich die Milchpreise verdoppelten und so sämtliche Kostenkalkulationen durcheinander brachten. Yunus zieht daraus den Schluss, dass "ein Social Business" ebenso gut geführt werden müsse wie jedes gewinnorientierte Unternehmen". Es ist daher eine seltsame Verbindung: Eine Partnerschaft zwischen börsennotierten, global agierenden Konzernen, und der Organsiation des Muhammad Yunus. Und sie ist doch der Schlüssel zu Yunus' Theorie.

    Alleine kann er die Armen nicht mit Joghurt, Schuhen und Arzneimitteln versorgen. Dazu braucht er die Großen. Die wiederum machen genug Gewinne, um sich auf kleine, regionale Joint Ventures einzulassen. Mit anderen Worten: Sie können es sich leisten, bei der radikalen Kapitalismusreform mitzuspielen, weil sie andernorts bereits kapitalistisch im strengen Sinne wirtschaften. Ist das nun Imagepolitur? Gewissenspflege? Es ist im Grunde auch egal. Noch steht Yunus mit seinen Projekt am Anfang, und noch muss sich erst erweisen, ob sein Konzept – Kapitalismus ohne Gewinnstreben – am Ende wirklich aufgeht. Aber einen Anfang hat er gemacht, und darauf kommt es an. BASF-Chef Hambrecht soll seinen Topmanagern empfohlen haben, Yunus zu lesen. Eine Empfehlung, die zeigt: Die große Welt der globalen Konzerne kommt nicht darum herum, sich mit den Ideen des Muhammad Yunus auseinanderzusetzen.

    Muhammad Yunus: "Social Business – von der Vision zur Tat." Hanser Verlag, München 2010. 274 Seiten, Euro 20,50 Euro