Ach ja, die Linke: Die gibt's auch noch. Vor lauter Pegida und internationaler Flüchtlingskrise und rechtspopulistischen Wahlerfolgen in weiten Teilen Europas könnte man das fast vergessen. Slavoj Žižek, der Lacanianer aus Ljubljana, ruft es mit seinem neuen Buch wieder in Erinnerung. Wobei auf den ersten 80, 90, 100 Seiten nicht so richtig klar wird, worauf der Poststrukturalist, der keiner sein möchte, eigentlich hinaus will: Da geht's um Cyberspace und Zen-Buddhismus, um Julian Assange, die NSA und die Traumata der koreanischen Zeitgeschichte – und irgendwie auch um die Wirtschaftskrise, die halb Europa seit sechs, sieben Jahren fest im Griff hat.
Žižek macht kein Hehl daraus, dass er den Crash und das, was darauf folgte, keineswegs für einen bedauerlichen Betriebsunfall hält, sondern für eine unausweichliche Konsequenz kapitalistischen Wirtschaftens. Die Austeritätspolitik, die IWF und Europäische Union den Krisenländern des europäischen Südens verordnen, diese Austeritätspolitik findet in ihm einen leidenschaftlichen Kritiker. Žižek greift – beispielsweise wenn es um Griechenland geht – zu einem polemischen Vergleich:
"Als der rumänische Kommunist Panait Istrati in den späten 1920er-Jahren zur Zeit der ersten Säuberungen und Schauprozesse die Sowjetunion besuchte, versuchte ihn ein Sowjetapologet von der Notwendigkeit der Gewalt gegen die Feinde der Sowjetunion zu überzeugen, indem er sagte: 'Man kann kein Omelette machen, ohne Eier zu zerbrechen.' Worauf Istrati antwortete: 'Ich sehe die zerbrochenen Eier, aber wo ist Euer Omelette?'
Der Kommunismus als einziger Horizont
Wir sollten dasselbe in Bezug auf die vom Internationalen Währungsfonds durchgesetzten Sparmaßnahmen sagen, über die die Griechen mit vollem Recht sagen könnten: 'Wir zerbrechen unsere Eier für ganz Europa, aber wo ist das Omelette, das ihr uns versprecht?'"
Ja, wo ist es? Žižek hat eine klare Antwort: Der "liberaldemokratische Kapitalismus" wird es den Griechen nicht brutzeln, dieses Omelette, klare Systemalternativen seien angesagt, fordert der Slowene, auch auf dem Gebiet der politischen Theorie. Welche Alternativen das sein könnten? Žižek hat da präzise Vorstellungen:
"Der Kommunismus bleibt der Horizont, der EINZIGE Horizont, von dem aus man das, was heute vor sich geht, nicht nur beurteilen, sondern auch angemessen analysieren kann – eine Art immanentes Maß dessen, was schiefgelaufen ist."
"Eine neue Herrenfigur ist nötig"
Der Kommunismus also. Anderen linken Ansätzen erteilt Žižek eine doch eher schroffe Absage. Die Trennung in "böses" Finanzkapital, das zum Zocken ermutigt, und "gutes" Realkapital, das Arbeitsplätze schafft und den gesellschaftlichen Reichtum mehrt, diese Trennung hält Žižek für eine sozialdemokratische Illusion, ebenso die Vorstellung, dass man die Auswüchse des globalisierten Kapitalismus wohlfahrtsstaatlich abfedern könnte. Für Žižek sind solche Annahmen naiv.
Der neokommunistische Theoretiker hält aber auch nichts von spontaneistischen und anarchistischen Ansätzen, die Hierarchien grundsätzlich ablehnen und auf die sogenannte Selbstorganisation der Massen setzen. Der Idee von "pluralisierenden, rhizomatischen Netzwerken" setzt Žižek die alte, leninistische Idee der Avantgarde entgegen, die die Massen im revolutionären Kampf zu führen habe. Das alles ist natürlich hochgradig retro. Manchmal wird's sogar richtig spooky, wenn man liest, was Žižek zu sagen hat:
"Um die Individuen wirklich aus ihrem dogmatischen, demokratischen Schlummer zu wecken, aus ihrem blinden Vertrauen auf institutionalisierte Formen repräsentativer Demokratie, sind Appelle an direkte Selbstorganisation nicht ausreichend: Eine neue Herrenfigur ist nötig."
Eine neue Herrenfigur? Žižek bezieht sich dabei auf eine These des französischen Philosophen Alain Badiou, der einmal gemeint hat, Herr sei derjenige, der dem Individuum dabei helfe, "Subjekt zu werden". Das mag auf verquer-dialektische Weise emanzipatorisch gemeint sein, klingt aber doch einigermaßen gespenstisch. Žižek jedenfalls hofft in der europäischen Wirtschaftskrise auf das Auftreten eines "neuen Herrn":
"Was wir heute, in dieser Situation brauchen, ist eine linke Thatcher: Ein Führer, der Thatchers Geste in entgegengesetzter Richtung wiederholt und das gesamte Feld der Annahmen verändert, die von der gegenwärtigen politischen Elite der großen politischen Parteien geteilt werden."
Sprunghaftigkeit als Prinzip
Der "liberaldemokratische Kapitalismus" müsse gestürzt werden, da ist Žižek sich sicher. Ein solcher Umsturz kann in seiner Sicht der Dinge nicht ohne Gewalt abgehen.
"Durch die stalinistische Erfahrung traumatisiert, neigt ein Großteil der heutigen Linken dazu, das heikle Thema der Gewalt zu vernebeln..."
Žižek selbst scheint mit der Anwendung gewalttätiger Methoden keine Probleme zu haben.
Das Strukturprinzip von Slavoj Žižeks Texten ist die Sprunghaftigkeit, das ist in diesem Buch nicht anders als in früheren. Immer wieder kommt der Philosoph vom Hundertsten ins Tausendste, er greift einen Gedankenfaden auf, lässt ihn fallen, kommt auf etwas anderes zu sprechen, greift den früheren Gedankenfaden wieder auf, um dann doch bei einem ganz, ganz anderen Thema zu landen. Immer wieder baut Žižek amüsante Apercus und süffige Anekdoten ein in seinen Text, was die Lektüre zu einer streckenweise vergnüglichen macht. Inhaltlich freilich werden nicht allzu viele mitziehen wollen bei Žižeks Forderung nach einem kommunistischen Umsturz – aber wer weiß, was die Zukunft diesbezüglich noch bringen wird.
Man schwankt, wie man Žižeks neues Werk einordnen soll: Hat man es hier mit einem anregenden Text zu tun, mit einer pointierten Reflexion über die Widersprüche des modernen Kapitalismus, oder mit den Fantasien eines sozialrevolutionären Wirrkopfs, der sich immer wieder im Gestrüpp seiner gedanklichen Hervorbringungen verheddert.
Die Wahrheit wird wohl irgendwo in der Mitte liegen: an dem Ort, der Žižek ein Gräuel ist.
Slavoj Žižek: "Ärger im Paradies – Vom Ende der Geschichte zum Ende des Kapitalismus", aus dem Englischen von Karen Genschow, S. Fischer Wissenschaft, 368 Seiten, 24,99 Euro.