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„Kapp-Putsch“ vor 100 Jahren
Der erste Angriff auf die Weimarer Republik

Heute vor 100 Jahren begann in Berlin ein rechtsnationaler Militärputsch, der den hohen Verwaltungsbeamten Wolfgang Kapp für wenige Tage zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten machte. Der Staatsstreich offenbarte die tiefe Zerrissenheit in der Weimarer Republik.

Von Bernd Ulrich |
    Foto der Schießerei am Pariser Platz beim Abzug der Baltikumtruppen im März 1920, der etwa zwölf Menschleben zum Opfer fielen.
    Beim Abzug der Putschisten kam es zu einer Schießerei am Pariser Platz, zwölf Menschen starben. (picture-alliance / dpa)
    Harry Graf Kessler, eifriger Tagebuchschreiber und Republikanhänger, weilte in Montreux am Genfer See. Am Nachmittag des 13. März 1920, einem Samstag, besuchte er einen Buchladen an der Uferpromenade:
    "Plötzlich kam eine alte deutsche Dame herein und erzählte aufgeregt, dass in Berlin die Gegenrevolution ausgebrochen sei. In der Tat lag im Aushang einer örtlichen Zeitung eine getippte Depesche, die den Staatsstreich meldete. An die Spitze hat sich als ‚Kanzler‘ Wolfgang Kapp gestellt, der Begründer der ‚Vaterlandspartei‘ während des Krieges. Das alles klingt mehr nach einer Posse als nach ernsthafter Geschichte."
    Doch der Putsch zeugte vor allem von der tiefen Zerrissenheit Deutschlands nach Niederlage und Revolution. Und er dokumentierte die weitreichende Demokratieverachtung im Land. Der amerikanische Historiker Dietrich Orlow in einem stilbildenden Aufsatz von 1978:
    "Die kurze und in manchen Aspekten fast lächerlich wirkende ‚Kapp-Hanswurstiade‘ bildete eine der folgenschwersten Zäsuren in der Geschichte der Republik."
    Es begann mit Befehlsmissachtung
    Den äußeren Anlass dafür bot der Versailler Friedensvertrag. Am 10. Januar 1920 war er in Paris ratifiziert worden. Nun musste die Reichswehr drastisch reduziert werden, die Freikorps sollten gar ganz verschwinden. Als die Marinebrigade II im nahen Döberitz aufgelöst werden sollte, kam es zum Eklat.
    Die 6.000 Mann starke Truppe wurde von dem Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt geführt und hatte bis Anfang 1920 im Baltikum gekämpft. Erhardt konnte bei der Missachtung des Auflösungsbefehls auf seinen Vorgesetzten zählen, den Kommandierenden General in Berlin, Walther Freiherr von Lüttwitz. Der wiederum hatte sich mittlerweile einem Kreis von Verschwörern angeschlossen, die unter der Führung des hohen Verwaltungsbeamten Wolfgang Kapp standen. Er hatte aus den Überresten der "Deutschen Vaterlandspartei" im Oktober 1919 die "Nationale Vereinigung" gegründet:
    "Die darin versammelten rechten Politiker und Verbandsführer, politisierenden Offiziere und Rechtspublizisten verstanden sich als Koordinationszentrale über den Parteien. Ihr Ziel war es, eine ‚Einheitsfront aller Nationalgesinnten‘ von den Deutschnationalen bis zu den Freikorps zu schaffen."
    So der Historiker Bruno Thoß. Die Stunde der "Vereinigung" schien gekommen, als von Lüttwitz gegenüber der Reichsregierung den Befehl und die Auflösung der Marinebrigade verweigerte. Statt den Offizier sofort verhaften zu lassen, legten ihm Reichspräsident Friedrich Ebert und der Chef des Reichswehrministeriums Gustav Noske den Rücktritt nahe. Der General eilte jedoch nach Döberitz und setzte im Einvernehmen mit Kapp, der seine Stunde als Reichskanzler gekommen sah, in der Nacht zum 13. März die Brigade Erhardt in Marsch. Kurz darauf besetzte sie das Regierungsviertel. Der Schriftführer des Kabinetts und Geheime Regierungsrat Arnold Brecht – einer der wenigen demokratisch gesinnten Regierungsbeamten der Zeit – schilderte 1975 in einem Interview, wie er die Besetzung der Reichskanzlei erlebte:
    "Dann trat ein Mann mit zwei Soldaten, die ihre Handgranaten in der Hand trugen in mein Zimmer und sagte: Sind Sie bereit, für den Reichskanzler zu arbeiten? Ich sagte, das tu ich ja gerade. Da sagte er mit Stirnrunzeln: Ich meine nicht den früheren Reichskanzler Bauer, sondern den jetzigen Reichskanzler Kapp! Da sagte ich: Der ist nicht Reichskanzler. Reichskanzler ist der Reichskanzler Bauer nach der Verfassung. Ich trage meinen Eid nicht so in den Händen wie ihre Leute die Handgranaten, ich habe einen Eid auf die Verfassung geschworen."
    Friedlicher Widerstand zerschlug den Putsch
    Um ihrer Verhaftung zu entgehen, reisten die meisten Mitglieder der Reichsregierung noch in der Nacht ab und schlugen ihre Zelte schließlich in Stuttgart auf, dort beschützt von loyalen Reichswehreinheiten. Ihr Aufruf zum Generalstreik wurde ebenso befolgt wie jener der Gewerkschaften:
    "Arbeiter! Genossen! Der Militärputsch ist da. Wendet jedes Mittel an, um diese blutige Wiederkehr der Reaktion zu vernichten! Streikt! Legt die Arbeit nieder! Schneidet dieser Militärdiktatur die Luft ab!"
    Tatsächlich ging den Putschisten bald die Luft aus. Nicht zuletzt auch deshalb, weil sich ihnen in Berlin viele politische Beamte und Teile der Verwaltung sehr effizient widersetzten. Im fernen Montreux konnte Harry Graf Kessler vermerken:
    "Die Kapp-Groteske ist vorbei. Kapp und Konsorten sind aus Berlin geflohen. Die Ebert-Regierung hat Haftbefehle erlassen."
    Der Putsch war gescheitert. Eine Anfang August verkündete Amnestie verhieß allen Putschisten Straffreiheit – mit Ausnahme der Anführer.