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Kartoffel und Tomate

Christoph Kolumbus brachte von seinen Reisen nach Amerika eine Vielzahl an Früchten und Pflanzen mit in die Alte Welt und startete damit einen globalen Austausch, der die Küchen der Welt beeinflusst hat.

Von Peter Leusch |
    Am 19. Oktober 1492 notierte Christoph Kolumbus in sein Bordbuch über die karibischen Inseln:

    Ich kann mich an einer so wundersam schönen und von der unseren so verschiedenartigen Vegetation nicht satt sehen. Meines Dafürhaltens gibt es auf diesen Inseln viele Kräuter und Pflanzen, die man in Spanien sehr zu schätzen wissen wird, ..., die man zu Heilzwecken oder als Gewürze verwenden kann, allein sie sind mir unbekannt, was mir viel Kummer macht.

    Kolumbus lernte sie sehr schnell kennen. Nicht nur den scharfen Chili, den er mit Pfeffer verwechselte. Kolumbus probierte auch Mais, Süßkartoffeln, unbekannte Bohnensorten und tropische Früchte. Von allem nahm er Kostproben mit zurück in die Alte Welt, denn Europas Herrscher gelüstete es nicht nur nach Gold und Silber, sondern ebenso nach Gewürzen und neuen Speisen.

    Kolumbus war auch ein kulinarischer Entdecker und setzte eine erste Globalisierung des Essens und der Nahrungsgüter in Gang, meint der Frankfurter Ethnologe Marin Trenk:

    "Was wenige Leute zu reflektieren scheinen, ist, dass der erste und eigentliche Globalisierungsschub unmittelbar nach 1492 eintrat, nachdem Kolumbus als Nebensuche nach seinem Pfefferland Amerika entdeckt hat, und dass in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten es zu einem wahrhaft dramatischen globalen Austausch gekommen ist - und jetzt die Kernthese der Tagung -, der alle Küchen der Welt beeinflusst hat und der dazu geführt hat, dass die Original- und Landesküchen Europas und weltweit, dass die ein Produkt der ersten kulinarischen Globalisierung sind."

    Die Globalisierung des Essens und der Nahrungsgüter brachte die indianischen Kulturpflanzen Amerikas, Mais, Kartoffel und Tomate, in die alte Welt. Und im Gegenzug gelangten die Haustiere und Früchte Europas in die neue Welt. Die großen Linien dieses "columbian exchange" - wie der amerikanische Historiker Alfred Crosby diesen Austauschprozess initiiert von Kolumbus nennt, sind zwar bekannt, nicht aber seine genauen Auswirkungen auf bestimmte Regionen.

    So ließ sich zum Beispiel das Kleinvieh - Ziegen, Schafe, Schweine, Hühner - relativ problemlos in die Nahrungswirtschaft der neuen Welt integrieren, das Großvieh jedoch - Pferde und Rinder - drohte im dicht besiedelten Zentralmexiko die Kleinfelderwirtschaft der indigenen Bevölkerung zu ruinieren. Die schnell wachsenden Herden zertrampelten die Felder und fraßen sie kahl, so der Kölner Historiker für iberoamerikanische Geschichte Horst Pietschmann:

    "Das hat die Krone gelöst durch administrative Maßnahmen, dass Großviehzucht in die eher semiariden Gebiete im Norden - im Falle Mexikos - verbannt wurde. Da gibt es dann riesige Viehzucht-Haciendas, von denen übrigens dann auch die Viehzucht und das Ganze - der Cowboy - nach Texas und in die USA schwappte, und diese Viehherden wurden dann einmal im Jahr, wenn die Regenzeit sich dem Ende zu neigte, in das zentrale Hochland getrieben und dort auf verschiedenen Großviehmärkten verkauft, wo dann die Kleinnutzer wie eben auch die indigene Bevölkerung sich die Zugtiere kaufte - Pferde, Maulesel, Ochsen zum Pflügen -, mit denen man dann arbeitete."

    Die Kulturpflanzen Amerikas fanden den Weg nicht nur nach Europa sondern auch in den Orient, wie der österreichisch Orientalist Bert Fragner am Beispiel des Maiskorns nachweist. Dabei wird zugleich deutlich, dass der Raum des Mittelmeers nicht nur von Kampf und Gegensätzen geprägt war, zwischen Spanien und dem Osmanischen Reich, zwischen Christentum und Islam, sondern auch eine Sphäre intensiver Beziehungen darstellte.

    "Es ist ein Areal, in dem diese Supermächte des Mittelmeers auch durchaus im Austausch waren, auf hohem Niveau, so dass auf diese Weise zum Beispiel der Mais sehr schnell ins Osmanische Reich als 'ägyptisches Korn' eingegangen ist. Wir können anhand der Bezeichnungen verfolgen, dass der Mais offensichtlich in Blitzeseile über Alexandria in Hafenstädte wie Izmir und Istanbul ins Osmanische Reich, in diesen Bereich hineingekommen ist."

    Die Namensgebung verrät viel über den Reiseweg der amerikanischen Nahrungsgüter in die alte Welt. Und darüber hinaus über die Handelsbeziehungen der Völker.
    Der amerikanische Truthahn oder Puter, so Bert Fragner in einem weiteren Beispiel, gelangte über den Mittelmeerhandel rasch in den arabischen und türkischen Kulturraum, wo er bis heute indischer Vogel heißt - und indisch steht hier auch für indianisch.

    Viel länger brauchte der Truthahn für seinen Weg in die britischen Küchen. Mit Blick auf den Orient erhielt er nun den Namen Turkey, also türkischer Vogel, und reiste kurioserweise unter diesem falschen Namen zurück auf seinen Heimatkontinent in die USA.

    Auch die Reiseetappen der Kartoffel von der neuen in die alte Welt sind nicht restlos aufgeklärt. Wahrscheinlich haben zuerst baskische Fischer die Knolle zuhause angebaut, dann gelangte sie weiter nach Irland, um schließlich weite Teile Europas zu erobern. Eine Zeit lang glaubte man sogar, die Kartoffel sei ein Aphrodisiakum. Als sich dies nicht bestätigte, ließen zumindest die höheren Stände sie wie die - buchstäblich - heiße Kartoffel fallen. Marin Trenk:

    "Das führte aber dazu, dass die Kartoffel in Europa bis ins späte 18., frühe 19. Jahrhundert hinein assoziiert wurde mit Unterschicht. Sie war Armenkost und Überlebensspeise, das machte sie wenig attraktiv für ein breiteres Publikum. Und der Grund, dass die Kartoffel im Laufe des 19. Jahrhunderts den Weg sozusagen nach sozial oben in die Mittelschicht und in die Haute Cuisine gefunden hat, der liegt wahrscheinlich darin, dass die Kartoffel so außerordentlich vielseitig verwendungsfähig ist. Der einfachen Zubereitungsart der Unterschichten - Pellkartoffel, Salzkartoffel - setzte das Bürgertum dann aufwendigere Kartoffelrezepte entgegen, Kartoffelklöße, Gratins, Salate und was es da so alles gibt."

    Marin Trenk verbindet die Erforschung der Nahrungsgüter mit den Thesen des französischen Soziologen Pierre Bourdieu, der in seinem Buch "Die feinen Unterschiede" darlegte, das Mode und Geschmack immer auch einher gehen mit dem Willen, sich sozial von anderen Schichten zu unterscheiden.

    Absetzen wollten sich auch die verschiedenen Landesküchen voneinander. Und doch zeigt die Geschichte des 500 Jahre andauernden Globalisierungsprozesses, dass in den Kochtöpfen Fremdes und Eigenes sich lange schon zu einem unverwechselbaren Geschmack vereint haben. Marin Trenk:

    "Es kann sich niemand Südostasien ohne Chili vorstellen, es kann sich niemand den Mittelmeerraum, nicht nur Italien, ohne die Tomate vorstellen, wenn man aus der ungarischen Küche Paprika abziehen würde, dann wäre sie wirklich sehr grau. Aber es gilt auch für andere: Man kann sich Thüringen ohne Kartoffelklöße schlechterdings nicht vorstellen, Belgien ohne Fritten nicht, die Schweiz nicht ohne Rösti usw."