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Karma-Kapitalismus
Fromm wie ein Turnschuh

Im Hinduismus und Buddhismus ist Karma untrennbar mit dem Kreislauf der Wiedergeburten verbunden. Doch nun wird "Karma" immer mehr zur Marke. Die Wirtschaft hat sich das Karma-Konzept zu eigen gemacht. Firmen wollen die Welt verbessern, Kunden wollen gutes Karma kaufen.

Von Anna Marie Goretzki |
    Karma Chakhs (heute Karma Classics) von Van Bo Le-Mentzel
    Die "Karma Chakhs" (heute Karma Classics) des Designers Van Bo Le-Mentzel (Van Bo Le-Mentzel)
    "Hallo ihr Lieben! Wir sind das Karma-Classics-Team Jakob, Amira, Nona, und ich bin Shai. Wir haben mit euch gemeinsam bisher die Karma-Classics prosumiert. Einmal die hohe Variante und ganz neu die Summer Edition und wollen jetzt gemeinsam mit euch den nächsten Schritt gehen. Warum machen wir das alles? Weil wir selber Dinge tragen wollen, die fesch sind, wie wir in Österreich sagen, und die gutes Karma bringen."
    Im Youtube-Video werben die vier Jungunternehmer für ihr neues Karma-Bag. Sie sind genossenschaftlich organisiert. Ihr Unternehmen heißt Karma Ventures. Mit Hilfe der Crowd – also Unterstützern im Internet – soll ein Rucksack gestaltet und finanziert werden.
    Crowdfunding für gutes Karma
    "Wir brauchen noch 496 Menschen von euch da draußen, die Lust haben, diesen Rucksack gemeinsam mit uns zu prosumieren, also zu produzieren und zu konsumieren. Und die drei Besonderheiten des Rucksacks: Er ist GOT-zertifziert, wird fairtrade produziert und wird mit natürlichem Bienenwachs imprägniert."
    Der Kauf eines Karma-Bag oder des Turnschuhs Karma-Classic soll gutes Karma bringen, sagt Amira Jehia von Karma Ventures in Berlin:
    "Wir geben etwas zurück - darüber, dass wir uns Gedanken darüber machen, dass das Bio-Baumwolle ist, die wir verwenden, und dass wir Fairtrade-Produkte prosumieren. Das heißt, wir zahlen für jedes einzelne Paar, was wir prosumieren, in jedem einzelnen Produktionsschritt 15 Prozent extra - und diese 15 Prozent werden von den Produzenten in den Herstellungsländern, das ist bei unseren Schuhen Pakistan, in soziale Projekte investiert. Das heißt wir nehmen die Baumwolle, die sie ernten, stecken sie in unseren Schuh, geben aber über die Prämie auch einen Teil des Geldes und des Wohlstands, den wir haben, zurück, damit sie selber etwas aufbauen können in ihren Ländern. Und das verstehen wir unter Karma."
    Die Jungunternehmer wollen "gutes Karma für jeden Menschen ermöglichen". Mit einem Schuh- oder Rucksackkauf Gutes tun? Karma und Konsum? Die Süddeutsche Zeitung schreibt:
    "Karma spielt eine zentrale Rolle in mindestens drei großen Weltreligionen, nämlich im Buddhismus, Hinduismus und im Kapitalismus."
    Karma als Marketing-Konzept
    Karma – immer öfter taucht dieses eigentlich spirituelle Konzept im Namen von Unternehmen oder deren Produkten auf. Nur ein paar Beispiele: Die schweizerische Supermarktkette Coop nennt ihre vegetarischen Produkte "Coop Karma". Eine österreichische Firma für Photovoltaik und Erneuerbare Energien heißt Karma Werte GmbH. Der dänische Sportartikelhersteller Hummel, der unter anderem die dänische Fußballnationalmannschaft sponsert, wirbt mit seiner Unternehmensstrategie "Company Karma". Auf der Homepage von Hummel heißt es:
    "'Company Karma' steht für unser weltweites Engagement hinsichtlich verantwortungsbewusster Geschäftspraktiken und für die Art und Weise, wie wir mit Menschen und der Umwelt interagieren."
    "Karma police
    I've given all I can
    It's not enough
    I've given all I can
    But we're still on the payroll."
    Der Karma-Begriff ist heute überall zu finden: in Texten der Populärmusik, in Spielfilmen und in der Unterhaltungsliteratur. Er hat Einzug gehalten in die Alltagssprache. In der Wirtschaft kann er für vieles stehen: für Nachhaltigkeit, soziales Engagement von Firmen, faire Arbeitsbedingungen, gerechte Löhne, umweltfreundliche Produktion, umweltfreundliche Verpackung, ökologische Anbauweise von Produkten oder Verzicht auf Kinderarbeit und giftige Inhaltsstoffe.
    Karma-Vorstellungen im Hinduismus und Buddhismus
    Eigentlich kommt der Begriff Karma aus dem Sanskrit und bedeutet 'Tun' oder 'Handeln'. Der Hinduismus, der Buddhismus und auch die in Indien beheimatete Asketen-Religion des Jainismus lehren Karma-Vorstellungen. Die Grundidee von Karma ähnelt sich in diesen indischen Religionen, so die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller. Ihr Schwerpunkt liegt auf Hindu-Religionen:
    "Entstanden ist sie vermutlich aus der Angst der Verstorbenen, im Jenseits einen Wiedertod erleiden zu müssen."
    Daraus entwickelte sich, so Heller, die Vorstellung von der Wiedergeburt - und zwar im Laufe des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung. Sie sei verknüpft worden mit einer ethischen Idee: Jede Tat hat Folgen.
    "Also, wer gut handelt, erfährt eine gute Wiedergeburt, wer schlecht handelt, eine schlechte."
    Sowohl im Buddhismus wie auch im Hinduismus gibt es die Vorstellung von einem Kreislauf der Geburten, von samsara. Ein Kreislauf aus Leben, Tod und Wiedergeburt. Buddhisten und Hindus kennen verschiedene Welten, in denen eine Wiedergeburt möglich ist. Im Buddhismus sind es mindestens fünf: die Höllenwelt, die Tierwelt, das Reich der Geister, die Menschenwelt sowie das Götterreich. Das Karma oder auch kamma, also das Tun im vorherigen Leben, bestimmt, wie wir im nächsten Leben leben in einer dieser Welten. Die unterschiedlichen Existenzformen unterscheiden sich stark voneinander. So ist es nur in der Menschenwelt möglich, gemäß der Lehre Buddhas zu leben beziehungsweise Karma zu produzieren.
    In der Majjhima-Nikaya, der "Sammlung der mittellangen Abhandlungen", die zu den Lehrreden Buddhas zählen, heißt es:
    "Besitzer ihres Tuns sind die Wesen, Erben ihres Tuns, aus ihrem Tun gehen sie hervor, mit ihrem Tun sind sie verwandt, ihr Tun haben sie nach dem Tode als Zuflucht. Das Tun ist es, das die Wesen aufteilt in niedrigstehende und höhere."
    Auch wenn die spirituellen Karma-Konzepte im Hinduismus und Buddhismus sich ähneln, wer genauer hinschaut, findet auch Unterschiede, sagt Religionswissenschaftlerin Birgit Heller:
    "Die Befreiung aus dem Geburtenkreislauf, die kann man nicht über gutes Karma erreichen, sondern nur über Erkenntnis und/oder die Möglichkeit, sich persönlich an eine Gottheit hinzugeben. Das wäre für die hinduistischen Traditionen wichtig. In den buddhistischen Traditionen kommt noch hinzu, dass grundsätzlich das Handeln heilsam sein muss. Also das gute Karma ist ein heilsames Handeln, das ein bestimmtes moralisches Verhalten impliziert, eine meditative Praxis. Das führt lediglich jedoch nur in einen guten Existenzbereich und letztlich nicht zur Befreiung. Aber ermöglicht bessere Rahmenbedingungen."
    Karma-Konzepte als Selbstbedienungsladen
    Die Verantwortung des Einzelnen wird betont, sagt auch Nadia Wyder, seit rund 20 Jahren praktizierende Buddhistin und Sprecherin der buddhistischen Zentren des Diamantweg-Buddhismus in Berlin:
    "Das heißt, über das, was wir denken, über das, was wir sagen und über das, was wir tun, legen wir bestimmte Eindrücke in unser Speicherbewusstsein. Und dann, wenn bestimmte Bedingungen zusammen kommen, wird das Karma reif und wir erleben eine bestimmte Situation als angenehm oder eben auch unangenehm. Und das bedeutet aber, dass man im Buddhismus bei der Eigenverantwortung beginnt."
    Anders im Hinduismus. Dort ist Karma verantwortlich für, wie der Indologe Axel Michaels schreibt, die "schicksalhaft wiederholte Tatvergeltung":
    "Die Karma-Lehre ist sowohl Theodizee, Erklärung des leidhaften und ungerechten Diesseits als Folgen früherer Taten, als auch Eschatologie, eine Lehre von der Befreiung. Beide Lehren gehören aber nicht in jedem Fall zusammen, und daneben existieren zahlreiche andere Erklärungen für Schicksal. Die verbreitete Vorstellung, dass in Indien Schicksal deterministisch und fatalistisch gedacht werde, ist daher falsch."
    Im Karma-Kapitalismus – so scheint es – hat man sich ein bisschen an den spirituellen Karma-Konzepten beider großer Weltreligionen bedient. Eine klare Definition davon, was Karma in der Wirtschaftswelt meint, sucht man vergebens. Vor allem das Prinzip von Ursache und Wirkung ist populär. Für Karma-Kapitalisten ist dieser Zusammenhang von Ursache und Wirkung allerdings viel direkter als für Buddhisten.
    Wie ernten, wie wir säen
    "Der Begriff Karma ist für mich stellvertretend für ein Ursache-Wirkungs-Prinzip. In der Bibel steht ja schon: So wie wir säen, werden wir ernten. Also im Prinzip, so wie wir agieren als Ökonomen, so werden wir auch die Früchte einfahren. Also auch jedes Produkt hat ein in sich inkludiertes Karma, also alle Handlungen, die ausgeführt wurden, damit das Produkt bei uns hier im Laden liegt. Und das ist natürlich noch einmal eine andere Perspektive rückwirkend als Konsument zu schauen: Ja, wer hat denn an diesem Produkt mitgearbeitet? Was sind da für Inhaltsstoffe drin, wie haben Mensch und Natur darunter gelitten, dass dieses Produkt hergestellt wurde?"
    Fragt Christoph Harrach. Er ist Betriebswirt, Yogalehrer und Initiator des Blogs "www.karmakonsum.de". Er bloggt zu Themen wie Nachhaltigkeit, Ökologie oder Spiritualität in der Ökonomie. Er will seine Leser animieren, bewusster zu konsumieren beziehungsweise als Unternehmer achtsamer zu produzieren. Die Idee zu seinem Blog kam ihm bei einer Konferenz in Hamburg über "Karma-Kapitalismus". Einer der Redner war der Ökonom Muhammad Yunus, Vertreter des Karma-Kapitalismus und 2006 ausgezeichnet mit dem Friedensnobelpreis wegen seiner Mikrokredite für Arme in Bangladesch.
    Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus in Köln am Rande des Evangelischen Kirchentages (08.06.2007) während einer Pressekonferenz. (Foto: Federico Gambarini / dpa)
    Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus - der Kämpfer für Mikrokredite. Auch eine Form von Karma-Kapitalismus? (dpa / Federico Gambarini)
    Christoph Harrach: "Und ich habe mir damals gedacht: Ja, es gibt diesen Karma-Kapitalismus, Unternehmen berücksichtigen das Karma-Prinzip beim Wirtschaften, und eine Stellgröße im Wirtschaftssystem ist der Konsum. Und so kam bei mir diese Wortschöpfung Karma-Konsum, weil man natürlich als Konsument alltäglich handelt, das ist eine Alltagspraxis und die kann ich, wenn ich die Karma-Theorie verstanden, habe und praktiziere, in meinen Alltag integrieren."
    Spiritualität in den Alltag einbeziehen. Harrach ist überzeugt: Um Spiritualität werden Unternehmen oder Organisationen in Zukunft nicht herumkommen, wenn sie Kunden behalten oder gewinnen wollen. Denn wer als Karma-Konsument lebt, will nicht länger "schlechtes Karma" für den eigenen Konsum in Kauf nehmen. Im Gegenteil: Er will möglichst "gutes Karma" produzieren. Die offizielle Hymne von "karmakonsum.de" garniert diesen Gedanken mit eingängigen Hip-Hop-Beats.
    Im "KarmaKonsum Rap" heißt es:
    "Die Welt soll in eine bessere Richtung laufen
    Deshalb geben wir unser Geld auch nur sinnvoll aus
    Denn wir sind Karmakonsumenten – eine neue Weltmacht
    Und wollen einfach wissen wer mit uns sein Geld macht
    Nutzen wirtschaftliche Kraft, um was zu verändern
    Unser Geld hat die Macht und bringt jetzt die Wende
    Glauben nicht der Politik, sondern machen welche
    Und zwar jedes Mal jeden Tag an der Ladentheke
    Ökofair und ethisch wollen wir als Leistung haben
    Und nur so befüllen wir uns unseren Einkaufswagen
    Wollen weder Essen mit Gift noch Kleidung mit Blut
    Ihr könnt machen was ihr wollt doch die Zeiten sind um
    Karmakonsum – Do good with your money.
    Tu gutes und merk wie gut es sich anfühlt
    Wir wissen wir beschreiten den richtigen Weg
    Denn wir werden das ernten was wir jetzt säen"
    Birgit Heller: "Der Versuch an das Prinzip der Nachhaltigkeit anzuknüpfen, nämlich zu sehen, dass in einer globalen, vernetzten Welt eben jede Handlung wieder zurückfällt auch auf die, die sie verursachen - das ist natürlich sehr naheliegend oder auch sehr verführerisch, das mit dem Karma-Begriff in Verbindung zu bringen. Das Problem, das damit verbunden ist, ist, dass eigentlich in der ursprünglichen Karma-Idee die Erlösung nichts Innerweltliches ist, sondern eigentlich im Ausbruch aus diesem Geburtenkreislauf besteht."
    Spiritueller Mehrwert vs. Raubtierkapitalismus
    Und doch beobachtet die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller so etwas wie ein Heilsziel, das mit der Karma-Ökonomie verknüpft zu sein scheint - ein Heilsziel, das über unsere heute erlebbare Welt hinausweist:
    "Wenn man sich das durchliest in diversen Internet-Seiten, dann ist da die Rede von Sinnstiftung, von sozialer und ökologischer Verantwortung, dann heißt es beispielsweise eben, dass der Kunde nicht nur verführt werden will, sondern auch erlöst werden will. Man höre! Dass Konsumenten einen spirituellen Mehrwert erwarten. Und dass die Unternehmen die Probleme der Welt lösen sollen. Also unglaubliche Anforderungen, Herausforderungen, die hier auch benannt werden. Man möchte sich abgrenzen von einem sogenannten Raubtierkapitalismus."
    "Glaubensbekenntnis Speakout Van Bo Le-Mentzel":
    "Für ein Land, das mit einem Hyper-Sozial-Flow rockt.
    Und nicht für ein krankes Bruttosozial-Product.
    Überüber. Überlistung. Und Überfischung.
    Was sollen wir mit Milliarden Lachs tun?
    Nach 200 Jahren Wachstum.
    Lass uns doch mal den Dax ruhn.
    Ich glaub' an all diejenigen, die Gier erklären als misslich.
    Ich glaub' an all die predigen, dass Wir mehr wert als Ich ist."
    Der Architekt Van Bo Le-Mentzel hat sein persönliches Glaubensbekenntnis auf Youtube hochgeladen. Vor Berlin-Kulisse rappt er seine Überzeugungen ins Mikrofon.
    "Ich bin Karma-Ökonom, das heißt mein gesamtes ökonomisches Wirken setze ich ein, um das Karma in der Welt anzuheben. Ich setze halt da an, dass ich gerne Produkte entwickeln möchte oder Dienstleistungen jetzt, die aber jetzt nicht unbedingt Umsatz machen oder Rendite machen, sondern einfach gutes Karma machen. Das heißt, ich muss ein gutes Gefühl haben, du musst ein gutes Gefühl haben, meine Nachbarn, meine Familie, die Umwelt, die Natur und dann habe ich alles erreicht."
    Architekt Van Bo Le-Mentzel erläutert am 10.03.2017 in Berlin bei einem Pressetermin auf dem Gelände des Bauhaus-Archivs seine Idee der sogenannten "100 Euro"-Wohnung.
    Architekt Van Bo Le-Mentzel erläutert seine Idee der sogenannten "100 Euro"-Wohnung. (dpa / picture alliance)
    Das neueste Karma-Projekt von Van Bo Le-Mentzel heißt "Tiny100". Ein fahrbares Mini-Haus, das er entworfen hat als Antwort auf steigende Mietpreise und knapper werdenden Wohnraum in Berlin. Le-Mentzel brachte 2012 auch eine erste Turnschuh-Edition auf den Markt – die Karma Classics, damals hießen sie noch Karma Chakhs. Davor entwarf er eine Möbelkollektion. Die Baupläne stellte er umsonst ins Netz, damit sie jeder für wenig Geld nachbauen kann. Er nannte diese Möbel "Hartz4-Möbel". Das Motto: "Konstruieren statt konsumieren". Inspiriert zu karmischen Unternehmungen hat ihn auch seine aus Laos stammende Mutter, eine buddhistische Nonne. Vom spirituellen Kern des Karma-Gedankens grenzt sich der 40-Jährige aber deutlich ab:
    "Nee, mir geht's einfach darum, dass wir uns Gedanken darüber machen, wie wir einfach sinnvoll mit unserer eigenen Lebenszeit und mit den Ressourcen unserer Umwelt umgehen. Und möglichst so, dass wir alle noch in den Spiegel schauen können und unsere Enkel irgendwie eine Welt vorfinden, die gesund ist."
    Aber – hat "richtiger Konsum" überhaupt Einfluss aufs Karma im buddhistischen oder hinduistischen Sinn? Ja, sagt Religionswissenschaftlerin Birgit Heller. Fairness und Verzicht könnten die Chance erhöhen, aus dem Kreislauf der Wiedergeburten auszubrechen. Das allein würde aber nicht ausreichen, um Befreiung zu erlangen:
    "Denn nach buddhistischer Auffassung ist im menschlichen Leben ein Handeln, das gänzlich frei ist von Gier, von Hass, von Illusion, von Verblendung, eigentlich nicht wirklich denkbar. Das ist in jeder Wirtschaftsform in mehr oder weniger starker Form vorhanden. Es ist die Frage des Ausmaßes des schädigenden Handelns."
    Geht es nach den indischen Religionen, lässt sich das Leid nicht aus der Welt schaffen – selbst wenn Menschen verantwortungsvoll handeln, meint Birgit Heller.
    Moderner Ablasshandel
    Auch Kathrin Hartmann findet karma-kapitalistisches Denken fragwürdig. In ihrem Buch "Das Ende der Märchenstunde" schreibt sie über Konsumtrends und deckt Ethik-Lügen auf. Die Karma-Ökonomie ist für Hartmann so eine Lüge. "Gutes Wirtschaften" oder "gutes Konsumieren" mit dem Schlagwort Karma zu belegen - für die Journalistin ist das nichts als moderner Ablasshandel. Wer glaubt, beim "richtigen Unternehmen" gutes Karma bestellen zu können, versuche lediglich sein Gewissen zu beruhigen. Sie lehnt es ab, ökonomisches Handeln spirituell aufzuladen:
    "Indem sich die Wirtschaft jetzt nicht mehr einfach nur grün gibt, nachhaltig gibt, sondern sich jetzt auch noch dazu aufschwingt, etwas Quasi-Religiöses zu liefern, bringt sie sich natürlich aus der Schusslinie von Protest und von politischer Regulierung. Deswegen passt diese Überhöhung, diese esoterische, ja, spirituelle Überhöhung eigentlich ganz gut ins Konzept, wenn man den Konsum, dieses Simple des Konsumierens, jetzt auch noch so zu verbrämen, als würde das wirklich etwas Spirituelles sein."
    Aber was sagen Buddhisten dazu, dass der Karma-Begriff für eine irdische Wirtschaftsidee verwendet wird? Wird er so profaniert?
    Nadia Wyder: "Ganz ehrlich gestanden haben wir da keine große Moral. Also wenn die Leute das irgendwie verwenden und damit irgendwas Gutes verbinden und die Motivationslage vielleicht gemischt ist, aber der Hintergrund eine gute Motivation ist, dann ist das völlig in Ordnung."
    Die Religionswissenschaftlerin Birgit Heller sieht das anders:
    "Wenn man diese Form des Wirtschaftshandeln als mehr oder weniger Erlösungsprogramm verkaufen möchte, da würden Buddhisten und Hindus nicht mehr mitmachen und sagen: Das führt zu weit, weil das zu kurz gegriffen ist. Die Erlösungsidee, die damit verknüpft ist, die würden sie ablehnen."
    Die Welt im Kleinen verändern
    Dem Team von Karma Ventures geht es weniger um Erlösung, als vielmehr darum, die Welt im Kleinen zu verändern, betont Shai Hoffmann:
    "Das Wirtschaftssystem oder der Kapitalismus, wie er jetzt funktioniert, die werden wir mit den Karma-Classics und mit dem Karma-Bag nicht ändern können. Aber wir können die Menschen dazu bringen, mal kurz inne zu halten und zu überlegen, was willst du heute machen, damit du mit einem guten Gefühl in die Welt läufst, aber eben auch für spätere Generationen Dich bewusst entscheidest, heute Gutes zu tun."
    Amira Jehia ergänzt: "Wie veränderst Du denn Systeme? Doch nicht, indem du es schaffst, 80 Millionen Menschen in Deutschland an einem Tag dazu zu kriegen, zu sagen, wir wollen den Kapitalismus nicht und wir schaffen den jetzt ab und führen eine neue Währung ein. Sondern du schaffst es über Mikro-Bewegungen. Darüber, dass die Menschen immer mehr im Kleinen ihr Leben verändern, bewusstere und andere Entscheidungen treffen und darüber eine Bewegung immer größer und immer größer wird und irgendwann eine wirkliche Veränderung herbeiführt. Und deswegen sehe ich uns schon als Teil einer größeren Bewegung von nachhaltigem Konsum, an dem sehr viele Menschen in Deutschland und der Welt arbeiten und jeder von uns trägt seinen Teil dazu bei, dass diese Bewegung größer wird und irgendwann vielleicht doch einen Systemwechsel hervorbringt."
    Karma-Unternehmer und -Konsumenten wollen mit möglichst gutem Karma die diesseitige Welt erhalten und lebenswert gestalten. Überzeugte Buddhisten und Hinduisten wollen in einem nächsten Leben zu einer besseren Existenzform gelangen – und letztlich die diesseitige Welt durch Ausbruch aus dem Geburtenkreislauf ganz verlassen.