Archiv

Karl-Rudolf Korte
"Gesichter der Macht"

Was kann und darf der Bundespräsident? Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben mit dem Amt eine interessante Mischung aus Ersatzkaiser, Reservemacht und Staatsnotar geschaffen. Diese hat sich in den vergangenen siebzig Jahren vielfach bewährt.

Von Peter Carstens |
Das Cover des Buches von Karl-Rudolf Korte, "Gesichter der Macht". Im Hintergrund Angela Merkel mit Frank-Walter Steinmeier im Haus Bellevue.
"Der Bundespräsident muss nach innen und außen repräsentieren, wofür Deutschland als Ganzes steht", davon ist der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte überzeugt. (Campus Verlag / dpa/Wolfgang Kumm)
Gemessen an seinen amerikanischen und französischen Kollegen hat der deutsche Bundespräsident nur wenig Macht. Selbst sein österreichischer Nachbar ist wenigstens Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Der deutsche Bundepräsident hingegen fertigt Gesetze aus, die er nicht geschrieben hat. Er darf dem Bundestag einen Kanzler vorschlagen. Aber das Parlament kann den Vorschlag auch übergehen. Doch im deutschen Präsidentenamt stecken Macht-Potentiale, die im Grundgesetz angelegt sind. Der Duisburger Politologe Karl-Rudolf Korte, bekannt aus Funk und Fernsehen als Erklärer und Live-Kommentator, hat sich die Möglichkeiten und Gesichter präsidialer Macht einmal genauer angesehen. Seine Neugierde gilt einem Amt, bei dem sich auch Korte fragt:
"Es wirkt so aus der Zeit gefallen. Kann man mit Reden einer chronisch verunsicherten Bevölkerung neue Zuversicht geben? Ist es dem Bundespräsidenten möglich, dem demokratischen Verfassungsstaat eine spirituelle Aura zu verleihen, die Halt und Orientierung gibt?"
Korte meint, das gehe und beschreibt anhand zahlreicher Beispiele, wie. Denn die Bundespräsidenten von Heuss über Scheel bis Steinmeier haben ihre Optionen jeweils unterschiedlich genutzt. Manche davon sind bis heute stille Verfassungsreserve.
Viel Spielraum zur Gestaltung
Korte unterscheidet mehrere Kategorien präsidialer Macht: Da sind einerseits seine Prüfungs- und Gestaltungskompetenzen, Korte nennt sie "hard powers". Anderseits und vor allem aber seine Auftritte und seine Worte. Korte schreibt:
"Er repräsentiert nach innen und nach außen, wofür Deutschland als Ganzes steht. Das ist eine extrem vage Annahme und lässt sehr viel Gestaltungsspielraum. Ob man öffentlicher Meinungsbilder sein möchte, hinter den Kulissen Kontrahenten zusammenbringt, markante Reden hält, Auszeichnungen ausspricht, öffentliches Auftreten zelebriert – die Potentiale sind unendlich."
Doch der Erfolg präsidialer Rede bedarf guter Vorbereitung. Manchmal kommt auch Zufall hinzu. So meint Korte, die große Wirkung von Richard von Weizsäckers Gedenk-Rede zum Ende des Zweiten Weltkriegs habe mit dem missglückten Besuch des Bundeskanzlers Helmut Kohl und des amerikanischen Präsidenten Reagan auf einem Soldatenfriedhof drei Tage davor zu tun. Weizsäcker hatte also 1985 auch das Glück des rechten Augenblicks.
Am Beispiel eines Staatsbesuchs in der Sowjetunion im Jahre 1987 beschreibt Korte mit jüngst frei gegebener Akten, welche Möglichkeiten ein Bundespräsident als "Türöffner" in der internationalen Politik hat. In der Innenpolitik fand Roman Herzog mit seiner "Ruck-Rede" zehn Jahre später bleibende Worte.
Die "Benennungsmacht"
Andere Reden verpufften, etwa eine Initiative von Joachim Gauck zur Neubewertung des Alterns. Korte analysiert das so:
"Darstellungspolitik stellt ein wichtiges Potential der Gestaltungsmacht des Bundespräsidenten. Aber die Möglichkeiten, damit auch ein mediales Echo zu erreichen, sind unter den Bedingungen der Berliner Medien- und Aufregungsdemokratie schwieriger geworden. Wie sich Wirkung entfaltet, hängt von sehr vielen Faktoren ab: der strategischen Planung, dem besonderen Momentum, der treffenden Formulierung, dem Ort und Zeitpunkt."
So fand Gauck später einen Satz, der die Politik der Bundeskanzlerin zur Flüchtlingsfrage relativierte, ohne auf Konfrontation zu setzten, der Verständnis für Zweifelnde zeigte, ohne die Grundsätze der Menschlichkeit aufzugeben. Gauck sagte: "Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich". Das wurde später tausendfach zitiert. Korte nennt das "Benennungsmacht".
"Sie entstand durch die präsidiale Beschreibung dessen, was sich flüchtlingspolitisch abspielte [...] Gaucks normative Orientierung zeigte Richtungen an, ohne die Wegstrecke zu benennen."
So können Präsidenten auch in der Tagespolitik wichtige Akzente setzen.
In loser Reihenfolge und frei von wissenschaftlichem Korsett flaniert Korte in seinem Buch an Gestalten, Kompetenzen und historischen Momenten der Bundespräsidenten entlang. Dabei mischt er essayistische Betrachtungen mit teilweise etwas gekünstelt wirkenden Feinanalysen des präsidial Ungefähren.
Die Amtsführung von Steinmeier
Lebhaft beschreibt Korte den Alltag im Schloss Bellevue, die morgendliche Lagebesprechung, die Inszenierung der Bürgernähe und die Arbeit des Präsidialamts.
Herzstück und Herzensthema seines Buches ist die Amtsführung von Frank-Walter Steinmeier. Am Beispiel der letzten Regierungsbildung zeichnet Korte minutiös nach, wie der mit allen Wassern gewaschene frühere SPD-Politiker nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen Union und SPD den Weg zur großen Koalition gewiesen hat. Und das obwohl die Sozialdemokraten überhaupt nicht wollten und die Union schon mit Neuwahlen liebäugelte. Korte erzählt, wie Steinmeier damals die Fäden in die Hand genommen hat und erläutert die Nuancen seines Handelns. So interpretiert er etwa seinen Lesern die Botschaften, die von Fotos des Präsidialamtes von Steinmeiers Treffen mit den Parteivorsitzenden ausgingen. Auf allen Fotos sei:
"der Bundespräsident der jeweils Handelnde [...] die Gäste sind jeweils Zuhörer. Gestik, Mimik und Körperhaltung enthalten eine klare Botschaft: So sieht ritualisierte Hierarchie aus. Das strenge Staatsoberhaupt erinnert die Parteivorsitzenden an ihre Pflicht, den Wählerwillen umzusetzen. Die Bilder sollen auch beruhigen. Republikanische Autorität wirkt; das quasi monarchische Privileg des Amtes bannt. [...] Die Gesprächspartner waren weniger Besucher als präsidentiell Vorgeladene."
Am Ende übernahmen sie wieder Verantwortung. Solche Beobachtungen, aber auch Kortes Eindrücke aus Gesprächen mit Horst Köhler, Christian Wulff und Joachim Gauck, Grundgesetzlektüre, Archivarbeit und Histörchen-Sammlung machen das Buch "Gesichter der Macht" zu einem spannenden Essay und ermutigen vielleicht dazu, Reden und Gesten der Bundespräsidenten mit feinerem Gespür zu folgen.
Karl-Rudolf Korte: "Gesichter der Macht. Über die Gestaltungspotentiale der Bundespräsidenten",
Campus Verlag, 388 Seiten, 26 Euro.