Es war ein Heimspiel im Krönungssaal des Aachener Rathauses: "Als ich ein kleiner Junge war, wurde mein Vater, ein Polizist, jedes Jahr an Christi Himmelfahrt für den Schutz der Karlspreis-Zeremonie eingeteilt. Als ich damals mit meiner Mutter auf dem Marktplatz stand, hätte ich mir nie träumen lassen, einmal selbst Karlspreis-Träger zu sein."
65 Jahre nach Gründung des Preises bekam mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz ein Kind der Grenzregion zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden - und einst Bürgermeister der kleinen Nachbarstadt Würselen - die prestigereiche Auszeichnung. Schulz sei ein herausragender Vordenker, der maßgeblich zur Stärkung des Europäischen Parlaments und zur Belebung der Demokratie beigetragen habe, hieß es in der Begründung. Es sei Schulz zu verdanken, dass es bei der letzten Europawahl eine europaweite Spitzenkandidatur gab und dass das Wahlergebnis anschließend auch in die Besetzung der Positionen einfloss. Doch angesichts der aktuellen Ratlosigkeit auf dem Kontinent bei der Finanz- und Schuldenkrise, der Herausforderungen in der Flüchtlingsthematik oder der Verteidigungspolitik, fand der frischgebackene Preisträger mahnende Worte:
"Es gibt keine Ewigkeitsgarantie für die Art, wie wir leben. Deshalb ist es gefährlich, die EU als alternativlos zu betrachten. Natürlich gibt es Alternativen zur EU und wir müssen diese Alternativen benennen. Die Alternative zur EU lautet: Renationalisierung. Deshalb stehen wir vor der Frage: Wollen wir jeder für sich allein gestellt oder wollen wir gemeinsam unser Gesellschaftsmodell und unsere Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung verteidigen?"
Gauck mahnt gemeinsame Verteidigungspolitik an
Auch Bundespräsident Joachim Gauck warnte vor einer Rückkehr zu "konkurrierenden Nationalismen". Statt einer Laudatio auf Schulz hielt Gauck eher eine politische Rede, in der er - angesichts der Konflikte in Libyen, dem Irak, Syrien oder der Ukraine - eine gemeinsame Verteidigungspolitik Europas anmahnte:
"Die europäische Gemeinsamkeit muss sich in der Gefahr als handlungs- und verteidigungsfähig erweisen. Zumal die Gefahr im Falle des Terrorismus häufig von innen und von außen gleichzeitig kommt."
In der Flüchtlingsfrage fand Gauck klare Worte: Solange es in Europa keine einvernehmliche Lösung im Umgang mit den Flüchtlingen gebe, müssten die nationalen Regierungen umso stärker aktiv werden, so der Bundespräsident. Es gehe darum, Menschenleben zu retten.
Nach Gauck würdigte Frankreichs Staatspräsident Francois Hollande Schulz als einen unermüdlichen Arbeiter, der mit großer Geduld den europäischen Prozess voranbrachte. Jordaniens König Abdullah II. betonte, dass Europa auch im Nahost-Konflikt eine entscheidende Rolle spiele. Es sind also große Aufgaben für Europa, denen sich der 59-jährige Schulz weiterhin verpflichtet fühlt. Als Träger des Internationalen Karlspreis zu Aachen steht er zwar nun in einer Reihe mit Persönlichkeiten wie Angela Merkel, Helmut Kohl, Francois Mitterrand oder Papst Johannes Paul II. Sein Eintreten für Europa wird jedoch weitergehen:
"Wir haben gemeinsam so viel erreicht: Feinde wurden zu Freunden, Diktaturen zu Demokratien, Grenzen wurden geöffnet, der größte und der reichste Binnenmarkt der Welt geschaffen. Wir haben Menschenrechte und Pressefreiheit. Aber keine Todesstrafe und Kinderarbeit. Warum sind wir darauf nicht stolz?"