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Abhängigkeit von Russland
Ukraine-Krieg verschärft die Instabilität Kasachstans

Anfang Januar waren in Kasachstan Proteste blutig niedergeschlagen worden. Nur durch russische Hilfe behielt Präsident Kassym-Jomart Tokayev damals die Kontrolle. Doch Kasachstan bleibt instabil. Der Ukraine-Krieg verschärft die Lage zusätzlich. Sowohl Russland, als auch die Kasachen, haben große Erwartungen.

Von Edda Schlager |
Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokayev und Russlands Präsident Vladimir Putin schüttel sich die Hände
Kasachstans Präsident Kassym-Jomart Tokayev und Russlands Präsident Vladimir Putin (picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Im Flur einer Drei-Zimmer-Wohnung von Almaty. Aidos Meldekhanuly und sein 18-jähriger Sohn Bauyrzhan wühlen in den Fächern einer Kommode herum und suchen ein Maßband. Als sie es gefunden haben, gibt der Vater dem Sohn ein paar Anweisungen: „Fahr zum Grab von Aikorkem und miss es ganz genau aus, die Einfassung soll gerade stehen. Unter dem Metallzaun rechne 20 Zentimeter bis zum Boden. Okay?“
Vor etwa zwei Monaten hat die Familie eines ihrer fünf Kinder beerdigt. Aikorkem war vier Jahre alt – sie wurde erschossen. Das Mädchen ist eines der Opfer der blutigen Unruhen, die Kasachstan Anfang Januar 2022 erschüttert hatten.
Aidos Meldekhanuly mit Tochter sitzend am Küchentisch
Aidos Meldekhanuly mit Tochter Zhanna (Deutschlandradio/Edda Schlager)
Zehntausende Menschen hatten vom 2. Januar an im ganzen Land gegen die Regierung protestiert. Das Regime schlug die Aufstände mit Waffengewalt nieder. Nach offiziellen Angaben wurden 4500 Menschen verletzt. 227 kamen ums Leben. Unter ihnen – Aikorkem. Ihr Bruder Bauyrzhan erinnert sich: Einen Tag, nachdem die Proteste in Almaty schon aufgehört hatten, war er mit dreien seiner Geschwister im Auto ins Stadtzentrum gefahren. Sie wollten Lebensmittel kaufen, denn nach Tagen des Chaos waren in ihrem Stadtteil alle Läden geschlossen. Dabei kamen sie an der Stadtverwaltung vorbei, die zwei Tage vorher Zentrum der Proteste gewesen war, so Bauyrzhan.
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„Wir sind da einfach langgefahren, uns hat keiner angehalten oder so, es gab keine Warnung. Und plötzlich hörte ich Schüsse und habe gar nicht verstanden, was passiert“, erinnert sich Bauyrzhan: „Ich habe umgedreht und bin schnell zurückgefahren. Dann ist das Auto stehengeblieben. Erst da habe ich gemerkt, dass meine kleine Schwester stark blutet. Ich bin raus und habe um Hilfe gerufen. Leute haben uns dann alle zusammen in ein anderes Auto gesetzt und ins nächste Krankenhaus gefahren.“
Dort wird festgestellt, Bauyrzhans kleine Schwester ist an einem Kopfschuss gestorben. Er selbst hat zwei Streifschüsse abbekommen, im Körper der 16-jährigen Schwester stecken fünf Kugeln, sie überlebt. Die Familie ist seitdem im Schockzustand. Vater Aidos arbeitet nicht mehr, denn das Auto, das er zum Taxifahren braucht, wurde mit mehr als 20 Einschüssen von der Polizei konfisziert. Die Familie lebt nun von umgerechnet 150 Euro, dem Einkommen der Mutter als Buchhalterin.
„Bis heute gab es keinerlei Hilfe vom Staat. Okay, das hatte ich auch kaum erwartet. Aber sie ignorieren uns komplett, sie haben nicht einmal ihr Beileid bekundet“, sagt der Vater. Er macht den kasachischen Staat für den Tod seiner Tochter verantwortlich. Präsident Kassym-Jomart Tokayev hatte im Januar Sicherheitsbehörden den Befehl gegeben, ohne Vorwarnung auf die Zivilbevölkerung zu schießen, um die Proteste zu beenden. Rechtsanwalt Kanat Beisebayev unterstützt die Familie Meldekhan jetzt dabei, dass der Tod von Tochter Aikorkem aufgeklärt wird.
Kasachstan
Das zentralasiatische Land mit knapp 19 Millionen Einwohnern gehört mit einer Fläche von 2,7 Mio. Quadratkilometern zur den zehn größten Ländern der Erde (entspricht etwa der Größe von Deutschland, Österreich, Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien, Schweden und Finnland zusammen). Es grenzt an Russland und China. Die frühere Sowjetrepublik wurde im Dezember 1991 unabhängig. Über Jahrzehnte wurde Kasachstan von Machthaber Nursultan Nasarbajew regiert. Das Land ist reich an Öl, Gas und Uran.

Warum wurde geschossen?

„Den Soldaten, der am Ende den Befehl ausgeführt hat, wollen wir nicht an die Wand stellen oder ihn lebenslang hinter Gitter bringen. Der bekommt vielleicht zwei Jahre Bewährung“, sagt Beisebayev: „Aber davon wird das Kind nicht mehr lebendig, das ändert gar nichts. Wir möchten wissen, warum die Soldaten geschossen haben. Warum wurde auf unschuldige Menschen geschossen, von denen absolut keine Gefahr ausging, als sie nur vorbeigefahren sind?“
Den „blutigen Januar“ nennen die Kasachen die ersten beiden Wochen dieses Jahres. Noch nie hatte das seit 1991 unabhängige Kasachstan – das bis dahin als „stabile Autokratie“ gegolten hatte – so massive Proteste erlebt. Anfangs hatten sie sich gegen Preiserhöhungen von Treibstoff gerichtet, forderten dann politische Teilhabe und erfassten schließlich mit Demonstrationen in mehr als 80 Orten das ganze Land. Insbesondere in Almaty, der größten Stadt des Landes, schlugen die Proteste in gewalttätige Ausschreitungen um, mit Angriffen auf Regierungsgebäude, Polizei und Armee.
Der kasachische Präsident Kassym-Jomart Tokayev bat schließlich das von Russland geführte Militärbündnis OVKS um Hilfe. Innerhalb eines Tages landeten Truppen aus Russland in Kasachstan, kurze Zeit später auch die der anderen Alliierten – beispielsweise aus Belarus. Tokayev erlangte wieder Kontrolle über die Lage. Was genau passierte, ist bis heute unklar. Präsident Tokayev schilderte seine Sichtweise seitdem mehrfach so, wie Ende Januar im Interview mit dem staatlichen TV-Sender Khabar24.
Damals sagte er: „Das war eine geplante Aktion, und zwar alle Etappen der Unruhen, angefangen bei den friedlichen Protesten, die gab es tatsächlich, bis hin zu den Tötungen und Plünderungen, eine sorgfältig ausgearbeitete Operation, erdacht von Professionellen und von ihnen umgesetzt, im Kern terroristisch, unter Beteiligung von Kämpfern aus dem Ausland.“
Nur diese angebliche Bedrohung durch Terroristen aus dem Ausland hatte Tokayev erlaubt, den Bündnisfall der OVKS auszurufen. Doch in Kasachstan glauben die wenigsten, dass die Unruhen aus dem Ausland gesteuert gewesen seien. Dafür, dass der Präsident auf friedliche Demonstranten schießen ließ, fordern viele jetzt Rechenschaft.
Platz der Republik, Gedenkfeier
Gedenkfeier auf dem Platz der Republik (Deutschlandradio/Edda Schlager)
Mitte Februar auf dem Platz der Republik in Almaty. Hier waren gut einen Monat zuvor die Proteste in Gewalt umgeschlagen. Die Fassade der gegenüberliegenden Stadtverwaltung ist schwarz und verkohlt. Sie wird jetzt saniert. Etwa 200 Menschen haben sich zu einer Trauerfeier für die Opfer der Unruhen im Januar versammelt, einige haben Fotos getöteter Angehöriger dabei. Obwohl die Demonstration nicht genehmigt ist, greifen die gut drei Dutzend Polizisten in der Nähe nicht ein. Mit einem Megafon fordert einer der Organisatoren des Meetings die Absetzung von Präsident Tokayev.
Der Mann mit dem Megafon ist Zhanbolat Mamay, langjähriger Oppositionspolitiker. Mamay hatte auch im Januar die Menschen in Almaty zu Protesten aufgerufen. Rund 10.000 Menschen waren ihm damals gefolgt, eine überraschend hohe Zahl für Kasachstan. Im Interview betont Mamay, dass von ihrer Seite keinerlei Gewalt ausgegangen war.
Zhanbolat Mamay
Zhanbolat Mamay ist langjähriger Oppositionspolitiker (Deutschlandradio/Edda Schlager)
„Wir haben zu Protesten aufgerufen, um konkrete, politische Forderungen zu artikulieren und wichtige Fragen für Politik und Gesellschaft anzusprechen, aber friedlich“, so Mamay. Er saß bereits mehrfach im Gefängnis. Für ihn ist klar: Dass die Proteste im Januar plötzlich in gewalttätige Ausschreitungen umschlugen, hat einen Grund.
„Ich denke, das war ein vorher ausgearbeiteter Plan durch Nasarbajew und die jetzige Regierung“, sagt Mamay: „Sie haben kriminelle Strukturen genutzt, die dann die Pogrome, Brandstiftungen, Plünderungen initiierten, um die friedlichen Proteste zu diskreditieren. So konnte man sagen, hier sind Terroristen, die man ausschalten muss.“
Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew hatte mehr als 30 Jahre die Politik in Kasachstan bestimmt. Vor knapp drei Jahren, 2019, war der heute 81-Jährige zurückgetreten und hatte Tokayev zwar zu seinem Nachfolger gemacht, tatsächlich die Fäden aber noch immer selbst in der Hand gehalten. Langzeit-Alleinherrscher Nasarbajew ist in den vergangenen 30 Jahren der dominante Politiker in Kasachstan gewesen.

Das Regime von Nasarbajew

Er öffnete das rohstoffreiche Land in den Neunzigerjahren für internationale Investoren, ermöglichte wirtschaftlichen Aufschwung, und änderte mehrfach die Verfassung, um im Amt zu bleiben. Er gab sich selbst den Titel Elbasy, „Führer der Nation“ und häufte durch Korruption und Vetternwirtschaft milliardenschweren Reichtum an.
Der Politologe Evgeniy Zhovtis charakterisiert Nasarbajews Regime wie folgt: „Das Regime war personalisiert in der Person von Herrn Nasarbajew. Und deshalb war Nasarbajew der wichtigste Garant für die Sicherheit der Eliten, die in den 90ern zu Millionären und Multimilliardären geworden sind. Dieses System war auf ein paar Dutzend, etwas über hundert Familien ausgelegt, auf die herrschenden, regionalen Eliten, die um die Regierung herum, und es war kommerzialisiert. Business und Politik, das ist bei uns ein und dasselbe. Das ist ein kommerzialisiertes, staatliches, oligarchisches System.“
Obwohl der Abgang Nasarbajews im Jahr 2019 und die Staathalterschaft Tokayevs von ihm selbst inszeniert worden seien, bekam das autoritäre Regime Risse. Die von Nasarbajew abhängigen Eliten wurden unruhig, weil sie sich der Schutzmacht des alternden Herrschers nicht mehr sicher waren. Anders als Oppositionspolitiker Mamay hält Politologe Zhovtis den wahren Grund der Unruhen im Januar deshalb nicht für ein gemeinsames Ringen des Ex-Präsidenten und seines Nachfolgers um den Schutz des Regimes vor einem Volksaufstand. Vielmehr hätten sich verschiedene regionale, Nasarbajew nahestehende Eliten gegen Tokayev gestellt, weil sie durch die Proteste der Bevölkerung und die politische Schwäche Tokayevs ihren Zugriff auf wirtschaftliche Ressourcen bedroht sahen.
„Das war nicht so sehr ein Umsturzversuch oder ein Versuch, die Macht an sich zu reißen, sondern vielmehr ein Signal an Herrn Tokayev, dass er die Situation in den Regionen nicht kontrollieren kann“, sagt Zhovtis: „Für mich war das entweder ein Ultimatum der Art ,Du gehst und überlässt das jemandem, dem wir vertrauen, jemandem aus dem Nasarbajew-Clan‘. Oder es war ein Signal zu zeigen, Du hast hier gar nichts zu sagen, wir können jederzeit Chaos anrichten, deshalb musst du dich mit uns arrangieren.“
Wer auch immer das Chaos im Land verursacht hatte – am 7. Januar hatte Tokayev, dank der zu Hilfe geeilten OVKS-Truppen, das Heft wieder in der Hand. Doch für viele Kasachen begann der Horror staatlicher Repression erst jetzt.
Büro Menschenrechte:  Folterbilder von Orynbasar Kalibayeva werden hochgehalten
Im Büro für Menschenrechtewerden Bilder des gefolterten Orynbasar Kalibayeva gezeigt (Deutschlandradio/Edda Schlager)
Bei einer Pressekonferenz im Internationalen Büro für Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit erzählt Orynbasar Kalibayeva, was ihrem jüngeren Bruder widerfuhr. Erik Kalibayev war am Tag, als in Almaty die Stadtverwaltung brannte, Protesten in der Gebietshauptstadt Taldykurgan gefolgt, rund 270 Kilometer von Almaty entfernt. Viele der Teilnehmer wurden in den darauffolgenden Tagen von der örtlichen Polizei vorgeladen, auch Kalibayev, so seine Schwester.
„Am 13. Januar ist er selbst zur Polizei gegangen. Wir haben gesagt, wenn du wirklich nichts angestellt hast, dann geh hin und frag nach, was sie wollen. Die haben ihn in Empfang genommen und gesagt, verabschiede dich schon mal von deiner Familie. Und dann haben sie ihn dort bis abends gefoltert“, sagt Kalibayeva. Sie zeigt Fotos vom halbnackten, zerschundenen Körper ihres Bruders. Rote Striemen und zahlreiche Hämatome sind auf Kopf, Rücken und Beinen des 34-Jährigen verteilt. Mit Stromschlägen und Schlagstöcken hätten sie ihn malträtiert, erzählt Kalibayeva: „Sie haben ihn gefoltert, aber er hat nichts zugegeben. Er hat ja nichts gemacht. Und abends haben sie ihn in diesem Zustand entlassen.“

10.000 Menschen nach Unruhen verhaftet

Eine Woche später kamen drei Polizisten zu ihnen nach Hause, nahmen Kailbayev unter einem Vorwand erneut mit aufs Revier - und verhafteten ihn erneut. Bis heute ist er im Gefängnis. Die Geschichte ist kein Einzelfall. Nach den Unruhen hatten Behörden rund 10.000 Menschen festgenommen. Hunderte Videos und Fotos gefolterter Gefangener fluteten danach die sozialen Medien. Einige Opfer wurden ihren Angehörigen nur noch tot übergeben, Dutzende schwer misshandelt und verletzt – durch heiße Bügeleisen, ausgerissene Fingernägel, Tritte und Schläge.
Präsident Tokayev bemüht sich jetzt, Forderungen der Protestbewegung nachzugeben. Er hat ein ambitioniertes Programm für wirtschaftliche Reformen angekündigt. Der ungleichen Verteilung von Vermögen im Land will er entgegenwirken und Oligarchen verpflichten, Teile ihres Vermögens in Sozialfonds einzuzahlen. Auch politisch will er Kasachstan reformieren, hat in den vergangenen Wochen zahlreiche Ämter neu besetzt, Nasarbajew-Alliierte ihrer Posten enthoben.
Doch die Osteuropa-Wissenschaftlerin Botakoz Kassymbekova bleibt misstrauisch: „Als Historikerin weiß ich, das ist eine Aufgabe, die nicht nur von ihm abhängig ist. Die Realität, mit der er konfrontiert ist, die ist stärker als er und sein Wunsch und seine Vorstellungen. Und natürlich fragen sich politische Beobachter: Ein Mensch, der diesen Schießbefehl erteilt hat und der jetzt nicht auf diese Forderungen, Folter zu stoppen, reagiert, ob er der Mensch ist, der sich tatsächlich in die Gefahr bringt, um die Regierung und die Strukturen tatsächlich zu reformieren? Ich bin skeptisch.“
Die Kasachin lebt seit zehn Jahren in Deutschland und in der Schweiz und beschäftigt sich an der Universität Basel auch beruflich mit Zentralasien und der Politik Tokayevs. Der kasachische Politologe Dimash Alzhanov ist überzeugt, wirkliche Reformen sind in Kasachstan nur möglich, wenn das von Nasarbajew in 30 Jahren etablierte System aus Korruption und Politik aufgelöst wird.
Er sagt: „Das, was man jetzt sieht, ist ein Vortäuschen Tokayevs, sich von Nasarbajew zu distanzieren, um die Macht zu erhalten. Das ist alles dummes Zeug. Um das Erbe Nasarbajews zu begraben, muss man das politische System ändern. Ich bezweifle die Fähigkeit Tokayevs. Er ist nicht der Mensch, der das machen kann. Und je nachdem, was jetzt passieren wird, welche Folgen die Sanktionen und der Konflikt in der Ukraine auf die Wirtschaft Kasachstans haben werden, könnte es zu einer neuen Welle von Protesten kommen.“

Die Folgen des Ukraine-Krieges

Tatsächlich ist Tokayev derzeit in einer höchst schwierigen Lage. Er muss mit wirtschaftlichen Reformen dringend die finanzielle Situation der kasachischen Bevölkerung verbessern. Denn Armut und fehlende Perspektiven waren einer der maßgeblichen Gründe der Proteste im Januar. Doch der Zeitpunkt dafür ist denkbar schlecht.
Denn der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen des Westens gegen Russland könnten Kasachstan mit in den Abgrund ziehen. Denn Russland und Kasachstan sind wirtschaftlich eng miteinander verbunden. Allein in der vergangenen Woche wurde die kasachische Währung Tenge um 20 Prozent abgewertet. Das lässt die Ersparnisse der Kasachen vor ihren Augen schwinden. Die Nationalbank intervenierte mit einem Millionenprogramm, um den Verfall zu stoppen.
Alzhanov sagt: „Politisch gesehen hat sich die Abhängigkeit Kasachstans durch die Hilfe Russlands, die Machthaber in Kasachstan am Ruder zu halten, die Proteste zu unterdrücken, vergrößert. Natürlich spricht niemand offen darüber, das Kasachstan Russland etwas schuldig ist, aber Tokayev und Putin sind sich einig darin, dass das ein Dienst war, der seinen Preis hat.“
Der Preis könnte jetzt darin bestehen, dass Putin von Kasachstan Gefolgschaft im Ukraine-Krieg und womöglich militärische, zumindest aber politische Unterstützung einfordert. Die kasachische Bevölkerung steht jedoch größtenteils hinter der Ukraine. Denn die Furcht ist groß, Kasachstan könne über kurz oder lang eine ähnliche Invasion seitens Russlands drohen.
Würde Tokayev sich nun offen auf Putins Seite stellen, wären weitere Proteste ganz sicher vorprogrammiert. Bisher hielt Kasachstan sich deshalb hinsichtlich einer klaren Position im Ukraine-Krieg bedeckt.
Doch am 1. März sagte Tokayev beim Parteitag der Präsidentenpartei mit einem deutlichen Hinweis auf die, Zitat: „Notwendigkeit von Sicherheit, Souveränität und territorialer Integrität“ Kasachstans: „Die geopolitische Lage hat sich in beispielloser Weise zugespitzt, und es ist nun an der Zeit, von der Unumkehrbarkeit der Entwicklung zu sprechen. Wir fordern daher beide Staaten auf, am Verhandlungstisch eine gemeinsame Basis zu finden, um eine Einigung und ein Einverständnis zu erzielen. Es gibt keinen anderen Weg. Ein schlechter Frieden ist besser als ein guter Streit.“
Für Kasachstan ist diese, wenn auch diplomatisch formulierte Äußerung, überraschend deutlich. Tokayev bot sich als Vermittler an, telefonierte am Mittwoch sowohl mit Wladimir Putin als auch mit Wolodymyr Selenskyj. Die Antwort aus Russland wird man in Kasachstan mit Unwohlsein erwarten. Doch Tokayev ist klar, auch das Schicksal Kasachstans wird in der Ukraine entschieden.