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Karl Lauterbach (SPD) zur Corona-Lage
"Wir werden in den nächsten Wochen in eine wirklich schwierige Situation kommen"

SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat im Dlf die konsequente Umsetzung der beschlossenen neuen Coronamaßnahmen und drastische Kontrollen gefordert. Man habe zuletzt wichtige Zeit verloren und müsse sich jetzt "konzentrieren". Eine allgemeine Impflicht lehnte er deshalb vorerst ab.

Karl Lauterbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
Bundestag
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach spricht bei der Sitzung des Bundestags. (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
Der Bundestag hat am 15. November eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, der Bundesrat hat nach anfänglichen Vorbehalten zugestimmt. Damit könne man in den nächsten Wochen die die aktuelle Corona-Lage in Deutschland mit hohen Infektionszahlen in den Griff bekommen, sagte SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach im Deutschlandfunk. Es komme jetzt auf die Umsetzung an.
Lauterbach betonte, dass die im neuen Infektionsschutzgesetz enthaltenen Maßnahmen zum Teil auch schon bisher hätte ergreifen können, etwa die 2G- oder die 2G-plus-Regel oder auch 3G im Nah- und Fernverkehr. Er fordere dies bereits seit sechs Wochen. Die Infektionszahlen werden seiner Einschätzung nach nun erst noch weiter steigen, denn die Maßnahmen wirkten erst nach einem gewissen Vorlauf - und auch nur, wenn sie streng kontrolliert würden.
Neues Infektionsschutzgesetz
Wie die Ampel-Parteien die vierte Welle brechen wollen
Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz und dem Auslaufen der epidemischen Lage werden ab dem 25. November keine allgemeinen Lockdowns in den Bundesländern mehr möglich sein. Lauterbach verteidigte diese Entscheidung: "Ein Lockdown für Geimpfte und Ungeimpfte war nach rechtlicher Auffassung nicht mehr möglich." Teil-Lockdowns wie jetzt in Bayern und Sachsen werde es aber lokal weiterhin geben.
Eine allgemeine Impflicht lehnte Lauterbach ab, weil diese erst in zwei, drei Monaten ihre Wirkung entfalten werde. Zunächst müsse jetzt konsequent umgesetzt werden, was beschlossen wurde, anstatt darüber zu sprechen, was man stattdessen noch tun könne. " Wir werden in den nächsten Wochen in eine wirklich schwierige Situation kommen, das heißt, wir müssen uns konzentrieren", so Lauterbach.

Das vollständige Interview im Wortlaut:

Tobias Armbrüster: Herr Lauterbach, steht die Ampel-Koalition für eine verwässerte Corona-Politik, eine Corona-Politik light?
Karl Lauterbach: Nein, das darf sie nicht und das kann sie sich nicht leisten, das wird auch nicht so sein. Ich glaube, jetzt ist es sehr wichtig, dass wir Abstand nehmen von der Parteipolitik, sondern einfach uns auf die Maßnahmen konzentrieren, was wir jetzt beschlossen haben. Ich bin sehr dankbar, dass im Bundesrat auch die unionsregierten Länder mitgezogen haben. Das kann schon in den nächsten Wochen die Situation in den Griff bekommen, es kommt einfach drauf an, wie stark es umgesetzt wird.
Die Regelungen, die getroffen worden sind, sind ja die Regeln, die ich auch selbst seit langer Zeit fordere, die man aus meiner Sicht längst hätte ergreifen müssen. Das hätte ja auch das alte jetzt zugelassen, nämlich 2G wo immer möglich und 2G plus, wo die Situation sich noch mehr zugespitzt hat, und eben Regelungen am Arbeitsplatz und Regelungen in Bussen und Bahnen - alles Forderungen, die seit Wochen im Raum stehen, die aber noch nicht umgesetzt worden sind. Hätte man das vor sechs Wochen umgesetzt, dann stünden wir jetzt ganz anders da - auch diejenigen, die jetzt beklagen, das Gesetz gehe nicht weit genug.

"Dass wir nach wie vor in einer Notlage sind, das begreift ja jeder"

Armbrüster: Jetzt haben wir gestern gesehen, Sachsen und Bayern haben jetzt einen Lockdown verkündet, und sie haben das auch deshalb wahrscheinlich gestern gemacht, weil ihnen das jetzt gerade noch Ende November möglich ist. Mit diesem neuen Gesetz soll das ja nicht mehr möglich sein. Da fragen sich jetzt natürlich viele, ist das wirklich sinnvolle Politik.
Lauterbach: Na ja, man muss ja unterscheiden zwischen einem allgemeinen Lockdown und einem Lockdown in besonders gefährdeten Gebieten – der ist ja auch mit dem neuen Gesetz möglich, von daher ist da nichts weggenommen. Aber damit wir hier klar uns jetzt verstehen: Der allgemeine Lockdown, also der Lockdown, der gemacht wird für Geimpfte und Ungeimpfte gleichermaßen, das ist ja, was das alte Gesetz zugelassen hat. Der war nach rechtlicher Auffassung nicht mehr möglich. Daher ist die Veränderung eine Veränderung, die einfach einen juristischen Hintergrund hat. Nach rechtlicher Auffassung der Juristen, also aller drei Ampel-Parteien - ich bin selbst kein Jurist, aber es ist immer wieder vorgetragen worden und wurde auch in den Anhörungen bestätigt -, der allgemeine rechtliche Rahmen für einen Lockdown für Ungeimpfte und Geimpfte gleichermaßen ging nicht mehr.


Armbrüster: Ist die epidemische Notlage denn tatsächlich vorbei?
Lauterbach: Nein, natürlich nicht, aber das ist ja nur die Begrifflichkeit. Dass wir nach wie vor in einer Notlage sind, das begreift ja jeder, der sich die täglichen Zahlen anschaut. Das ist einfach eine rechtliche Begrifflichkeit, epidemische Notlage.

"Die Warnungen sind nicht wahrgenommen worden"

Armbrüster: Herr Lauterbach, entschuldigen Sie, wenn ich Sie da unterbreche. Kann man denn da nicht zumindest an diesem Punkt sagen, weil es ja in dieser Debatte und in dieser ganzen Krise auch immer viel um Begriffe geht, kann man dann zumindest sagen, die Gesetzesänderung, dieses Gesetzesänderung und auch diese Erklärung, Ende der epidemischen Notlage, das kommt zumindest zum falschen Zeitpunkt.
Lauterbach: Den Begriff aufzugeben, das ist extrem schwierig gewesen und kommunikativ geht das in die falsche Richtung. Die Debatte geht jetzt immer darum, hätten wir diesen Begriff ausgeben dürfen oder nicht. Der Gedanke, der dahintersteht, ist, dass die Menschen sich anders verhalten würden, wenn das Gesetz anders heißen würde. Wenn das Gesetz, sagen wir mal, anders heißen würde, beispielsweise epidemische Katastrophe, dann würden die Menschen sich anders verhalten. Aber das ist doch abwegig. Die Menschen verhalten sich doch anders, wenn die Maßnahmen andere sind.
Wir debattieren immer weiter über den Begriff, wir müssen über die Maßnahmen selbst reden, und die Maßnahmen müssen auch umgesetzt werden und kontrolliert werden. Wir haben jetzt zwei Wochen lang über den Begriff der epidemischen Notlage gesprochen, derweil mehr oder weniger in kaum einem Restaurant überhaupt die Impfzertifikate kontrolliert wurden. Die Fälle sind immer weiter angestiegen, die Warnungen sind nicht wahrgenommen worden. Wir sind sozusagen immer weiter auf die Katastrophe zugelaufen und sprechen darüber, wie soll das Gesetz denn genau heißen.
Die Begrifflichkeit, das ist doch Parteipolitik, sind wir doch ganz ehrlich. Hier wird Parteipolitik gemacht, dass der Begriff "epidemische Notlage" nicht mehr für das neue Gesetz gelten soll. Die Maßnahmen sind doch verschärft worden.
Armbrüster: Gut, und jetzt haben wir die Lage, Maßnahmenverschärfungen haben wir gestern zwei drastische Beispiele gesehen in Bayern und in Sachsen. Müssen wir uns darauf einstellen, dass solche Teil-Lockdowns jetzt auch in anderen Bundesländern kommen?
Lauterbach: Auf jeden Fall, weil die Fälle werden weiter steigen. Wir haben steigende Fallzahlen, weil das alles einen Vorlauf hat, und die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, nicht sofort wirken. Da muss man realistisch sein, das heißt, wir sind in eine so schwierige Lage gekommen, dass es auch in anderen Bundesländern, zumindest in Teilen anderer Bundesländer, so hohe Fallzahlen geben wird, auch Hospitalisierungen geben wird, dass wir dort auch lokal Dinge schließen müssen.
Armbrüster: Jetzt prescht Österreich vor, wir haben das heute Morgen schon gehört beziehungsweise wir hören es seit gestern. Dort wird eine Impfpflicht kommen, wahrscheinlich im Februar, eine generelle landesweite Impfpflicht. Markus Söder, der bayrische Ministerpräsident, haben wir gerade auch gehört, der hat das auch für Deutschland ins Gespräch gebracht. Halten Sie das auch für eine sinnvolle Lösung?
Lauterbach: Ich halte die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt nicht für zielführend, weil eine allgemeine Impfflicht, wenn wir sie machen würden, die würde uns frühestens in zwei Monaten, vielleicht in drei Monaten etwas bringen. Wir müssen aber jetzt handeln. Wir dürfen nicht immer die Diskussion führen über Dinge, die gerade nicht anstehen – Worte, neue Regeln, dramatisch muss da jetzt passieren.

"Eine Impfpflicht würde uns vielleicht erst im Februar oder März hier helfen"

Armbrüster: Herr Lauterbach, entschuldigen Sie, wenn ich da noch mal kurz reingehen darf: Ist nicht gerade das auch wieder ein Merkmal dieser Krise, dass die politischen Entscheidungen leider häufig etwas zu spät kommen und dass die Politiker eben nicht in der Lage sind, die Entscheidung zwei oder drei Monate treffen, bevor sie relevant werden?
Lauterbach: Das ist definitiv der Fall jetzt in der vierten Welle, definitiv. Das Robert Koch-Institut, viele Wissenschaftler, auch einige Politiker, ich selbst auch, wir warnen seit acht Wochen, seit acht Wochen, dass die Fälle hochgehen. Stattdessen wurde eine Debatte geführt, ob wir uns einen Freedom Day leisten können wie in Dänemark oder in England. Wir haben die Impfquote dafür nicht gehabt, es war klar, was jetzt kommen würde.
Wir müssen endlich konsequent das, was wir jetzt beschlossen haben, umsetzen mit Kontrollen, mit drastischen Kontrollen, sonst kommen wir nicht hin. Wenn wir stattdessen jetzt schon wieder darüber sprechen, was könnten wir stattdessen machen – die Impfpflicht. Die Impfpflicht – ich bin persönlich nicht grundsätzlich gegen eine Impfpflicht, aber wenn man eine Impfpflicht machen würde, das würde vielleicht im Februar oder März uns hier helfen.
Wir werden in den nächsten Wochen in eine wirklich schwierige Situation kommen, das heißt, wir müssen uns konzentrieren. Markus Söder, den ich sehr schätze, der muss jetzt die Bevölkerung ansprechen und sagen, das müssen wir jetzt machen, wir sind in einer Notlage - nicht über die Debatte von morgen sprechen.
Armbrüster: Herr Lauterbach, wir müssen noch über einen Punkt sprechen, der uns natürlich heute Morgen auch viel beschäftigt, das ist die Ankündigung vom Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der jetzt in dieser kommenden Booster-Kampagne bevorzugt Moderna, den Moderna-Impfstoff verimpfen lassen möchte, weil der sonst in den Lagerstellen verfällt, da naht sozusagen das Verfallsdatum. Der BioNTech-Impfstoff soll deshalb zurückgehalten werden, so eben die Ansage vom Gesundheitsminister, vom geschäftsführenden. Was halten Sie davon?
Lauterbach: Ein schwieriger Beschluss, den ich so nicht richtig finde, weil viele Menschen in Deutschland vertrauen dem BioNTech-Impfstoff besonders, der wird ja auch in Deutschland produziert. Man kann den Moderna-Impfstoff zusätzlich anbieten, aber das liefe ja jetzt darauf hinaus, dass es dann in dieser Zeit kein BioNTech gäbe. Das können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht leisten. Das ist einfach nicht richtig. Es ist ja länger bekannt, dass der Moderna-Impfstoff jetzt auf sein Verfallsdatum zuläuft. Dann hätte man ihn anderswo zur Verfügung stellen müssen, oder man setzt ihn zusätzlich ein oder wir hätten ihn vorher schon eingesetzt, aber aus meiner Sicht können wir uns jetzt nicht begrenzen auf einen einzigen Impfstoff, sondern wir müssen auch BioNTech anbieten, müssen jetzt wirklich mit allen Kräften arbeiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.