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Kardinal: Über Art der Mitbestimmung entscheidet der neue Papst

Kardinal und Kirchenhistoriker Walter Brandmüllersein sieht die Verdienste Benedikts im intellektuellen Diskurs: "Es geht ihm um die Vernünftigkeit des Glaubens", sagt er. Ob zukünftig der Kardinalsenat mehr an Entscheidungen mitwirke, müsse der neue Papst selbst bestimmen.

Walter Brandmüller im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Christiane Kaess: Und mein Kollege Jürgen Liminski hat gestern Abend mit dem Kardinal und Kirchenhistoriker Walter Brandmüller gesprochen. Er hat ihn zuerst gefragt, was er als das bleibende Verdienst des Pontifikats von Benedikt XVI. bezeichnen würde und was die Leitlinien waren.

    Walter Brandmüller: Das ist jetzt natürlich auf die Schnelle nicht so einfach zu formulieren, aber ich glaube doch, dass Benedikt den intellektuellen Diskurs nicht nur in Europa, sondern auch in der Welt, ganz mächtig angestoßen hat. Es geht ihm um die Vernünftigkeit des Glaubens. Und es geht ihm um die Entweltlichung der Kirche. Und es geht ihm um die Anbetung des dreieinigen Gottes. Das hat er durch seine verschiedenen Schriften ebenso gezeigt wie durch verschiedene Maßnahmen in seinem Pontifikat.

    Jürgen Liminski: Was versteht man unter Entweltlichung?

    Brandmüller: Unter Entweltlichung versteht man wohl das Bewusstsein der Christen, Bürger nicht nur dieser Welt, sondern einer anderen zu sein. Und daraus die Maxime abzuleiten, dass die geistlichen Dinge, die übernatürlichen Realitäten Vorrang vor irdischen, wirtschaftlichen oder anderen weltlichen Überlegungen haben müssen.

    Liminski: Der Papst ist erschöpft. Welche Probleme konnte er nicht mehr anpacken?

    Brandmüller: Das weiß ich nicht. Erschöpft mag er sich fühlen, ja. Es ist ja auch im vergangenen Jahr ganz besonders ein Problem nach dem anderen auf ihn niedergebrochen. Und es ist erstaunlich, dass er bisher mit dieser Ruhe und Gelassenheit all diesen Problemen standgehalten hat. Nicht zuletzt war es dieser Vatileaks-Skandal, der auch ihn menschlich sehr tief getroffen haben muss.

    Liminski: Im Pontifikat Ratzinger ist das Thema Christenverfolgung aktueller und vielen Menschen bewusster geworden. Die Reise in den Libanon war eine Art Befreiungsschlag für die Christen in Nahost. Aber auch im alten Europa und in Amerika wird die Kirche vor allem in den Medien angegriffen. Werden die Zeiten für die Christen rauer? Braucht es einen dynamischen, führungsstarken Papst?

    Brandmüller: Ja, natürlich, den braucht es zu aller Zeit, ob jetzt die Zeiten rauer oder friedlicher sind. Aber das ist klar, dass die Ablehnung des Christentums weite Kreise der modernen Gesellschaft erfasst hat. Und dass wir gerade mit der zunehmenden Intoleranz der Liberalen rechnen müssen, das ist auch außer Zweifel.

    Liminski: Man könnte, Herr Kardinal, die seelische und psychische Erschöpfung von Benedikt XVI. auch als Zeichen begreifen, dass das Amt über die Kräfte eines einzelnen Menschen geht. Ist der monarchische Charakter des Papsttums durch diesen Rücktritt erschüttert? Wird jetzt der Senat der Kardinäle wichtiger?

    Brandmüller: Das liegt am Führungsstil des einzelnen Papstes, in welchem Umfang er die Kardinäle einbeziehen will, aber dass der Nachfolger Petri einer sein muss, das ist vollkommen klar.

    Liminski: Und Sie glauben nicht, dass durch diesen Rücktritt dieses Ein-Prinzip erschüttert ist?

    Brandmüller: Nein, das kann es aus theologischen Gründen nicht sein.

    Liminski: In Deutschland verbindet man mit Benedikt XVI. das Wort "Wir sind Papst". Spielt die Nationalität in der universalen Kirche eine Rolle?

    Brandmüller: Grundsätzlich nicht. Es kann sein, dass in einzelnen Fällen die Nationalität wirklich wichtig ist, zum Beispiel war die Verbundenheit Johannes Pauls II. mit seiner polnischen Heimat unübersehbar stark. Bei anderen Päpsten trat das weniger in Erscheinung. Es war ja eigentlich auch nur Benedikt seit Längerem der einzige nicht italienische Papst neben Wojtyla.

    Liminski: Ist jetzt die Zeit für einen außereuropäischen Papst gekommen? Immerhin leben rund zwei Drittel der Katholiken außerhalb Europas.

    Brandmüller: Das weiß ich nicht. Welche Anzeigen kennen Sie dafür, dass es notwendig wäre, einen außereuropäischen Papst zu wählen? Wenn die Kardinäle unter den außereuropäischen Mitbrüdern einen erblicken sollten, dem sie das oberste Hirtenamt übertragen wollen, beziehungsweise den sie für das oberste Hirtenamt wählen wollten, dann ist das durchaus möglich und würde keinerlei Erstaunen erregen.

    Liminski: Für die Deutschen, auch für Benedikt XVI. wichtig ist das Thema Ökumene. Hat es auch in Rom Priorität über das Pontifikat hinaus?

    Brandmüller: Aber natürlich. Man darf natürlich auch nicht vergessen, dass die Ökumene, Wiedervereinigungsbestrebungen, nicht nur ein deutsches Problem sind. Die Ökumene mit den Gemeinschaften der Reformation ist natürlich bei uns in Deutschland besonders präsent und aktuell, aber die Bemühungen um die Einheit mit den Kirchen des Ostens, die ist ja theologisch auch viel leichter zu erreichen.

    Christiane Kaess: Der Kardinal und Kirchenhistoriker Walter Brandmüller im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Liminski.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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