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Karenzzeit
"Mit der Union war nicht mehr drin"

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner hat ein deutlich schärferes Gesetz zur Karenzzeit für Regierungsmitglieder gefordert als von der Bundesregierung geplant. "Man hätte das durchaus strenger machen können", sagte Stegner im Deutschlandfunk. Politiker würden nicht am Hungertuch nagen, wenn sie zwischen den Ämtern eine längere Pause einlegen müssten.

Ralf Stegner im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Der SPD-Politiker Ralf Stegner
    Der SPD-Politiker Ralf Stegner (dpa / picture-alliance / Markus Scholz)
    Der SPD-Vizevorsitzende Stegner hält die von der schwarz-roten Regierung geplanten Übergangszeiten bei einem Wechsel von der Politik in die Wirtschaft für zu kurz. Das Kabinett will heute einen Gesetzentwurf verabschieden, der für Regierungsmitglieder eine Frist von zwölf Monaten vorsieht - in Sonderfällen auch 18 Monate. Stegner sprach sich dagegen für eine Übergangszeit von zwei oder drei Jahren aus.
    Außerdem kritisierte Stegner, dass eine Komission nur Empfehlungen vorlegen solle, die Bundesregierung dann aber selbst über die Genehmigung eines Wechsels befinden könne. Zudem forderte der SPD-Politiker, dass die Regelungen nicht nur für Politiker, sondern auch für verbeamtete Staatssekretäre gelten sollten.
    Stegner betonte, die SPD sei zu schärferen Regelungen bereit gewesen. "Aber mit der Union war nicht mehr drin", sagte er. Darüber hinaus kritisierte er, dass die CDU-Abgeordnete Katherina Reiche sich heute als Hauptgeschäftsführerin des Verbandes Kommunaler Unternehmen zur Wahl stellen will. Es mache einen schlechten Eindruck, das genau an dem Tag zu tun, an dem das Kabinett berate - und die geplante Karenzzeit auch noch zu unterbieten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Daniel Bahr hat es getan, der frühere Gesundheitsminister wechselte nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ins Management der Allianz Private Krankenversicherung. Eckart von Klaeden ebenfalls, früher Staatsminister im Kanzleramt. Mit besten Kontakten heuerte er im November 2013 als Lobbyist beim Autokonzern Daimler an. Ronald Pofalla, erst Chef des Bundeskanzleramts, jetzt Chef-Lobbyist beim Staatskonzern Deutsche Bahn. Die Reihe ließe sich beliebig fortführen. Nicht selten entsteht dabei ein schaler Beigeschmack, liegt der Verdacht doch nahe, dass sich Unternehmen nicht nur die Kontakte, sondern auch das Insider-Wissen der Ex-Politiker an Bord holen. Das Bundeskabinett bringt deshalb heute ein Gesetz auf den Weg, das dafür sorgen soll, dass eine Karenzzeit von einem Jahr, von mindestens einem Jahr eingehalten wird.
    Das Bundeskabinett befasst sich heute also mit dem Gesetz für Karenzzeiten für Spitzenpolitiker. Darüber spreche ich jetzt mit Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Chef. Guten Morgen, Herr Stegner!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    "Es muss Wechselmöglichkeiten geben"
    Heckmann: Weshalb ist ein solches Gesetz eigentlich nötig? Sollte es nicht möglich sein, dass sich Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker von sich aus ethisch verhalten?
    Stegner: Das sollte so sein und der Wechsel aus der Politik in die Wirtschaft ist ja vom Prinzip her was Gutes. Es muss Wechselmöglichkeiten geben, es darf auch keine Berufsverbote geben, denn Politiker sind ja immer nur auf Zeit gewählt. Aber man darf natürlich auch nicht öffentlich den Eindruck erwecken, dass man aus der Politik, die zwar ordentlich bezahlt wird, aber Weitem nicht so wie die Jobs, über die wir hier reden in der Wirtschaft, dass man sozusagen herüberwechseln will und damit seine Dinge sich zu Nutzen machen möchte, die man vorher an Verantwortungsbereichen selber hatte. Deswegen glaube ich ist Transparenz und eine solche Regelung dringend notwendig und die hätte früher kommen können und die hätte, wenn es nach der SPD gegangen wäre, auch noch weitergehender sein können als das, was mit der Union dann möglich war.
    Heckmann: Die SPD hat auf ein Gesetz gedrungen. Dieses geht Ihnen aber jetzt nicht weit genug. Weshalb?
    Stegner: Na ja, wir reden über zwölf Monate, maximal 18, und wir reden darüber, dass das eine Kommission ist, die der Regierung Empfehlungen gibt, und die Regierung entscheidet dann selbst. Das heißt, man hätte das durchaus strenger machen können. Man hätte die Zeiten länger machen können, denn es geht ja darum, nicht, dass man nicht in die Wirtschaft wechseln darf, aber dass man nicht unmittelbar in einen Bereich hineinwechselt, für den man vorher politisch zuständig war. Bei dem Herrn Bahr, den Sie vorhin zitiert haben, ist das als Beispiel so. Da wechselt man sofort in ein Feld, das man früher selbst als Gesundheitsminister mit reguliert hat. Und auch der Wechsel von Herrn Niebel, vorher Entwicklungshilfeminister und dann zu einem Rüstungskonzern zu gehen, das ist schon etwas, was, glaube ich, das Ansehen der Politik nicht mehrt und da muss man schon ein bisschen drauf achten, denn ich glaube, gerade in heutigen Zeiten, wo die Menschen sagen, „die Politik", „die da oben", ist es immer besonders schlecht, wenn da der falsche Anschein erweckt wird. Das kann sich Politik eigentlich nicht leisten.
    "Die generelle Kritik an Politik ist unberechtigt"
    Heckmann: Ein anderer Wechsel, Herr Stegner, hat ebenfalls das Ansehen der Politik nicht unbedingt gemehrt, nämlich der Wechsel von Gerhard Schröder in den Aufsichtsrat von Northstream - dieses Unternehmen, das ja von Gazprom dominiert wird.
    Stegner: Ich finde, zur Glaubwürdigkeit in der Politik gehört durchaus dazu, Dinge nicht nur dann zu kritisieren, wenn sie andere Parteien betreffen, sondern auch die eigene Partei. Das ist ein Teil der Glaubwürdigkeit. Wer hier für Transparenzregeln eintritt – und ich tue das -, der muss auch sagen, das muss dann für alle Parteien bitte gelten. Noch mal: Die meisten Menschen gehen in die Politik aus idealistischen Gründen. Sie machen da ihren Job. Ich finde, die generelle Kritik an Politik ist unberechtigt. Aber umso mehr schadet der Eindruck, dass es solche Wechsel gibt, wo Lobbygruppen Einfluss auf die Politik nehmen, und natürlich insbesondere finanzstarke Lobbygruppen sind das ja. Das sind ja nicht Arbeitslosen-Initiativen oder ähnliche, weniger finanzstarke Gruppierungen. Ich glaube, der falsche Eindruck schadet, und deswegen klare Transparenzregeln für alle, und jedes schlechte Beispiel schadet immer auch allen Parteien.
    Heckmann: Dann dürfen wir festhalten, Herr Stegner: Der schnelle Wechsel von Gerhard Schröder zu Northstream war aus Ihrer Sicht ein Fehler und schadet dem Ansehen der Politik?
    Stegner: Ich sage noch mal: Wenn das jemand macht, dann darf man das nicht danach beurteilen, welcher Partei er angehört, und man ist als Sozialdemokrat unglaubwürdig, wenn man das nur Christdemokraten vorhält. Ich bin für Transparenzregeln und für Karenzzeiten für alle aus allen Parteien. Das ist ein Teil von eigener Glaubwürdigkeit. Ich finde, das kann man nicht durch die parteipolitische Brille betrachten. Trotzdem gibt es zu viele Beispiele in der letzten Zeit, und dass Frau Reiche nun just wenige Stunden davor oder danach, nachdem das Kabinett so eine Entscheidung trifft, wechselt, das hat schon nicht nur ein bisschen Geschmäckle, sondern da hat man durchaus den Eindruck, dass das der Glaubwürdigkeit auch der Politik der Bundesregierung außerordentlich schadet.
    "Das macht einfach einen schlechten Eindruck"
    Heckmann: Was vermuten Sie denn hinter dieser Entscheidung, jetzt noch schnell diesen Wechsel zu vollziehen? Katherina Reiche lässt ja durchblicken, sie äußert sich ja selber nicht, dass es halt Zufall ist, dass jetzt gerade zu diesem Zeitpunkt dieser Verband eine Spitzenmanagerin gesucht hat.
    Stegner: Na ja, zum Zufall gehört trotzdem eine Entscheidung, dass das ja beide Seiten wollen. Und ich glaube, der normale Bürger, der jetzt Ihr Programm hört, der wird das, glaube ich, weniger für zufällig halten, sondern es ist nicht gut, wenn man just am Tag, an dem das Kabinett strengere Regelungen beschließt – der Gesetzentwurf soll ja im Februar noch in den Bundestag kommen -, man dann eben noch mal schnell wechselt zum 1. September und diese Karenzzeiten unterbietet. Das macht einfach einen schlechten Eindruck. Noch mal: Schlechter Eindruck schadet insgesamt, und Politik kann sich das nicht leisten. Wir sind darauf angewiesen, dass wir das Ansehen von Politik verbessern, und da ist jedes solcher Beispiele einfach schädlich.
    Heckmann: Michael Grosse-Brömer von der CDU, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, der reagiert auf diesen Fall, den wir gerade besprechen, Katherina Reiche, mit den Worten, er finde, wir haben zu wenig Wechsel von der Politik in die Wirtschaft und umgekehrt, und diese Wechsel sind aus seiner Sicht wünschenswert. Ist er da zu lax aus Ihrer Sicht?
    Stegner: Nein, im Grundsatz hat er ja recht. Natürlich muss es Wechsel geben zwischen Politik und Wirtschaft und Politik und Wissenschaft und der Gesellschaft generell, weil Politik immer ein Mandat auf Zeit ist in der Demokratie. Aber es muss ja nicht immer so sein, dass man aus einem Bereich, für den man zuständig war, wo man besondere Kenntnisse erworben hat, auf einen deutlich besser bezahlten Job dann mal so schnell wechselt, und dafür gibt es viele Beispiele. Ich glaube, dass das die Vorbehalte der Menschen stärkt, dass sie sagen, Mensch die da oben, die bedienen sich womöglich selbst. Das betrifft über 90 Prozent der Politiker nicht, aber in der Demokratie ist es eben so, dass schlechte Beispiele immer der gesamten Politik zugeschrieben werden. Deswegen spricht doch überhaupt nichts dagegen, dass man die Zeiten verlängert, dass man das länger macht, zwei Jahre oder drei Jahre. Ich meine, Politiker bekommen sicher weniger Geld als Manager in der Wirtschaft, aber sie nagen nicht am Hungertuch. Es gibt auch Übergangsgelder. Insofern glaube ich ist es nicht zwingend erforderlich, dass man unmittelbar nach einem Regierungsamt sofort auf einen gut bezahlten Managerposten wechselt. Und ich bin im Übrigen auch der Meinung, dass das nicht nur für Minister und Parlamentarische Staatssekretäre gelten sollte, sondern eigentlich auch für die beamteten Staatssekretäre, die ja auch hohen Einfluss haben und nahe an der Politik dran sind, Vertreter ihrer Minister sind. Man hätte das strenger machen können, an der SPD hat das nicht gelegen. Aber mit der Union war nicht mehr drin.
    "Politik muss mit gutem Beispiel vorangehen"
    Heckmann: Herr Stegner, noch ganz kurz zum Schluss. Was erwarten Sie jetzt konkret von Katherina Reiche? Sie verstößt ja nicht gegen ein Gesetz, weil das Gesetz ja noch gar nicht in Kraft ist.
    Stegner: Nein. Aber ich sage mal, Politik bestimmt sich ja nicht nur dadurch, dass man nur Dinge tut, die erlaubt sind, sondern ich finde, Politik muss mit gutem Beispiel vorangehen. Das was Frau Reiche heute macht, ist kein gutes Beispiel.
    Heckmann: Das heißt, sie sollte verzichten?
    Stegner: Das wird sie nicht tun, wenn ihr ein SPD-Vize das öffentlich rät. Aber sie nützt der Politik nicht, auch ihrer Partei nicht, und ob das Frau Merkel wirklich freut, da hätte ich Zweifel.
    Heckmann: Der stellvertretende SPD-Chef Ralf Stegner war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Stegner, danke Ihnen und schöne Grüße.
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.