Archiv

Kardinal Reinhard Marx
Ein ausgebremster Reformer

Nach sechs Jahren verabschiedet sich Kardinal Reinhard Marx als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz. Er präsentierte sich als Reformer, der von Amtsbrüdern ausgebremst wird. Eine Bilanz.

Von Tilmann Kleinjung |
Porträt von Erzbischof Reinhard Kardinal Marx
Erzbischof Reinhard Kardinal Marx wird nicht erneut kandidieren (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
Zum Schluss gab es einen Paukenschlag. Ein Rückzug, mit dem niemand gerechnet hat. Und der Fragen aufwirft: Warum tritt Kardinal Reinhard Marx nicht mehr als Vorsitzender an? War es die Dreifachbelastung: Vorsitzender, Bischof in einem großen Bistum und Berater des Papstes? Das Alter? Marx ist mit 66 Jahren für kirchliche Würdenträger eigentlich im besten Alter. Oder Kritik in der Bischofskonferenz an seinem Führungsstil?
"Das ist doch normal!"
Marx selbst sagt: "Es gab Diskussionen über die Arbeitsweise im letzten halben Jahr. Das war im ganz normalen Feld. Das ist doch normal!"
So überraschend sein Rückzug ist, so wenig überraschend war seine Wahl vor sechs Jahren. Schon 2008 wurde Marx als Favorit gehandelt. Da schickten ihn seine Mitbrüder aber noch einmal in die Warteschleife. Eine Demutsübung. 2014 dann wollte eine Mehrheit der Bischofskonferenz den selbstbewussten Kardinal aus München als Vorsitzenden. Ein Mann, der es wie kein zweiter Bischof in Deutschland versteht, zwei Dinge zusammenzubringen: Talkshow und Theologie.
Marx antwortete in den "Tagesthemen" auf die Frage: "Missbrauchsskandal, Tebartz-van Elst, so einige Katholiken sind aus der Kirche ausgetreten. Wie wollen sie ihre Schäfchen wiedergewinnen?" "Das liegt nicht nur am Vorsitzenden einer Konferenz. Wenn ich auch als Vorsitzender auch eine Stimme bin für die katholische Kirche in Deutschland. Es ist eine gemeinsame Aufgabe, Vertrauen wieder zu gewinnen. Wir tun das seit dem Jahr 2010 in sehr intensiver Weise."
Mammutaufgabe Missbrauch
Die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals wird zur Mammutaufgabe, der sich Marx als Vorsitzender stellt. Wissenschaftler werden damit beauftragt, die Missbrauchsgeschichte der katholischen Kirche zu erforschen. Das 2018 vorgestellte Ergebnis sei nur die Spitze eines Eisbergs, sagen sie: In mindestens 3677 Fällen finden sie Hinweise auf sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen in den Akten der deutschen Bistümer.
"Ganz klar muss gesagt werden: Sexueller Missbrauch ist ein Verbrechen. Wer schuldig ist, muss bestraft werden. Allzu lange haben wir in der Kirche weggeschaut, vertuscht, geleugnet. Wollten es nicht wahrhaben. Für alles Versagen und allen Schmerz muss ich als Vorsitzender der Bischofskonferenz um Verzeihung bitten und tue es auch ganz persönlich."
Ein Schuldeingeständnis ohne sichtbare Konsequenzen. Die Entschädigungsfrage ist noch nicht geklärt. Eine unabhängige Aufarbeitung der Fälle in den einzelnen Bistümern steht noch aus. Da ist es Marx nicht gelungen, alle Mitbrüder auf seine Zielvorgaben zu verpflichten. Und auch bei anderen Themen entsteht der Eindruck: Es gibt ihn, der vorwärtsdrängt und ein paar Bremser. Zum Beispiel beim gemeinsamen Reformprozess, der vor wenigen Wochen in Frankfurt startete.
Dazu sagte er: "Dass also hier auch nur die Idee aufkommen konnte, von wem auch immer, die Kirche in Deutschland wolle einen Sonderweg gehen, wolle sich von der Weltkirche lösen und Entscheidungen fällen, die ihr nicht zustehen. Ich finde solche Unterstellungen abenteuerlich, die kein deutscher Bischof irgendwo geäußert haben könnte. Ich kann mich nicht erinnern."
Ökumenische Freundschaft
Beispiel Ökumene: Die Bischofskonferenz veröffentlicht eine Handreichung, die es evangelisch-katholischen Paaren ermöglichen soll, gemeinsam zur Kommunion zu gehen. Wenig später schicken ein paar Bischöfe einen Brief nach Rom, in dem sie das gemeinsam verabschiedete Papier in Frage stellen. Dabei war die Handreichung das Ergebnis eines Reformationsjubiläumsjahres 2017, das auch dank Marx einen ökumenischen Akzent bekam. Das offensichtlich gute Miteinander von Marx und seinem Münchner Amtskollegen, dem EKD Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm, inspirierte die "Zeit" zu dem Titel: Gibt’s die auch einzeln?
"Es gab eine Verketzerung, die über alles Maß hinausging, bis hin zu der Tatsache, dass Hochzeiten eine Katastrophe waren. Habe ich alles als Seelsorger noch erlebt. Ohne einen ehrlichen Blick auf das, was wir erlebt haben kann es nicht vorangehen."
Ob bei der Aufnahme von Flüchtlingen im Herbst 2015 oder bei der Unterstützung der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer. Zwischen Marx und Bedford-Strohm passt selten ein Blatt. Eine ökumenische Harmonie, die Marx im Kreise seiner katholischen Bischofskollegen, nur selten genießen durfte.