"Hier sieht man das Produkt, die Katode, für mich ein großer Goldbarren, 80 kg schwer und hier fängt eigentlich alles an, damit wir hinterher die Elektronik nutzen können..."
Thomas Reuß steht auf einem Treppenabsatz und zeigt auf eine rostrote Platte, die eingehängt in eine Art Fließband durch die große Halle wandert. In der Luft ein stechender Geruch - Chemikalien, mit denen der "Goldbarren", also das Kupfer, von Trägerblechen getrennt wird, erklärt Reuß. Sein Arbeitsplatz liegt im Verwaltungstrakt am Rand des Werksgeländes von Aurubis, dem weltweit größten Unternehmen für Kupferrecycling. Trotzdem legt der Personalleiter gelegentlich Schutzhelm und Kittel an und macht sich auf den Weg in die Produktion:
"Ich kann nur eine gute Personalarbeit machen, wenn ich das Geschäft verstehe, das Business verstehe und auch spüren kann, was macht hier eigentlich jemand."
Dass Thomas Reuß seine Arbeit gern macht, ist nur schwer zu übersehen. Die meisten der rund 600 Mitarbeiter am Standort im westfälischen Lünen kennt er: wenn nicht mit Namen, dann doch zumindest vom Sehen.
Seit etwa vier Jahren arbeitet er für das Unternehmen, seit eineinhalb Jahren jedoch in Teilzeit, erzählt Reuß, während er über den Werkhof in Richtung Büro eilt. Montags bleibt er jetzt immer zuhause, kümmert sich um den 15 Monate alten Sohn. So hat er es mit seinem Lebenspartner abgemacht. Eine Entscheidung, für die ihm nicht gleich alle Kollegen auf die Schulter klopften.
"Dadurch dass ich der erste war, die erste Führungskraft in Teilzeit und auch noch ein Mann, war erst mal - ich will nicht sagen Entsetzen - aber doch eine Irritation war vorhanden und weil wir gerade aber auch das Zertifikat bekommen haben als familienfreundlicher Betrieb, war eigentlich allen klar, - das Projekt hab ich geleitet - es ist nicht mehr authentisch, wenn ich als frisch gewordener Vater eine 60-Stunden-Woche hier hinlege. Und da haben wir gesagt: Wir probieren es - auf beiden Seiten - und falls es nicht klappt, schauen wir, ob wir eine Korrektur machen können."
Bislang klappt es für beide Seiten gut. Ein Problem seien am Anfang eher die eigenen Ansprüche gewesen, so Reuß:
"Den Druck, ich krieg meine Arbeit nicht erledigt, ich muss nach Hause, ich muss sehen, dass ich um sechs Uhr auch schon zuhause bin; ich hab keine Fünf-Tage-Woche; das war das Schwierigste, sich selber umzuerziehen von seinem eigenen Arbeitsstil, Arbeitsorganisation und Arbeitsweise her. "
Fünf Prozent der Manager arbeiten weniger als 30 Stunden
Inzwischen sind andere Führungskräfte bei Aurubis dem Beispiel von Thomas Reuß gefolgt. Ein Anfang ist gemacht. Manche reduzieren ihre Arbeitszeit, um sich um die eigenen Kinder zu kümmern, manchem geht es aber auch um mehr Freizeit, andere müssen einen Angehörigen pflegen. Doch was hier funktioniert, geht längst nicht in jedem Unternehmen. Die familienfreundliche Chefetage - in Deutschland ist das immer noch die Ausnahme. Daran hat auch der Rechtsanspruch auf Teilzeitarbeit, den es seit 2001 gibt, wenig geändert. Nur fünf Prozent der Managerinnen und Manager arbeiten hierzulande weniger als 30 Stunden pro Woche, in den Niederlanden sind es immerhin zwölf Prozent. Dabei wünschen sich viele Beschäftigte hierzulande mehr Zeit für die Familie. Das ist auch in der Politik angekommen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, SPD, hat das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie weit oben auf ihre Agenda gesetzt:
"Frauen und Männer wollen heute in Partnerschaft auf Augenhöhe Erziehungsarbeit sich teilen, sich auch die Arbeit im Erwerbsleben teilen und um diese Herkulesaufgabe, Familie und Beruf miteinander vereinbaren zu können, wünschen sich 60 Prozent der Paare mit kleinen Kindern, dass sie es gemeinsam hinbekommen – leider gelingt es nur 14 Prozent der Paare."
Das will die Große Koalition ändern. Zumal es dem Willen vieler Wähler entspricht: Mehr als zwei Drittel der Deutschen sehen in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie das wichtigste Ziel der Familienpolitik überhaupt. Das belegt der Monitor Familienleben 2013 des Instituts für Demoskopie Allensbach. Angestellte, Chefs und auch viele Spitzenpolitiker wollen sich nicht mehr entscheiden müssen zwischen Kind und beruflicher Karriere. Sigmar Gabriel, Andrea Nahles, Manuela Schwesig - im Bundeskabinett üben sich gleich mehrere Minister im Spagat zwischen Regierungsverantwortung und der Erziehung der eigenen Kinder.
Und auch auf gesetzgeberischer Ebene wird die Politik aktiv: Der zuständigen Familienministerin Manuela Schwesig schwebt ein ganzes Reformpaket vor. Da ist zunächst das schon im Koalitionsvertrag vorgesehene Elterngeld Plus, das es von Juli 2015 an geben soll. Den passenden Gesetzentwurf stellte Schwesig Ende März der Öffentlichkeit vor. Er besagt: Wenn beide Partner früh nach der Geburt eines Kindes wieder in Teilzeit ihrem Beruf nachgehen wollen, sollen sie in Zukunft länger als bisher Elterngeld bekommen. Statt wie bisher 14 Monate sind dann 28 Elterngeld-Monate möglich. Im Gespräch ist außerdem wieder die sogenannte Familienarbeitszeit. Anfang des Jahres hatte sich die Ministerin mit ihrer Forderung nach einer 32-Stunden-Woche für frisch gebackene Eltern vom Koalitionspartner und von Arbeitgeberverbänden noch eine Abfuhr eingehandelt - nicht finanzierbar, hieß es. Inzwischen gibt es selbst in dieser Frage Bewegung. Gewerkschaften und auch der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags haben sich zuletzt für eine reduzierte Wochenarbeitszeit für junge Familien ausgesprochen. Selbst von der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Union im Bundestag Nadine Schön und dem familienpolitischen Sprecher Marcus Weinberg kamen dafür lobende Worte. Und dann ist da noch das Ziel, ein Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit zu schaffen. Manuela Schwesig:
"Die Wirklichkeit ist für die Männer 40 plus Überstunden zu arbeiten und für die Frauen oft in geringen Stunden in der Teilzeitfalle zu hängen und beide haben nicht die Möglichkeit, Erziehungsarbeit und ihrer regulären Arbeit auf gleicher Augenhöhe nachzugehen."
Teilzeit nicht karrieretauglich
In der Tat ist Teilzeit eine Frauendomäne. Während hierzulande fast 40 Prozent der angestellten Frauen nicht in Vollzeit arbeiten, sind es unter den Männern nur etwas mehr als sieben Prozent. Dazu kommt: Teilzeit ist ein Arbeitsmodell, das bislang wenig karrieretauglich ist. Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat in einer Studie untersucht, wie viele Manager und Managerinnen in Europa Teilzeit arbeiten und warum es so wenige gibt, die das Modell umsetzen. In Deutschland sei einer der Gründe die besonders starke Präsenzkultur:
"Durch die Präsenz vor Ort signalisiere ich meinen Kolleginnen, meinen Kollegen, meinen Chefs, dass ich ambitioniert bin, dass ich verantwortungsbewusst bin und man ist halt auch immer da, wenn es eine wichtige Aufgabe zu erledigen gibt. Wenn es um eine Beförderung geht, denke ich wahrscheinlich am ehesten an diejenigen, die ich ständig sehe. Nicht unbedingt, weil sie die Besten sind, sondern weil sie einfach da sind. Und das ist etwas, was von diesen Mitarbeitern in Führungspositionen auch antizipiert wird, also, was die annehmen, wie Beförderungen ablaufen."
Dementsprechend stehe die Teilzeit in der "Schmuddelecke", sie habe einfach keinen guten Ruf, so die Wissenschaftlerin. Auch Telearbeitsplätze und Heimarbeitstage würden nur wenig genutzt. Wer beruflich nach vorne will, schafft das meist nur vor Ort - in der Firma und nicht kinderhütend aus dem Homeoffice. Gleiches gilt für den Berufspolitiker. Laut einer Erhebung des Instituts für Demoskopie Allensbach haben denn auch zwei Drittel der Bevölkerung den Eindruck, dass Familie und Beruf in Deutschland nicht gut zusammenpassen. Familie gilt also nach wie vor als Karrierebremse. Und das macht sich auch in der Führungsetage deutscher Unternehmen bemerkbar. Deren Erscheinungsbild ist ziemlich homogen - und traditionell geprägt, so Elke Holst vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin:
"Die durchschnittliche Führungsetage ist männlich und es sind Männer, die nicht mehr die jüngsten sind, es gibt vereinzelt junge Männer, aber für gewöhnlich erreicht man eine so hohe Position erst mit fortgeschrittenem Alter. Die meisten Männer in Führungspositionen leben oft in einer traditionellen Ehe, wo die Frau dem Mann den Rücken freihält. "
Elke Holst kennt sie gut, die deutsche Chefetage. Über neun Jahre hinweg hat die Wissenschaftlerin vom DIW die Entwicklungen bei den Führungspositionen in der Privatwirtschaft ausgewertet. Das Ergebnis: Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eng verknüpft mit der Frage nach Chancengleichheit für Männer und Frauen. Zwar ist in den Jahren 2001 bis 2010 der Anteil von Frauen in Führungspositionen deutscher Unternehmen von 22 auf 30 Prozent gestiegen. Das gilt aber nicht für die Vorstände der 30 größten Dax-Unternehmen - dort ist der Frauenanteil 2013 sogar wieder kleiner geworden:
"Karrieren werden in Deutschland etwa zwischen 27 und 35 gebildet. Das ist aber genau das Alter, wenn Frauen Kinder bekommen, also wenn man in dem Karrierefenster nicht drin ist, kann man später schlecht die Karrierestufen erreichen wie die, die schon vorher drin waren. Wenn man aus diesem Alter raus ist und wieder rein will, dann sagt man: Die Frauen, denen fehlt die Erfahrung, aber auch Single-Frauen fallen oft raus, weil man sagt, die könnten ja unter Umständen noch ein Kind bekommen und ein Loch in die Personaldecke reißen."
Karriereknick Familie - Die Politik will das nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen ändern, sondern auch wegen des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung. Das Problem dabei: Die Arbeitswelt zieht noch nicht richtig mit. Vom Gesetzgeber jedenfalls lassen sich deutsche Unternehmen nur ungern Vorschriften machen - wie auch die Diskussion um eine Frauenquote in Aufsichtsräten und Unternehmensvorständen gezeigt hat. Caterine Schwiertz ist Mitglied der Düsseldorfer Geschäftsleitung bei von Rundstedt & Partner, einem Unternehmen für Karriereberatung:
"Da gibt es im Moment ein Vakuum. Die Unternehmen sehen, dass das alte Karriere-Modell, das ja heißt Leiterkarriere, Kaminkarriere, Schritt für Schritt geht es in der Hierarchie des Unternehmens immer weiter nach oben, das funktioniert aus verschiedensten Gründen nicht mehr. Es gibt aber noch kein wirklich neues Modell."
Forderung: Kriterien für Beförderung transparenter machen
Die Karriereberaterin Caterine Schwiertz selbst glaubt an ein Modell, das sie "Mosaikkarriere" nennt. Eine Berufslaufbahn, die stärker Rücksicht auf persönliche Stärken, Wünsche und Ziele des Mitarbeiters nimmt und auch längere Auszeiten ermöglicht. Was utopisch daherkommt, sei durchaus an der Realität des Arbeitsmarktes orientiert. Denn die sogenannte Generation Y, also die Generation der jetzt etwa 30-Jährigen, scheint mehrheitlich nicht mehr so bereit wie die Vorgängergeneration, ihr Privatleben dem beruflichen Erfolg komplett unterzuordnen. Ein Umstand, auf den sich derzeit auch die Personalplaner einstellen. Auch Elke Holst vom DIW fordert, Karrierewege flexibler zu gestalten:
"Viele Unternehmen machen etwas für Frauen und Familie, wenn es nicht um Führung geht. Da ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in vielen Unternehmen gesichert. Man muss aber wissen, wenn man heute Karriere machen will, das zeigen unsere Untersuchungen ganz deutlich, dann muss man längere Arbeitszeiten leisten. Also da sollte es auch mehr Flexibilität geben, dass man sich nicht von einer Karriere verabschiedet - weder Frauen, noch Männer - wenn Teilzeitarbeit ausgeübt wird."
Ein weiterer Punkt, den die Berliner Volkswirtschaftlerin Elke Holst fordert: Unternehmen sollten die Kriterien für Beförderungen transparenter machen. So müssten sich Karrierewege und die Haltung in den Chefetagen gleichermaßen verändern. Andernfalls reproduziere sich das System auf ewig selbst. Sprich: Die Führungsetage ist tendenziell familienunfreundlich, weil niemand nachrückt, der ein Interesse daran hätte, das zu ändern.
"Das ist ein Bakteriencocktail, der da jeden Tag neu angerührt wird..."
Richard Pelzer, der seinen richtigen Namen im Radio lieber nicht hören möchte, sitzt am Esstisch seiner Kölner Wohnung und zückt abwechselnd Nasenspray und Taschentuch.
Mitgebracht hat die Erkältung Sohn Julius - aus der Kita, die er seit einigen Monaten besucht. Bis vor Kurzem hat ihn noch überwiegend Vater Richard betreut, während die Mutter wenige Monate nach der Geburt wieder in den Beruf eingestiegen ist. Das sei zwar nicht einfach für die Familie gewesen - letzten Ende aber die vernünftigste Lösung, erinnert sich Richard Pelzer.
"Durch die lange Pendelzeit zu meiner ehemaligen Arbeitsstelle hätte ich von meinem eigenen Kind nur am Wochenende etwas mitbekommen. Und weder meine Frau noch ich konnten uns das gut oder sinnvoll vorstellen, wenn das Kind quasi nur mit einem Wochenendvater aufwächst im ersten Jahr."
Richard Pelzer entschied sich also dafür, ein Jahr Auszeit zu nehmen von seinem Beruf als Senior PR-Berater. Seinem Arbeitgeber in Hessen teilte er das fristgerecht mit und genoss so rein rechtlich betrachtet Kündigungsschutz. Pelzers Chef aber sah das anders:
"Als Nächstes kam der Anruf, dass der Chef mit mir über einen Aufhebungsvertrag sprechen will. Also auch keinen Glückwunsch oder viel Glück mit dem Kleinen, tatsächlich, da war das Porzellan zerbrochen."
Für den Fall, dass er den Aufhebungsvertrag nicht unterzeichne, habe ihm sein Ex-Chef angedroht, notfalls unmittelbar nach der Elternzeit einen Kündigungsgrund zu erfinden, erzählt Pelzer. Also lenkte er ein und unterschrieb. Ein aufwendiges Arbeitsgerichtsverfahren wollte er seiner Familie nicht zumuten.
Ein Grund für die Eskalation, denkt Pelzer heute, sei das Rollenbild seines Chefs gewesen. In aller Regel bliebe eben die Frau zuhause beim Kind, während der Vater spätestens nach zwei Monaten wieder im Job antritt. Eine Erwartung, die Pelzer nicht nur in der Arbeitswelt zu spüren bekam:
"In Sachen wie Krabbelkursen unter der Woche bin ich auch immer ein etwas bewunderter Exot gewesen. Damit muss man als Vollzeitvater auch umgehen lernen, eigentlich hat man auch so den Eindruck, die Mütter wollen eigentlich auch ganz gerne unter sich bleiben."
Dass es auch anders geht, hat die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner erlebt. Vier Jahre lang arbeitete die Politikerin und Mutter einer 4-Jährigen als Europaabgeordnete in Brüssel. In Belgien, sagt sie, ist es normal, dass beide Elternteile arbeiten gehen. Beim kranken Kind zuhause bleiben? Dafür hätten die Belgier Verständnis. Dazu kommen flexible Kita-Zeiten und mehr Mittags- als Abendtermine. Als Abgeordnete in Berlin musste sie sich da umstellen:
"Was ist das normale Format von einer politischen Veranstaltung? Das ist eine Abendveranstaltung, Podiumsdiskussion, wo man dann zu dritt, zu fünft auf dem Podium sitzt, die fängt meist um sieben, halb acht an, das ist familienunfreundlich und dann wundert man sich darüber, warum junge Menschen sich nicht engagieren, nicht dabei sind. Statt dass man sagt, man macht vielleicht was Samstagnachmittag mit Kaffee und Kuchen und Kinderbetreuung und dann spricht man dort über politische Themen, das ginge ja auch."
Von den Plänen der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, eine 32-Stunden-Woche für junge Eltern fest zu verankern, hält sie allerdings nichts. Vor allem dann nicht, wenn der Staat für einen Teil des Lohnausfalls aufkommen soll.
"Ich finde, wir müssten in Deutschland anstatt schon wieder Nischen und Ausnahmen für die Familien zu schaffen, während dann die anderen ohne Kinder weiter Karriere machen, da müssen wir uns überlegen, wollen wir das so weiterführen oder nicht mal generell dieses Bild aufbrechen und sagen, es muss doch möglich sein, Beruf und Familie zusammenzubringen, das ist doch das Normale."
Politikbetrieb ist familienunfreundlich
Hier fordert Brantner mehr Kreativität; die Politik könne doch zum Beispiel ein Recht auf familienfreundliche Arbeitszeiten schaffen. In den Unternehmen ließen sich Dienstreisen oft durch Videokonferenzen ersetzen, Meetings in die Mittagspause statt in den Abend legen. Ihr eigenes Arbeitsumfeld, die Politik, geht da allerdings mit schlechtem Beispiel voran.
"Ich hab einen Sohn, der ist dreieinhalb. Der wird in der Kita sich gerade fertig machen, der wird nämlich gleich abgeholt in einer halben Stunde, leider nicht von mir, aber es kommt auch wieder eine Wahlkreiswoche, wo ich ihn dann abholen kann."
Marcus Weinberg lässt sich erschöpft auf einem der Stühle in seinem Berliner Abgeordnetenbüro nieder und wartet darauf, dass der Kaffee seine Wirkung tut. Im Plenarsaal hat es länger gedauert, und so ist der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion in sein Abgeordnetenbüro gehetzt. In Berlin hat sein Arbeitstag meist etwa 14 Stunden. Sich im Politikbetrieb Zeit für die Familie herauszunehmen, erfordere immer noch Mut, so der CDU-Mann.
"Das ist auch ein schwieriger Prozess, weil alle gucken einen mit großen Augen an, weil sie es nicht kennen. Aber da muss man sagen, wir sind eine Partei, die das Thema Familie hochhält und da müssen wir das auch selbst leben. Aber ich merke auch so einen Kulturwandel bei uns, dass das mehr und mehr anerkannt wird..."
Eine Aussage, in der allerdings wohl auch viel Wunschdenken mitschwingt. So räumte etwa die frühere Bundesfamilienministerin Kristina Schröder ihren Posten, um sich mehr der Familie widmen zu können und auch ihre Nachfolgerin Manuela Schwesig nannte kürzlich in einem Zeitungsinterview den Beruf des Politikers familienfeindlich. Kinderlose und Männer, sagt auch die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner, seien im Politikbetrieb eindeutig im Vorteil.
"Das ist einfach eine Frage, wie viele Texte kann ich noch nebenbei schreiben, wie viele Telefonate kann ich führen, bei wie vielen Terminen kann ich sein. Deswegen ist es ja auch schwierig, wenn wir jetzt sagen, wir reduzieren jetzt die Zeit für die Eltern - die anderen machen ja trotzdem weiter und wenn sich die restliche Kultur nicht ändert, ist da immer ein Nachteil da."
Das gilt auch für Franziska Brantner selbst. Ein gewisses Korrektiv schafft bei den Grünen immerhin die parteiinterne Frauenquote. Privat ist Brantner auf die Unterstützung der beiden Großmütter angewiesen, die sich regelmäßig um das Enkelkind kümmern. Anders, so die 34-Jährige, wäre ihr Politikerdasein nur schwer möglich. Beim CDU-Abgeordneten Marcus Weinberg ist es die Partnerin, die im Beruf zurückgesteckt hat und sich um das gemeinsame Kind kümmert, wenn es nicht in der Kita ist. Für Weinberg ein Familienmodell unter vielen, die nach seinem Willen alle gleichermaßen respektiert werden müssten:
"Das ist ein Politikansatz, dass wir hier Möglichkeiten schaffen, Wahlfreiheiten schaffen. Es gibt Familien, die das anders organisieren, es gibt Familien, die verzichten in den ersten Jahren komplett auf eine Kindertagesbetreuung - das dürfen wir nicht bewerten, sondern wir müssen Rahmenbedingungen setzen für verschiedene Entwürfe, verschiedene Ansätze. Die Vielfalt der Familien muss anerkannt werden, auch über die Rahmenbedingungen und über Angebote."
Vorbilder in Spitzenpositionen
Das Rückkehrrecht aus Teilzeit in Vollzeit, Elterngeld Plus, partnerschaftliche Aufteilung der Erziehungsarbeit - das alles sei Konsens auch für die Union, so Weinberg. Das habe man in den vergangenen Jahren doch selbst angeschoben. Und trotzdem müssten eben auch andere Modelle unterstützt werden, betont er. Entsprechend gibt es für Eltern, die ihr Kind im zweiten und dritten Lebensjahr zuhause betreuen, das von der Union durchgesetzte Betreuungsgeld - von Kritikern als "Herdprämie" geächtet.
Der Wirtschaft will Weinberg möglichst wenig in die Parade fahren. Einen gesetzlichen Anspruch auf eine 32-Stunden-Woche für junge Eltern kann er sich nicht vorstellen. Und dennoch, gemeinsam mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion Nadine Schön, CDU, fordert auch er ein umfassendes, ganzheitliches Umdenken in der Arbeitswelt. Doch ob nun in der Politik oder in der Wirtschaft: Vorbilder in Spitzenpositionen, sind dafür unverzichtbar, meint Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung:
"Wenn man eine starke Unternehmenskultur hat, also sagt: Kinder sind willkommen, Auszeiten sind willkommen, wir glauben nicht daran, dass der beste Chef oder die beste Chefin diejenige ist, die rund um die Uhr verfügbar ist, sondern die, die tatsächlich die beste Arbeit abliefert und das kann man ja auch gut in weniger Stunden erledigen. Das weiß man ja selbst auch, wenn man länger am Schreibtisch ist, schreibt man nicht unbedingt bessere Sachen."