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Karnevalsstück
Die fünfte Jahreszeit

Rainald Grebe ist ein vielseitiger Bühnenmensch. Sein Stück "Die fünfte Jahreszeit" ist ein Karnevalsprogramm mitten in der Fastenzeit. Es soll eine Art Erklärabend für Menschen sein, denen Kölner Karneval nichts sagt.

Regisseur Rainald Grebe im Corso-Gespräch mit Peter Backof |
    Peter Backof: Schönen Guten Tag, Herr Grebe. Wir sprechen über "Die fünfte Jahreszeit", wo mich zunächst einmal die Terminierung irritiert. Die fünfte Jahreszeit, mitten im Frühling?
    Rainald Grebe: Ja, das Wort gibt´s doch irgendwo, oder? Fünfte Jahreszeit. Wir sind ja eine Katerveranstaltung: Wir kommen nach Aschermittwoch raus und behandeln ein Thema, was vor Aschermittwoch stattgefunden hat.
    Backof: Ist die Terminierung Zufall oder Absicht?
    Grebe: Es ist volles Kalkül. Klar, wenn man sagt, man macht ein Stück über Karneval in der Karnevalszeit, das passt überhaupt nicht und die Idee, dass man sagt, man rollt das Ding von hinten auf, wenn es vorbei ist, war ziemlich früh. Und dann haben wir den Termin so gesetzt.
    Backof: Jetzt lese ich in der Ankündigung zu dem Stück, mit einem bisschen Pathos eigentlich auch: Wo sind diese Helden von früher aus meiner Kölner Zeit, wo sind die Bläck Föös, Willy Millowitsch, wo sind die "Rievkooche", also Kartoffelpuffer auf Hochdeutsch, vor dem Hauptbahnhof geblieben? – Eine Auseinandersetzung mit Köln im speziellen?
    Grebe: Das stimmt, also das ist kein Stück, was es gibt vorher, sondern wir haben mit den Schauspielern zusammen viele Menschen besucht. Wir haben Begegnungen gehabt, haben Karneval durchgefeiert an verschiedenen Orten und die Aufgabe war, dass man aus diesen Begegnungen, natürlich auch mit dem, was man liest oder dazu fantasiert, einen Abend macht. Es ist also viel mit authentischem Material, was wir verwursten.
    Backof: Es gibt ja einige Karnevalshochburgen. Ist so etwas dann doch nur in Köln machbar?
    Grebe: Ich glaube, ja, aber das hängt auch damit zusammen: Ich habe eine spezielle Geschichte, ich bin glaube ich der einzige im Ensemble, der aus Köln kommt. Aber es nicht mehr kennt. Ich bin da geboren und am Stadtrand in Frechen aufgewachsen, also ich habe Kölner Karneval nie erlebt, ich war immer nur in der Kleinstadt unterwegs. Dann bin seit 20 Jahren weg und komme jetzt hier an dieses Haus wieder. Und erlebe das zum ersten Mal. Ich behandle ja auch dieses Thema, zurückzukommen, und bin immer noch auf dem Stand von ´89, habe ich so den Eindruck.
    Backof: Der Kölner Karneval: Es gibt dieses Hochoffizielle, der Straßenkarneval, die ganzen kabarettistischen Ansätze auf dem Rosenmontagszug. Aber das ist es ja eigentlich nicht, was die Kölner Karnevalsseele ist. Wenn man so richtig Schlange steht an der Kneipe, dann da rein geht, wo es vor lauter Entgrenztheit schon von der Decke tropft?
    Grebe: genau. Wir haben das alles miterlebt. Es gab die schlimmen Seiten oder die offiziellen oder die dumpfen Seiten. Und dann diesen geilen Kneipenkarneval. Als ich ankam, gab es so Sätze von Kölnern, die so ein bisschen Angst haben, dass da irgendetwas nur in den Dreck gezogen wird, dass wir etwas ganz Kritisches darüber machen. Und dann fiel so ein Satz wie "Karneval ist hier nicht verhandelbar" – Habe ich von zwei, drei Leuten gehört. Also, wie so ein Heiligtum, was man nicht kritisieren darf. Und das ist aber überhaupt nicht meine Art, es ist auch langweilig. Es geht wirklich um so einen Facettenreichtum, den wir selbst da erlebt haben.
    Backof: Über Karneval hinaus: Es gibt den Nikolaus, es gibt den Osterhasen und es gibt Halloween zum Beispiel. Die Menschen wollen feiern, das ganze Jahr möglichst hindurch. Ist dann vielleicht auch so ein kabarettistischer Schalk bei Ihnen mit drin, auch mit dieser Terminierung, weil sowieso alles immer konsumierbar und verfügbar ist?
    Grebe: Ja, das ist auch ein Thema. Halloween ist auch eh ein Thema an dem Abend, weil Halloween ist aus Karneval entstanden, ein Winkelzug der Geschichte. 1991 fiel der Rosenmontagszug aus wegen des Irakkriegs. Wir haben den Halloween-Erfinder quasi getroffen: Hat sich sozusagen die Fachgruppe der Kostüm- und Süßwarenindustrie einen Feiertag erfunden. Ich finde das unglaublich. Und es hat funktioniert. Nur deshalb, also wegen Saddam Hussein, gibt´s ja Halloween. Also das weiß irgendwie keiner. Das ist so erstaunlich, dass ein Brauchtum aus der Null einfach erfunden wird und die Leute nehmen es an.
    Backof: Irgendwo ist zu lesen, dass auch so ein Klientel deutscher Getränkehersteller da eifrig mitgemischt hätte. Und dass aber dann die Leute das dankbar annehmen, so als Vor-Karneval.
    Grebe: Ja, wir haben den Mann auch gefragt. Also es geht ja eigentlich darum, ganzjährig möglichst alles abzudecken, also gerade von der Industrie. Die haben natürlich ein Problem damit, dass sich Halloween deckt mit St. Martin oder mit anderen Dingen: Ob man das nicht woanders, was gibt´s noch für Feiertage, die man ausbauen kann? Die hatten das Problem Umsatzeinbußen wegen eines Krieges: Keine Schminke verkauft. Was machen wir denn da? Könnte ja noch mal passieren: so jetzt Krim-Krieg? Kein Karneval! Und deswegen haben die sich da irgendwas erfunden. Ich finde das hoch spannend, dass man sich ein Brauchtum erfindet, wo es immer um Tradition geht. Und dann kommt da so einer an oder eine Industrie und sagt: Wir brauchen ein Neues und schwuppdiwupp funktioniert es.
    Backof: Jetzt kann ich mir aber trotzdem die fünfte Jahreszeit noch nicht so richtig vorstellen. Sehe ich da eine Farce, eine Groteske, ein Nummernrevue aus einschlägigen Karnevalsklischees. Was ist es? Was ist es auch für ein Ensemble?
    Grebe: Also ich hoffe, keine Klischees. Wir haben ein sehr großes Ensemble, 25 Leute, die mitmachen, fünf Schauspieler und dann haben wir einen wunderbaren Chor von etwa 15 Leuten, die alle nicht aus Köln sind. Ganz bewusst, also das sind alles Immis oder von noch weiter her, also dass es immer um einen fremden, ethnologischen Blick auf Köln geht. Dass man es von außen betrachtet, von den Leuten, die hier die Sprache nicht sprechen und von außen dazu kommen. Also es ist sehr intensiv, wir sind noch mittendrin. Also ich habe, einen Tag vor der Premiere jetzt, noch ganz viel umgestellt. Das nimmt sich nicht aus, weil wir so knapp gearbeitet haben.
    Backof: Also ein Varieté, eine Revue?
    Grebe: Ich sage immer, es sind so Zeitrevuen, die ich mache. Also natürlich gibt es ein bestimmtes Grundsetting, das ist ein abgebauter Gürzenich, wenn man so will, also ein Gürzenich im Abbau.
    Backof: Gürzenich ist ein Traditionsveranstaltungssaal in Köln.
    Grebe: Genau, es könnte aber auch eine andere Messehalle sein, wo eben so Karnevalssitzungen stattfinden. Und am nächsten Tag wird umgebaut für die nächste Veranstaltung. Man könnte sagen: Es findet statt an Aschermittwoch und da hängen noch so ein paar rum, die liegen geblieben sind. Und die erzählen und fantasieren eben, ich hoffe nicht klischeebeladen, interessante Geschichten und Szenen, natürlich auch Lieder. Wir haben natürlich viel geguckt, was es alles so gibt und versucht, diese ganzen Karnevalslieder auch mal anders zu singen: Und gerade, wenn man es nicht erwartet, kann man also Bummsmusik und Ballermann und Humtata auch mal plötzlich als Kirchenchor singen, dann entfalten die eine große Schönheit, finde ich, gerade mit dem Texten, die da gesungen werden.
    Backof: Dieses speziell kölsche Karnevalsliedgut, "Da simmer dabei, datt is prima", das läuft dann auch in München und das läuft auch in Berlin?
    Grebe: Ist es wirklich so? Also ich wohne ja in Berlin und es sind auch zwei Berliner da: Die kennen nichts davon. Also ich habe noch wie vor den Eindruck, diese ganzen kölschen Bands, die sind hier Weltstars und hundert Kilometer weiter draußen kennt die eigentlich keiner mehr. Es ist schon extrem. Mir ging es während Karnevalsveranstaltungen so, auch schönen Kneipenabenden: Eine Stunde oder zwei singe ich gerne mit. Und dann immer so Phasen, wo man sagt, es geht nicht mehr. Man singt immer dasselbe und dann ist es halt auch manchmal stumpf: schon wieder "Das Trömmelsche geht". In den sechs Tagen bleibt es nicht aus, man ist halt so beschallt von dem ganzen Kram. Und dieser Effekt: Ich kenne es nirgendwo anders, das ist so Kölsch, das ist wirklich einzigartig, die Menschen. Man macht schnipp und dann kennt man den Text.
    Backof: Und dann ist Stimmung Es ja auch eifrig geübt: Da gibt es Einsingen, "Bergfeste", mitten im Sommer. Nach der Session ist vor der Session, so ein ganzheitliches Denken?
    Grebe: Das ist schon etwas anderes. Wir waren mal bei der Stunksitzung, um mal alles zu gucken, was es so gibt. Aber was wir machen ist ein Theaterabend. Wo eben auch über Karneval erzählt wird. Wir haben zwar auch Sitzungselemente und auch Nummern drin, die ich auch sehr lustig finde und wo man auch lachen soll und kann. Und soll. Aber es ist ein Theaterabend mit ganz verschiedenen Bildern, auch sehr traurigen, das bleibt nicht aus. Also es ist keine Humpapa-Veranstaltung.
    Backof: Parallel haben Sie noch ein anderes Programm jetzt laufen: "Berliner Republik" mit dem Orchester der Versöhnung. Das ist ein Kabarett über den Mainstream der Gesellschaft.
    Grebe: Ach, eine Musikrevue, wenn man so will. Es gibt mehrere Fäden wie immer. Ansonsten werden hoffentlich gute Lieder gespielt und ich singe da. Das hat mit Kabarett entfernt was zu tun. Ich sage immer: Liedermacherei und Musiktheater.
    Backof: Sie sind ja in vielen Bereichen unterwegs, als Schauspieler, als Musiker, als Dramaturg, als Regisseur. Ist das eine Herausforderung, weg von diesem kleinen Liedermacherhaften hin zur großen Inszenierung?
    Grebe: Ja, das stimmt so nicht, weil ich war ja, bevor ich jetzt hier wieder angefangen habe, zehn Jahre am Theater. Es hat sich immer schon vermischt. Dann komme ich gerne wieder zurück und stehe ganz alleine auf der Bühne und singe meine Lieder oder mache meine Programme und dann gibt es wieder eine Stadttheaterinszenierung. Das finde ich eigentlich sehr luxuriös, dass das geht. Es ist trotzdem immer noch sonderbar. Ich bin jetzt nicht der Stadttheater-Regisseur, der "Die Räuber" macht, sondern es sind immer eigene Kreationen. Ich denke erst einmal von Tag zu Tag gerade.
    Backof: Das ist gut, dann erfüllt sich das ja: Nach der Session ist vor der Session, das ganze Jahr wird befüllt.
    Grebe: Ja, ja. Wir müssen gucken, was passiert hier in Köln. Ich habe keine Ahnung, ich lasse mich überraschen, was die Kölner sagen.
    Backof: Wir auch. Ich danke herzlich für das Gespräch.
    Grebe: Bitteschön
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