Karlsbad-Marathon
Laufen trotz auffälliger Blutwerte

Beim Karlsbad-Marathon steht ein Läufer auf dem Podium, der von der Nationalen Anti-Doping-Agentur in Spanien Anfang des Jahrs eigentlich suspendiert wurde. Der Fall zeigt eine Gesetzeslücke im spanischen Anti-Doping-Gesetz auf.

Von Christian von Stülpnagel | 26.05.2024
Abdelaziz Merzougui beim Valencia Marathon 2021
Die spanische Anti-Doping-Agentur suspendierte Abdelaziz Merzougui für vier Jahre, trotzdem konnte Merzougui beim Rennen in Karlsbad an den Start gehen. (imago images / Beautiful Sports / BEAUTIFUL SPORTS / Meurer )
Der Livestream stottert ein bisschen, das Bild ist verschwommen als Khalid Choukoud und Abdelaziz Merzougui Hand in Hand über die Ziellinie laufen. Sie teilen sich den Sieg beim Karlsbader Halbmarathon vor einer Woche. Eine Geste des gegenseitigen Respekts.
Dritter wird in diesem Rennen ein Deutscher: Hendrik Pfeiffer, der beim EM-Halbmarathon in Rom in zwei Wochen am Start stehen wird – und deutsches Backup für den Olympischen Marathon in Paris ist: „Das war für mich ein Rennen, dass ich aus der Saisonpause heraus für den Auftakt in meine Sommersaison genutzt habe. Habe natürlich auch versucht, um den Sieg mitzukämpfen, bin dann Dritter geworden.“

Ein Podium mit Beigeschmack

Ein Podiumsplatz, der allerdings ein Geschmäckle hat. Denn sowohl Khalid Choukoud, als auch Abdelaziz Merzogui haben eine Dopingvergangenheit. Ein Aspekt, den Pfeiffer auch auf seinem Insta-Profil thematisiert, „dass das ein sehr unangenehmes Gefühl ist, zu wissen, dass man der einzige Athlet auf dem Treppchen ist, der da wie ich in der Hinsicht sich nichts zu Schulden hat kommen lassen. Und das macht mich schon traurig, dass das so ist.“
Aufnahme des Läufers Khalid Choukoud von hinten beim TCS Amsterdam Marathon.
Der marokkanisch-niederländische Läufer Khalid Choukoud wurde 2007 wegen eines anabolen Steroids für zwei Jahre gesperrt, er bestreitet wissentliches Doping. (picture alliance / ANP / Olaf Kraak)
Der Sieger Khalid Choukoud, ein marokkanisch-niederländischer Läufer, wurde 2007 wegen eines anabolen Steroids für zwei Jahre gesperrt, er bestreitet wissentliches Doping. Beim Zweitplatzierten Abdelaziz Merzougui wurde das Dopingvergehen erst Anfang des Jahres veröffentlicht – auf Umwegen über Recherchen der spanischen Zeitung Marca. Demnach hat die Spanische Anti-Doping-Agentur CELAD Merzougui für vier Jahre suspendiert, weil sie Unregelmäßigkeiten in seinem Biologischen Blutpass gefunden hat, mit dem Blutwerte über einen langen Zeitraum verglichen und so Doping nachgewiesen werden soll.
Trotzdem konnte Merzougui beim Rennen in Karlsbad an den Start gehen. Rennorganisator Carlo Capalbo ist überrascht, als Hendrik Pfeiffer ihn darauf anspricht: „Ich habe mit der Athletes Integrity Unit gesprochen, ich habe in die Liste der gesperrten Personen geschaut, mit der Welt-Anti-Doping-Agentur gesprochen. Nirgendwo taucht der Name des Läufers auf. Weil er aktuell nicht gesperrt ist.“

Nationales Recht versus Sportrecht

Die Spanische Anti Doping Agentur findet also Unregelmäßigkeiten im Blutpass eines Athleten – aber er ist nicht für Wettkämpfe gesperrt? „Ich habe mit dem Vizechef des spanischen Leichtathletik-Verbands gesprochen. Und er hat mir erklärt, dass sie gemäß spanischem Gesetz den Blutpass nicht akzeptieren“, so Capalbo.
Hintergrund ist die bisherige Rechtsprechung in Spanien, laut der der Blutpass gegen die Unschuldsvermutung verstößt. Eine Schwachstelle, die bereits 2018 bekannt wurde. Damals hat der Radprofi Ibai Salas erfolgreich gegen eine Sperre wegen Unregelmäßigkeiten in seinem Blutpass geklagt. Das Gericht urteilte damals: Der Blutpass dürfe lediglich zur Einleitung weiterer Untersuchungen genutzt werden – obwohl der Leichtathletik-Weltverband World Athletics den Blutpass als legitimen Grund für eine Sperre ansieht.
„Hier schlägt tatsächlich das nationale Recht das Recht der internationalen Sportverbände“, sagt der Sportrechtler Paul Lambertz, der sich immer wieder mit Dopingfällen beschäftigt. Ein Widerspruch, der bleibt - selbst wenn der internationale Sportgerichtshof CAS eine Sperre verhängt: „So eine Sperre muss auch durchgesetzt werden. Aber da gibt es, das haben wir in Deutschland auch im Fall Pechstein gesehen, auch immer wieder die Kontrolle der staatlichen Gerichte, ob das in groben Zügen mit dem übereinstimmt, was man sich als nationaler Gesetzgeber gedacht hat.“

Pfeiffer: „Ein absoluter Skandal“

Internationale Sportverbände mit ihrer Monopolstellung stellt das vor Herausforderungen, sagt Lambertz: „Kann ich jemanden ausschließen, obwohl er nach seinen gesetzlichen Regeln keine Sperre verbüßt und ich wage mal die Prognose: Nein, das funktioniert so nicht. Denn in dem Moment, in dem ich ihn sanktioniere, würde ich mich über den nationalen Gesetzgeber hinwegsetzen.“
Das spanische Schlupfloch - für Hendrik Pfeiffer ein Unding: „Das ist finde ich ein absoluter Skandal und kann so nicht sein.“
Der Leichtathletik-Weltverband hat auf eine Nachfrage diesbezüglich nicht geantwortet, der spanische Leichtathletikverband verweist auf die Nationale Anti Doping Agentur CELAD. Die schreibt, dass die Gesetze mittlerweile angepasst wurden: „Der Fall von Abdelaziz Merzougui trat 2019 auf, bevor die aktuellen Gesetze in Kraft getreten sind.“
Tatsächlich hat es 2021 und 2023 Gesetzesreformen gegeben, um mögliche Schlupflöcher zu stopfen. Die Welt-Anti-Doping Agentur WADA schreibt dazu auf Anfrage: „Unserem Verständnis nach wurden die Umstände bezüglich des Blutpasses in der ehemaligen spanischen Gesetzgebung, basierend auf der Interpretation spanischer Gerichte, im neuen und aktuellen Gesetz korrigiert.“

Schon länger Kritik am spanischen Anti-Doping-Kampf

Anfang des Jahres klang das noch ganz anders. Da hatte die WADA der spanischen Anti-Doping Behörde Vertuschung von Fällen nachgewiesen und bemängelt, in die neue Rechtsprechung nicht eingebunden gewesen zu sein. Auch der Fall Merzougui scheint mit diesem Brandbrief der WADA aus dem Januar in Verbindung zu stehen. Die Unregelmäßigkeiten in seinem Blutpass wurden wenige Tage später veröffentlicht – mehr als vier Jahre, nachdem die auffälligen Werte gefunden wurden.
Um in Karlsbad am Start zu stehen, musste Merzougui schließlich eine Versicherung unterschreiben, derzeit nicht gedopt und gesperrt zu sein. Mehr habe er so kurzfristig nicht machen können, sagt Organisator Carlo Capalbo. Dem stimmt auch Sportrechtler Lambertz zu: „Aus Sicht des Veranstalters hat er alles richtig gemacht. Er hat sich informiert, von daher hätte er durchaus starten können.
„Die Lust am Laufen, die lasse ich mir davon nicht nehmen“, sagt Hendrik Pfeiffer. Aber es bleibe ein mulmiges Gefühl, gegen Sportler zu laufen, die wahrscheinlich nicht mit fairen Mitteln kämpfen.