Trainingssteuerung für Frauen
Trainingswissenschaftlerin: "Wahnsinnige Wissenslücken"

Trainingssteuerung ist wichtig für den sportlichen Erfolg. In der Forschung würden die unterschiedlichen Bedürfnisse von Männern und Frauen aber zu wenig beachtet, sagt Trainingswissenschaftlerin Karen Zentgraf im Dlf-Sportgespräch.

Karen Zentgraf im Gespräch mit Jessica Sturmberg |
Eine Frau läuft auf einer Tartan-Laufbahn.
Die üblichen vierwöchigen Trainingszyklen seien für Frauen ungünstig, sagt Trainingswissenschaftlerin Karen Zentgraf im Dlf. (imago images / Westend61 / Jose Carlos Ichiro via www.imago-images.de)
Wer maximalen Erfolg will, muss richtig trainieren. Das ist im Leistungssport längst kein Geheimnis mehr. Aber für wen ist welches Training genau das richtige? Das versuchen unter anderem Trainingswissenschaftler herauszufinden. Eines wird dabei jedoch noch vernachlässigt: Unterschiede zwischen Mann und Frau.
"In der modernen Forschung kann man das eigentlich gar nicht mehr einfach weglassen und so tun, als wären wir alle gleich", sagte die Trainings- und Bewegungswissenschaftlerin Karen Zentgraf im Deutschlandfunk-Sportgespräch. "Wir haben wahnsinnige Wissenslücken. Wir finden zum Beispiel in der sportwissenschaftlichen Forschung, dass in den letzten zehn Jahren nur ungefähr zehn Prozent aller Probanden weiblich sind. Was natürlich heißt, dass wir implizit alle Ergebnisse, die wir mit männlichen Teilnehmern finden, dass die unschwer übertragbar sind auf die andere wichtige Geschlechter-Kohorte. Und zehn Prozent ist natürlich eine Ansage."

Trainingszyklen für Frauen ungünstig

Die Ergebnisse der Forschung, die dann auch in die Trainingsentwicklung eingeflossen sind, basierten also vor allem auf männlichen Probanden. Das Training wird dann häufig in vierwöchige Intervalle eingeteilt. "Viele Athletinnen berichten, dass für sie diese Vier-Wochen-Zyklisierung ungünstig ist. Wir Frauen wissen natürlich warum. Im Mittel haben wir 28-Tage-Zyklen. Und in der zweiten Zyklushälfte ist zum Beispiel die Temperatur ein bisschen höher. Da ist unser Belastungsempfinden ein bisschen erhöht. Viele Athletinnen haben auch prämenstruelle Symptome, auch während der Menstruation, wie Unterleibsschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen. Und die werden dann natürlich nicht beachtet in der Trainingsgestaltung und der Leistungssteuerung."
Porträt von Karen Zentgraf
Karen Zentgraf (Jessica Sturmberg)
Wie man zyklusbasiert trainiert, sei aufgrund der fehlenden Forschungsergebnisse jedoch auch noch unklar, sagte Zentgraf.

"Inprove" betrachtet Leistungsfähigkeit multifaktoriell

Um unter anderem auch das zu ändern, hat Zentgraf vor drei Jahren die Forschungsinitiative "Inprove" mitgegründet. Das Projekt, das Zentgraf mit drei Universitäten durchführt, hat eine Ausschreibung des deutschen Leistungssports gewonnen, bei der Forschungsprojekte zum Thema Individualisierung gesucht wurden.
"Das Konzept sieht so aus, dass wir sportliche Leistungsfähigkeit multifaktoriell betrachten wollen. Sprich, wir schauen uns kognitive Leistungen an, wir schauen uns die weibliche Physiologie an, wir gucken uns sozialwissenschaftliche Aspekte an der Athletinnen und Athleten an und so weiter. Wir wollen diese einzelnen Aspekte aber nicht getrennt voneinander beleuchten, sondern systemisch. Also wir wollen die miteinander verbinden. Zum Beispiel: Wie hängen Kraftleistungen mit der Genetik und dem Vitamin-D-Spiegel zusammen?"
Um Geschlechterforschung solle es dabei aber nicht gehen. "Sondern wir wollen das Geschlecht als ein Individualisierungsmerkmal verstanden wissen, und zwar eines, das immer dazugehört. Das wäre schon einmal ein Fortschritt, weil wir in den Faktoren, die die sportliche Leistung und Expertise erklären, diesen Parameter bisher noch nicht gut mitgedacht haben."

Risiko von Eisenmangel bei Frauen höher

Aber wo ist der geschlechtsspezifische Blick überhaupt sinnvoll? "In der Physiologie sehen wir Unterschiede", sagte Zentgraf. "Beispielsweise sehen wir, dass im Bereich Eisen-Metabolismus nicht ganz unerwartet doch Unterschiede bestehen. Wir wissen, dass Athletinnen ein höheres Risiko eines Eisenmangels haben. Sprich, wir müssen bei den Athletinnen ganz besonders darauf gucken, dass die genügend Eisen zuführen." Das sollte vorrangig über die Ernährung passieren. "Da sehen wir großen Handlungsbedarf", sagte Zentgraf.
Überhaupt sei Zentgraf "überrascht, wie ungünstig das Ernährungsverhalten ist. Es ist oft nicht nur zu wenig, es ist auch das falsche, es ist zu wenig frisch, zu wenig nahrhaft. Und wir sehen unsere Aufgabe auch darin, das nicht nur zu diagnostizieren, sondern auch umzusetzen."

Athletinnen erleben häufiger Gratifikationskrisen

Was Zentgraf in ihrer Forschung auch herausgefunden hat, ist, dass Athletinnen soziale Unterstützung in ihrer leistungssportlichen Karriere sehr wichtig ist, sie sich häufiger Sorgen um ihre finanzielle Zukunft machen oder Gratifikationskrisen erleben. "Die zeichnen sich dadurch aus, dass Athletinnen und Athleten das Gefühl haben, dass sie wahnsinnig viel in ihren Sport investieren, aber zu wenig Belohnung daraus extrahieren können. Belohnungen im Leistungssport sind oft Teilnahmen an internationalen Wettkämpfen, Medaillen, große Erfolge und so weiter."
Bleibt diese Gratifikation, diese Belohnung, weg, würden viele Athletinnen und Athleten aus dem Leistungssport aussteigen, so Zentgraf. "Und wenn wir uns den Effekt genau anschauen, dann sehen wir, dass der maßgeblich von Athletinnen getrieben wird. Das heißt Athletinnen haben oft das Gefühl, sie investieren wahnsinnig viel. Und zwar nicht monetär, sondern auch emotional, zeitlich und so weiter. Und da kommt aber häufig nicht das bei rum, was sie sich erhoffen. Und das ist etwas, was wir betrachten müssen. Dass das ein Effekt ist, der maßgeblich durch Athletinnen zustande kommt, nicht so sehr bei Athleten."