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Krankenhausreform
Gesundheitsminister Lauterbach (SPD): Weniger Ökonomie, mehr Medizin

Fallpauschalen in Krankenhäusern seien ein systematischer Anreiz dafür, dass dort zu viel gemacht, aber an der Qualität gespart werde, sagte Bundesgesundheitsminister Lauterbach (SPD) im Dlf zum bestehenden System. Es brauche nun "eine Revolution".

Karl Lauterbach im Gespräch mit Sandra Schulz |
Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, während einer Pressekonferenz.
Vieles, was man ambulant machen könne, würde stationär gemacht, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) im Dlf über Krankenhäuser in Deutschland (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Krankenhäuser könnten nur Geld verdienen, wenn sie „viele Fälle machen“, sagte Lauterbach im Deutschlandfunk. Wichtige Bereiche wie die Kinderheilkunde, die Pflege, aber auch die Spitzenmedizin fielen dabei hinten herunter, so der Bundesgesundheitsminister. „Das System funktioniert nicht gut. Wir brauchen jetzt so etwas wie eine Revolution in den Krankenhäusern.“ Es bestehe ein Ungleichgewicht zwischen ökonomischen und medizinischen Aspekten.
Lauterbach betonte, man könne bei den Fallpauschalen nicht nachjustieren. Kleine Veränderungen seien dort nur Stückwerk. Es gehe darum, dass man eine Bezahlung für die Daseinsfürsorge brauche, also für Personal und Ausstattung. Dazu habe die Kommission, die sich mit der Krankenhausreform befasse, Vorschläge die funktionierten. Man müsse zu Veränderungen kommen, die dem Stand der Wissenschaft entsprächen.

"Vieles ineffizient in den Krankenhäusern"

Lauterbach räumte ein, dass vieles in den Krankenhäusern ineffizient ablaufe. So gäben viele Einrichtungen Geld aus, das sie nicht ausgeben müssten. Wenn etwa Behandlungen nur abgerechnet werden könnten, wenn sie stationär vorgenommen werden und nicht ambulant, dann habe ein Krankenhaus mehr Arbeit, bekäme aber nicht mehr Geld. Das Gleiche gelte, wenn Eingriffe getätigt würden, die nicht unbedingt medizinisch notwendig seien, nur damit das Krankenhaus überleben könne. Insgesamt brauche man in den Krankenhäusern zwar auch mehr Personal. Aber vor allem komme es auf eine Struktur an, die dazu beitrage, dass die Beschäftigten gerne in den Krankenhäusern arbeiteten und sich auf die Medizin konzentrieren könnten.

Krise an Kinder- und Jugendkrankenhäusern

Zur aktuellen Krise in Kinder- und Jugendkrankenhäusern sagte der Bundesgesundheitsminister, man arbeite an der Lage in diesen Kliniken seit Beginn seiner Amtszeit und habe gerade eine Reform der Kinderkliniken beschlossen. Mit Bezug auf eine Interviewaussage des Kinderintensivmediziners Michael Sasse, dass Kinder stürben, weil man sie nicht mehr versorgen könne, sagte Lauterbach im Dlf, er sei in direktem Kontakt mit Kliniken etwa in Köln und Berlin. Er versuche, über Regeln zu ermöglichen, dass Personal aus anderen Bereichen in Kinderkliniken komme.
Lauterbach kritisierte die Vorgängerregierung, die im Bereich der Kinderkliniken über mehrere Legislaturperioden nichts unternommen habe. Der SPD-Politiker betonte: „Mir tut das weh, dass die Kinder so betroffen sind.“ Er appellierte, in den Krankenhäusern keine planbaren Eingriffe vorzunehmen und das Personal in den Kinderkliniken zu bündeln.

Das Interview im Wortlaut:
Sandra Schulz: Wie krank sind die Krankenhäuser?
Karl Lauterbach: Tatsächlich geht es den Krankenhäusern gar nicht gut. Wir haben seit 20 Jahren eigentlich ein System, was nicht wirklich gut funktioniert. Die Fallpauschalen sind vor 20 Jahren eingeführt worden. Das bedeutet für den Patienten, dass die Qualität oft nicht so gut ist, wie sie sein könnte. Es gibt immer den gleichen Preis, egal ob der Eingriff sehr aufwendig, mit hoher Qualität gemacht wird, oder nicht so hoher Qualität. Die Krankenhäuser müssen in die Menge gehen. Das heißt, ein Krankenhaus kann nur wirklich viel verdienen, wenn es viele Fälle macht. Somit haben wir einen systematischen Anreiz, weil immer der gleiche Preis für einen Fall bezahlt wird, dass viel gemacht wird, oft zu viel und dass an der Qualität gespart wird, und insbesondere, dass Bereiche hinten runterfallen, wo man keine Gewinne machen kann, zum Beispiel die Kinderheilkunde, zum Beispiel die Pflege, aber auch oft die Spitzenmedizin. Das System funktioniert nicht gut. Wir brauchen echt ein ganz anderes System. Daher ist es nicht übertrieben, wenn man sagt, wir brauchen so etwas wie eine Revolution, wie wir Krankenhäuser bezahlen, dass Qualität eine stärkere Rolle spielt, aber Ökonomie eine geringere Rolle spielt. Wir haben ein Ungleichgewicht zwischen Medizin und den ökonomischen Aspekten.
Schulz: Das wird sicherlich keine triviale Aufgabe, das in ein Gleichgewicht zu bringen. – Diese Fallpauschalen, über die Sie gerade schon gesprochen haben: Wenn man die Erkenntnis hat, dass die teilweise oder an vielen Stellen fehlsteuern, warum justiert man da nicht nach?
Lauterbach: Das kann man nicht, weil kleine Veränderungen bringen da nicht viel. Das System ist in Deutschland so radikal eingeführt worden wie in keinem anderen Land. Wir bezahlen quasi das gesamte Budget über Fallpauschalen und damit sind die Krankenhäuser sehr schnell in einem Hamsterrad und müssen dann quasi mehr Fälle machen, Personal abbauen, dass die Kosten niedrig sind. Vieles, was man ambulant machen könnte, wird stationär gemacht, dann fehlt da das Personal. Das heißt, kleine Veränderungen sind hier Stückwerk. Wir brauchen eine Bezahlung, wo die Krankenhäuser mehr Geld bekommen für die Struktur, die sie vorhalten, die Daseinsvorsorge für das Personal beispielsweise, die Ausstattung, und da gibt es auch sehr gute Ideen. Die werden heute vorgestellt. Ich glaube, diese Kommission, die sich jetzt seit über 50 Sitzungen damit beschäftigt, hat tolle Vorschläge, hat Vorschläge, die wirklich funktionieren, und wir sollten da nicht kleine Veränderungen machen, sondern den Mut zeigen, dass wir eine Veränderung bringen, die auch dem Stand der Wissenschaft entspricht.
Schulz: Sie sagen, die Krankenhäuser werden künftig besser arbeiten und es wird nicht teurer?

"Vieles ist ineffizient"

Lauterbach: Genau! Vieles was jetzt stattfindet, ist auch ineffizient, so dass die Krankenhäuser zum Teil auch Geld ausgeben, was sie nicht ausgeben müssten. Wenn ich zum Beispiel Dinge nur abrechnen kann, wenn ich sie stationär mache und nicht ambulant, dann hat das Krankenhaus mehr Arbeit, bekommt aber nicht mehr Geld. Oder wenn beispielsweise Eingriffe gemacht werden, die nicht unbedingt medizinisch notwendig sind, nur damit das Krankenhaus überleben kann, wenn das Personal ineffizient vorgehalten wird, wenn ich zum Beispiel für bestimmte Eingriffe, die aufwendig sind, das Personal für diese Eingriffe an viel zu vielen Orten vorhalte und das nicht bündele, dann entstehen den Krankenhäusern Kosten, denen keine Gewinne entsprechen. Das heißt, die Krankenhäuser leiden auch darunter. Insbesondere leidet der Patient, weil er manchmal nicht weiß, könnte die gleiche Leistung nicht besser anderswo vorgenommen werden.
Schulz: Das klingt trotzdem ein kleines bisschen nach Zauberei. Das Problem im Moment ist vielfach der Personalmangel. Kann man das wirklich mit einer „nur“ Strukturreform in den Griff bekommen? Werden da nicht mehr Leute gebraucht?
Lauterbach: Es werden auch mehr Leute gebraucht, zum Beispiel in der Pflege. Aber wir bilden in der Pflege mehr aus. In der Zeit von 2018 bis jetzt sind die Auszubildenden in der Pflege um 20 Prozent gestiegen. Da sind wir auf dem richtigen Weg. Wir verlieren aber sehr viele Menschen aus dem System heraus, Ärzte und Pflegekräfte, die diese starke Ökonomisierung nicht mittragen wollen. Viele Ärzte erzählen mir zum Beispiel, dass sie das Krankenhaus verlassen, weil diese Dominanz der ökonomischen Aspekte auch nicht wirklich der Art und Weise entspricht, wie Ärzte gerne arbeiten. Bei den Pflegekräften ist es nicht anders.
Wir werden mittelfristig auch mehr Personal benötigen. Das ist klar. Aber wir brauchen auch eine Struktur, die dazu beiträgt, dass die Menschen auch gerne im Krankenhaus arbeiten, dass sie sich auf die Medizin stärker konzentrieren können und nicht ständig vorgerechnet bekommen, was muss gemacht werden.

"Arbeiten seit Monaten an Reform der Kinderkliniken"

Schulz: Lassen Sie uns herübergehen zu der akuten Notlage in den Kinder- und Jugendabteilungen, in den Stationen dort. Es sind viele Stationen voll oder nahezu voll. Viele Eltern, viele Kinder, viele Familien müssen einen Platz in weiter Ferne annehmen, weil im Moment die Atemwegsinfekte so grassieren. Täuscht der Eindruck, oder kommt das jetzt alles völlig überraschend?
Lauterbach: Es kommt nicht ganz so überraschend. Zunächst einmal: Wir arbeiten ja an dieser Reform für die Kinderkliniken schon seit Monaten. Ich hatte das ja schon zum Thema gemacht, da war ich noch gar nicht Minister, weil ich die Situation in den Kinderkliniken sehr gut kenne. Mit den Kinderkliniken, genau wie mit der Pflege kann man keine Gewinne machen. Somit würde man vermuten, dass in einem solchen System dort gespart wird, und das ist über Jahrzehnte passiert. Somit arbeiten wir seit Monaten an einer Kinderklinik-Finanzreform. Das ist auch beschlossen worden. Das haben wir gemacht, da wussten wir noch gar nicht, dass es diese RS-Epidemie geben wird, die es übrigens auch in vielen anderen Ländern gibt, auch in den USA. Aber es zeigt, wie prekär die Lage ist, und da kommt die Reform spät, aber sie kommt immerhin. Aber das bringt uns jetzt nicht über diese akute Welle; da müssen wir andere Dinge machen.
Schulz: Herr Lauterbach, wenn Sie sagen, ja, wir waren darauf vorbereitet, das kommt nicht überraschend, wie zufrieden sind Sie denn dann mit Ihrer Vorbereitung, mit diesem Status quo? Es ist doch jetzt der dritte Winter seit Ausbruch der Pandemie und wieder kollabiert, wenn auch vielleicht in einem anderen Bereich, das System. Wie kommt das?
Lauterbach: Mit dieser RS-Welle hat niemand gerechnet. Aber wir sind deutlich besser vorbereitet. Sie müssen überlegen: Mit dieser großen Krankenhausreform habe ich quasi am ersten Tag meiner Amtsübernahme begonnen. Das läuft jetzt mit dieser Kommission schon seit vielen Monaten, 50 Mal getroffen, heute wird das Konzept vorgestellt, wir haben die Reform für die Kinderkliniken schon beschlossen. Ich bekomme jetzt viel Kritik, wo bleibt denn das alles. Wissen Sie, 20 Jahre ist so gut wie gar nichts gemacht worden. Ich mache das jetzt seit einem Jahr und wir haben eine riesen Reform vor, die wir heute vorstellen, und die Reform für die Kinderkliniken wurde am Freitag schon beschlossen. Mir tut das jetzt sehr weh, dass es bei den Kindern so schwierig ist. Da arbeiten wir mit allen Stationen zusammen. Aber ich möchte darauf hinweisen, weil ich das immer wieder höre: Wir arbeiten wirklich an der Lage der Kliniken seit dem ersten Tag meiner Amtsübernahme. Vorher ist über mehrere Legislaturperioden da gar nichts gemacht worden und um die Kinder hat sich niemand groß gekümmert. Jetzt haben wir am Freitag schon die Reform beschlossen.

"Keine Zuständigkeit, um Luftfilter in Schulen und Kitas zu bringen"

Schulz: Die Kliniken, die Lage in den Krankenhäusern, das ist das eine Thema. Das andere große Thema, das immer eine Rolle gespielt hat, rund um Kitas und Schulen, das waren die Luftfilter. Warum hat das ein Gesundheitsminister Karl Lauterbach nicht zu seinem Projekt gemacht? Ein Beispiel aus Köln: In Köln können Luftfilter frühestens ab Mai 2023 angeschafft werden.
Lauterbach: Wir haben ein bundesweites Förderprogramm für Luftfilteranlagen gehabt. Das hat Robert Habeck noch geleitet. Die Luftfilter sind vom Bund bezuschusst worden. Aber wir haben in den Kindertagesstätten und den Schulen überhaupt keine Zuständigkeiten. Das heißt, ich kann de facto keine Luftfilter in die Schulen bringen, auch nicht in die Kitas. Das müssen die Länder tun. Der Bund kann nur bezahlen, das hat er lange nicht getan.
Schulz: Dort hinbringen nicht, aber die Vorgaben anpassen. Das ist ja das große Problem.
Lauterbach: Nein, das können wir nicht. Ich kann nirgendwo in einer Kita oder in einer Schule eine Vorgabe für einen Luftfilter machen. Dafür sind die Länder zuständig. Wir können nur, wenn die Länder das machen, wenn die das zum Beispiel vorgeben würden, die Luftfilter mit bezahlen, anteilig mit bezahlen. Dieses Programm gab es; das ist aber von den Ländern und den Kommunen so wenig genutzt worden, dass das Geld gar nicht abgeflossen ist. Ich könnte jetzt nicht, wenn ich wollte, sagen, in Köln müssen Luftfilter in die Kitas. Das kann ich nicht veranlassen. Dafür hat der Bund keine Zuständigkeit.

"Leide darunter, dass die Kinder jetzt so betroffen sind"

Schulz: Auch keine Selbstkritik?
Lauterbach: Was heißt Selbstkritik? – Das ist ein geltendes Gesetz. Ich habe mich ja immer dafür eingesetzt, dass wir die Luftfilter nutzen. Ich habe mich auch immer dafür eingesetzt, dass wir die Kitas und die Schulen gut schützen. Aber es entspricht dem geltenden System im Föderalismus, dass der Bund die Kitas nicht mit Luftfiltern gegen deren Willen versorgen kann.
Schulz: Karl Lauterbach, ich habe das Zitat eben schon vorgelesen. Michael Sasse, der Leitende Oberarzt der Kinder-Intensivmedizin in Hannover, der sagt: „Kinder sterben, weil wir sie nicht mehr versorgen können.“ – Wie reagieren Sie als zuständiger, als verantwortlicher Gesundheitsminister?
Lauterbach: Ich bin mit den Kliniken im direkten Kontakt, mit der Uniklinik in Köln, zum Beispiel mit Herrn Dötsch, oder mit Herrn Abou-Dakn im St. Josef Krankenhaus in Berlin und mit vielen anderen, und mir tut das weh und ich leide darunter, dass die Kinder jetzt so betroffen sind. Die Kinder haben so viel aufgegeben, in der Corona-Pandemie schon, aber ich blicke nach vorne. Ich versuche, wirklich über Regeln jetzt zu ermöglichen, dass Personal aus anderen Bereichen in die Kinderkliniken kommt. Ich appelliere an die anderen, jetzt keine planbaren Eingriffe vorzunehmen, sondern das Personal auf die Kinderkliniken zu bündeln. Das haben wir auch gesetzlich sofort ermöglicht, dass dort die Untergrenzen in anderen Bereichen, aber auch in den Kinderkliniken beachtet werden müssen. Es muss jetzt wirklich nach vorne geblickt werden.
Wir haben wie gesagt vom ersten Tag an alles getan, um bei den Kinderkliniken dieses System der Fallpauschalen zu überwinden. Das gilt jetzt schon. Mit dieser Welle, das ist furchtbar. Da hilft es jetzt nicht, Schuldzuweisungen zu machen, sondern wir müssen zusammenhalten.
Ich höre auch oft, dass das andere Pflegepersonal dort nicht helfen könnte. Es kann helfen bei den einfachen Fällen in der Kinderklinik, so dass die Kinderpflegekräfte und Ärzte sich auf die schweren Fälle konzentrieren können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.