Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat erklärt, er könne sich Karneval in diesem Winter nicht vorstellen - eine Institution, die für viele Spaß und Lebensfreude bedeutet, über die manche ratlos den Kopf schütteln, die aber ohne Frage auch für viele Basis der wirtschaftlichen Existenz ist. Der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) hielte eine Absage der kommenden Fastnacht für falsch. Brauchtumspflege müsse auch in Coronazeiten möglich sein, erläutert er im Deutschlandfunk.
Sandra Schulz: Herr Ebling, wo werden Sie sein am 11.11. um 11:11 Uhr?
Michael Ebling: Ganz sicher dort, wo ich immer am 11.11. um 11:11 Uhr bin, nämlich bei der Fastnachtsproklamation, die wird stattfinden. Wir wissen auch: 8.000 Menschen auf dem Schillerplatz in Mainz, dicht gedrängt, das wird es ganz sicher nicht geben, nicht geben können. Aber wir müssen auch Fastnacht in Möglichkeiten kleiden wie andere Dinge auch. Ich höre nur noch: absagen, absagen, absagen - langsam kriegen die Menschen ja den Koller. Und die Kollateralschäden der Pandemie scheinen ja fast noch größer zu werden als die Pandemie selbst. Insoweit finde ich, ist es schon die Aufgabe, sich hinzusetzen und zu überlegen: Was würde denn gehen? Und eine Proklamation, die kann man auch anders machen, die kann man kleiner machen, man kann sie auch virtueller machen und trotzdem dabei Menschen beteiligen. Das ist nicht so schön wie die Jahre zuvor – aber besser als zu sagen, das findet gar nicht statt.
"Die Dinge trotzdem machbar machen"
Schulz: Also Sie sind auf dem Schillerplatz - und wer sorgt dann für die nötigen Abstände?
Ebling: Wir werden sicherlich noch zu bereden haben, wie viele Menschen im Freien möglich sind. Das ist ja nicht ungewöhnlich, es gibt ja auch schon Konzerte im Freien, in Mainz machen wir das den ganzen Sommer über. Da gibt es auch eingespielte Möglichkeiten, sowohl Zugänge zu regeln, Nachverfolgung zu ermöglichen und anderes mehr. Es geht darum, die Dinge trotzdem auch machbar zu machen, möglich zu machen – unter den Vorzeichen, die gelten. Sicherlich nicht schunkeln an Fastnacht, nicht mit vielen Menschen in einem Saal. Im Moment können wir uns auch nicht vorstellen, dass ein Rosenmontagszug mit 500.000 Besucherinnen und Besuchern in der Stadt stattfindet. Aber Fastnacht kann man nicht absagen, Fastnacht ist Brauchtum, Fastnacht steht in jedem Kalender, ich kann es nicht einfach rausstreichen – genauso wenig wie Weihnachten oder den Muttertag nächstes Jahr.
Schulz: Wir sind bei den Begrifflichkeiten natürlich genau: Wir haben eine Debatte über Karneval, der heißt bei Ihnen ja Fastnacht, obwohl Sie darüber als Mainzer vielleicht auch schon wieder empört sind. Ihre Aussage steht ja: Fastnacht soll stattfinden. Die Frage ist ja, wie?
Ebling: Genau, das ist eine wirklich entscheidende Frage, aber ich finde, sie ist auch eine Frage von Zuversicht. Absagen, das kann ja jeder machen, das mussten ja auch schon viele, auch in unserer Stadt. Das verstehen wir auch, das machen wir auch mit der gleichen Einsicht, mit der auch die Menschen draußen Mund-Nasenbedeckung tragen oder eben Abstand halten. Und dennoch, es gab auch früher schon - da hieß es: es wackelt der Dom - Open-Air-Sitzungen im Freien. Und so etwas kann auch nächstes Jahr vielleicht wieder ein Revival haben. Dann würden wir im Freien sitzen, könnten Abstände gewährleisten und könnten trotzdem auch Frohsinn und Zerstreuung verbreiten. Fastnacht ist auch ein Fest, das hat schon in viel schlimmeren Zeiten stattgefunden, wenn ich so jetzt nicht persönlich, aber von den alten Garden her so an die Zeit denke, nach dem Krieg, die Stadt ist zerstört, da war Fastnacht immer ein Zeichen von Hoffnung, von Zuversicht. Der Mensch braucht auch Zerstreuung, wir leben nicht nur von rationalen Ansagen jeden Tag, was wir alles beachten müssen.
"Es wird sicherlich ein anderer Charakter sein"
Schulz: Was es aber noch nicht gegeben hat, ist, dass es so wegfällt, dieses Beisammensein, dieses Schunkeln, dieses Singen, also alles, was jetzt in Coronazeiten besonders gefährlich ist. Sind das nicht auch Charakteristika des Karnevals oder der Fastnacht? Ist es überhaupt noch Fastnacht, wenn jetzt auf dem Schillerplatz, von dem Sie sprechen, wenn da vielleicht 100 Leute stehen?
Ebling: Ich weiß nicht, es wird anders sein, so wie vieles auch anders ist. Sind es noch Gottesdienste, wenn ich in einer Kirche bin und nicht mehr singen kann? Ich weiß es nicht, aber es ist trotzdem ein Angebot da und es ist vielleicht die Möglichkeit, und ich finde, das ist ein Stück weit auch unser Auftrag, in der Verantwortung, in der wir unterschiedlich stehen, zu überlegen: Wie können wir unter Corona-Bedingungen es in Möglichkeiten kleiden? Und ja, es wird sicherlich ein anderer Charakter sein, es ist vielleicht ein Unterschied, aber wir haben auch schon einen wunderbaren Singkreis die letzten Wochen erlebt, der war als Videoplattform. Und ja, in der Tat, da habe ich dann halt zu Hause gesessen und habe gesungen. Man mag es albern finden, man mag es lustig finden, aber wie auch immer: Entscheidend ist, dass wir auch solche Möglichkeiten machen. Brauchtumspflege muss auch in Coronazeiten möglich sein, das ist ein wichtiger Identifikationspunkt für die Menschen.
Rosenmontagszug vielleicht virtuell
Schulz: Sie haben ja auch schon gesagt, dass im Prinzip an allen wichtigen Formaten festgehalten werden soll, also auch am Rosenmontagszug. Ist das wirklich vorstellbar, dann ja für alle praktischen Zwecke ohne Publikum?
Ebling: Nein, so wollte ich nicht verstanden werden, nach dem Motto, es muss etwas stattfinden. Wir wissen heute - mit der Kenntnis, die wir haben, haben wir eine große Sicherheit oder eine große Einsicht, dass eben ein Rosenmontagszug so nicht stattfinden kann. In welcher Form wir trotzdem an das Thema Fastnacht, Brauchtum, Rosenmontag damit auch erinnern können oder wir trotzdem vielleicht Formen finden, wie wir auch im öffentlichen Raum das begehen, ohne dass es um Menschenansammlungen oder Risikoerhöhung geht - das sind Aufgaben, die sich in Mainz auch die Vereine ganz bewusst gestellt haben. Deswegen haben wir schon vor ein paar Wochen das Signal gesendet, dass wir Fastnacht ganz sicher nicht absagen werden.
Schulz: Aber sagen Sie doch mal konkreter, wie das dann aussehen könnte, ein Rosenmontagszug dann virtuell?
Ebling: Vielleicht ist es ein Rosenmontagszug, so wie es einen Gutenberg-Marathon, der in Mainz auch nicht stattfinden konnte, immerhin virtuell gab, wo für einen guten Zweck Menschen mitgemacht haben, und am Ende sogar noch ein stattliches Sümmchen für eine Initiative herausgekommen ist. Allemal schöner als zu sagen, Schulterzucken, geht alles nicht, findet in Coronazeiten nicht statt. Absagen, das kann ja jeder machen.
"Natürlich geht Fastnacht ohne Alkohol"
Schulz: Es gab vor Corona ja auch schon immer mal viel Kritik an Karneval wegen des massiven Alkoholkonsums, der ja die närrischen Tage auch begleitet. Ist schon klar, dass das in diesem Jahr nicht gehen wird, dass da ein Alkoholverbot her muss?
Ebling: Es ist die Frage, welche Veranstaltung wir überhaupt ermöglichen können. Es gibt ja auch in unserem Land die Vorschriften, Corona-Bekämpfungsverordnung, was ist draußen möglich, mit wie vielen Menschen kann man sich überhaupt draußen aufhalten, was sind die Voraussetzungen dafür, die sind ja von Bundesland zu Bundesland, glaube ich, ja auch recht unterschiedlich. Insofern, glaube ich, würde heute niemand eine Aussage treffen können, was geht alles tatsächlich im Januar, im Februar 2021. Aber ich glaube, wir sind gut beraten, nicht so zu planen, als würde es gehen wie die Jahre zuvor. Es wird anders sein, es wird eingeschränkter sein, es gibt viel mehr Dinge zu beachten. Ob wir Alkoholverbote aussprechen oder Ähnliches, das weiß ich im August 2020 noch gar nicht.
Schulz: Geht das denn, Fastnacht ohne Alkohol?
Ebling: Natürlich geht Fastnacht ohne Alkohol! Ich würde Sie gerne mal einladen nach Mainz auf eine wunderbare Sitzung, wenn es denn wieder möglich ist, 2021 hätte ich da ein bisschen Zweifel. Und Sie werden viel Freude haben, den Frohsinn auch zu erleben, das ist ansteckend, dazu brauchen Sie kein Alkohol. Aber ein Gläschen Wein, das geht bei uns schon fast als nicht alkoholisch durch.
"Eine Vollbremsung hat Wirkung weit in die Gesellschaft hinein"
Schulz: Okay, vielen Dank für die Einladung. Ich behalte es mir vor, ohne mich an dieser Stelle jetzt hier festlegen zu wollen. Es gibt auch Stimmen, es gibt Landstriche in Deutschland, in denen man etwas rätselnd, kopfschüttelnd vor diesem Phänomen Karneval, Fastnacht steht, wo man vielleicht auch fragt, was wäre daran so schlimm, das in diesem Jahr mal ausfallen zu lassen. Was antworten Sie darauf?
Ebling: Dass dieses Land zum Glück auch viele kulturelle Eigenarten und Vielfalt hat, es gibt auch Dinge, die sich mir vielleicht als Mensch, der am Rhein lebt, nicht auf Anhieb erschließen. Manches im bayerischen Brauchtum oder manches Schützenfest ist jetzt auch nicht so, dass es sich mir direkt auf Anhieb erschließt. Und das muss es auch nicht, wir leben unsere Art des Lebens so, wie wir es gerne mögen. Und Fastnacht ist ein Teil unserer Kultur, es begeistert viele Millionen auch in Deutschland, es begeistert vor Ort Tausende, die sich aktiv darin engagieren, die sich überlegen, was kann ich zeigen, was kann ich machen. Und das zu bremsen im Sinne einer Vollbremsung hat eben auch Wirkung weit in die Gesellschaft und in den gesellschaftlichen Zusammenhalt hinein. Deshalb bleibe ich ein bisschen stoisch, ich finde, man muss natürlich sehr gut überlegen, was geht und wie es geht, aber einfach zu sagen: Stopp, alles das, was ihr die vielen Jahre zuvor gemacht habt, das wird es alles nicht geben. Warum muss das so sein? Vielleicht wird es andere Formen geben. Vielleicht wird es sicherlich nicht die Möglichkeit geben, eben sich draußen mit Hunderttausenden zu treffen. Aber vielleicht wird es die Möglichkeit geben, sich draußen mit Hunderten zu treffen unter den entsprechenden Bedingungen und trotzdem eine schöne Zeit zu erleben.
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