Die jungen Männer, die wie der Maler Georg Scholz 1918 als Überlebende von der Front in ihre Heimat zurückkamen, hatten in der Unentrinnbarkeit des Krieges die hässliche Fratze des Menschen kennengelernt. Niemand sprach damals von Traumatisierung, wie es heute in aller Munde ist, und doch waren da so tiefgreifende, schreckliche Erfahrungen, die den Blick auf den vermeintlich ‚lieben Nächsten‘ geschärft hatten.
Gesellschaftskritik im Geiste des Klassenkampfs
Künstler politisierten sich und entlarvten in ihren Bildern soziale Missstände. So auch Georg Scholz, der an der Kunstakademie in Karlsruhe studiert und seine Ausbildung 1914 als Meisterschüler von Wilhelm Trübner abgeschlossen hatte. Im darauffolgenden Jahr war die Einberufung zum Militär gekommen, ohne dass er bis dahin als Künstler schon hätte Fuß fassen können. Als er dann im Dezember 1918 ins badische Grötzingen zu Frau und Sohn zurückkehrte, waren der eigene wirtschaftliche Überlebenskampf und die in der Nachkriegszeit besonders krass hervortretenden Klassengegensätze vor dem Hintergrund seiner Kriegserfahrungen Anlass sowohl für Georg Scholz‘ Eintritt in die USPD und nach deren Auflösung in die KPD als auch für die beißende Gesellschaftskritik in seinen Graphiken und Gemälden. Das bestätigt die Kunsthistorikerin Ursula Merkel, die viele dieser heute großenteils verschollenen Werke in dem Band "Georg Scholz. Schriften, Briefe, Dokumente" abgebildet hat.
"Ich glaube, dass der Erste Weltkrieg ganz entscheidend war als Prägung für das Weltbild, vor allem das Menschenbild von Georg Scholz., das sieht man, denk ich sehr, sehr deutlich an den Kunstwerken, die er unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg geschaffen hat, also diese Werke, die von den ganzen Desillusionierungen, von den Grausamkeiten berichten, nicht direkt – also es ist nicht so, dass er den Krieg schildert, das macht er in seinen Kriegserinnerungen ‚Ich hatt‘ einen Kameraden‘ – aber in den Werken der Bildenden Kunst, die nach dem Ersten Weltkrieg entstehen, ist eben diese schonungslose Sicht auf den Menschen, auf das Ausbeutertum, auf die Ausgebeuteten, auf das Proletariat, auf die Verarmung, auf die entsetzlichen Spannungen in der Gesellschaft in Deutschland - und da steht er auch Künstlern wie George Grosz oder Otto Dix in nichts nach."
Der Nachlass – eine Fundgrube
Ursula Merkel hat zusammen mit dem 2015 verstorbenen Kunsthistoriker Karl-Ludwig Hofmann den Nachlass von Georg Scholz in Waldkirch wissenschaftlich aufgearbeitet. Die daraus resultierende Ausgabe enthält Texte aus der Zeit von 1913 bis 1945 mit detaillierten Nachweisen und kommentierenden Anmerkungen, so dass ein facettenreiches Bild speziell der zwanziger und dreißiger Jahre entsteht, das zu mancher Relativierung tradierter Urteile Anlass gibt. Georg Scholz war ein scharfsichtiger, wohl nicht ganz einfacher Mensch, der kein Blatt vor den Mund nahm. Zeitgenossen erlebten ihn als begnadeten Erzähler, der von feiner Ironie über derben Spott bis zu sezierendem Sarkasmus die ganze Klaviatur distanzierender Kritik beherrschte. Der vorliegende Band ist in drei Teile gegliedert. Zunächst sind zwischen 1914 und 1932 publizierte Texte zusammengestellt, Kunsttheoretisches, Kulturpolitisches, Autobiografisches. Es folgen Korrespondenzen vorwiegend mit Künstlerkollegen und Freunden bis zum Todesjahr 1945. Hervorzuheben ist der Briefwechsel mit seinem langjährigen Freund und Mäzen Theodor Kiefer, dem er genau seine Anregungen, bildkünstlerischen Vorhaben und seine Arbeitsweise beschreibt. Im dritten Teil kommt die große Überraschung: Zwei umfangreichere, bislang unbekannte literarische Schriften aus den Jahren 1930 bis1932 zeigen den Maler– darin dem Bildhauer Ernst Barlach vergleichbar – als Doppelbegabung. Der eine Text nimmt satirisch den Alltagsbetrieb an der Badischen Landeskunstschule, der umbenannten Karlsruher Akademie, aufs Korn, an der Georg Scholz von 1925 bis 1933 eine Professur hatte. Der andere Text vom Umfang eines Romans und in Art von Tagebuchaufzeichnungen gibt unter dem bereits erwähnten Titel ‚Ich hatt‘ einen Kameraden‘ Kriegserinnerungen in lebhaften und drastischen Schilderungen. So kann der Leser wählen:
"Interessiert mich Georg Scholz mehr als Kunsttheoretiker, interessiert er mich mehr als satirischer Schriftsteller, interessiert er mich als Chronist des alltäglichen Lebens an der Badischen Landeskunstschule in den zwanziger Jahren mit höchst ironischem Blick auf die Kollegen oder interessiert er mich als Mensch – da begegnet er uns natürlich am ehesten in den Briefen … als Soldat im Ersten Weltkrieg oder als Künstler, der versucht seinen Platz innerhalb der Gesellschaft zu finden, der Kontakte aufbaut mit Museumsdirektoren, mit Galeristen und versucht sich als bildender Künstler zu etablieren."
Von sarkastischer Entlarvung zu kühler Distanz
Anfang der 1920er-Jahre wollte Georg Scholz die Kunst in den Dienst des revolutionären Klassenkampfes gestellt wissen. Seite an Seite mit George Grosz, John Heartfield, Otto Dix, Hannah Höch und Rudolf Schlichter wurde er zu einem der schärfsten Kritiker der Missstände in der Weimarer Republik, stellte Militarismus, Kapitalismus, Spießertum bloß, gab die sogenannten Stützen der Gesellschaft der Lächerlichkeit preis, entlarvte schon 1923 die aufkommende Gefahr nationalsozialistischen Gedankenguts. Dann kam die entpolitisierte Darstellungsweise der Neuen Sachlichkeit, mit der er den Ruf des enfant terrible abstreifte und als seriöser Maler reüssierte. Doch kaum jemand fragte oder fragt sich noch heute, welches Menschenbild hinter den zumindest unterkühlt gegebenen Konterfeis bar jeder Herzenswärme steht.
"Die Werke, die er dann später geschaffen hat, Mitte der zwanziger Jahre, die zu den Ikonen der Neuen Sachlichkeit heute zählen, dass die so viel Brisanz aufweisen, das würde ich eigentlich nicht so sehen. Es gab ja auch eine Richtung innerhalb der Neuen Sachlichkeit, gerade auch in der Münchner Abteilung, die dann doch recht nahtlos mit ihrem Klassizismus in die NS-geprägte Kunst hinübergegangen sind. Das kann man bei ihm natürlich so überhaupt nicht sagen."
Nein, das kann man wirklich nicht sagen, zumal er sich eben zu Beginn der 30er-Jahre, als er in eine bildkünstlerische Schaffenskrise geraten war, literarisch mit den menschlichen Abgründen beschäftigte. Sein Menschenbild war aus leidvoller Erfahrung genuin von Misstrauen geprägt. Wie er 1931 an Theodor Kiefer schrieb, litt er
"…unter der seelischen Rohheit und geistigen Verkommenheit der in die Welt des Geistes und der Kunst lärmend hineintrampelnden machthabenden Parvenü-Spießer" und zwei Jahre später über seine geliebte Hündin: "Einen so anständigen Charakter wie den des Pudels Lotte findet man unter den Menschen nicht!"
"Georg Scholz. Schriften, Briefe, Dokumente"
Hrsg. von Karl-Ludwig Hofmann und Ursula Merkel
Lindemanns Verlag, Bretten. 658 S., 62 Abb., 45 Euro.
Hrsg. von Karl-Ludwig Hofmann und Ursula Merkel
Lindemanns Verlag, Bretten. 658 S., 62 Abb., 45 Euro.