Archiv


Kasachstan wartet auf Gerechtigkeit

Nachdem eine Protestkundgebung für höhere Löhne 16 Todesopfer unter den Ölarbeitern forderte, findet nun ein Prozess statt. Die kasachischen Behörden hatten einen transparenten und fairen Prozess angekündigt. Doch die Presse wurde schon am zweiten Tag ausgeschlossen. Ob Manipulation im Spiel ist, mögen Beobachter nicht klar sagen.

Von Leo Schwarzkopf |
    Eigentlich wollte die kasachische Regierung gerade ihren 20. Jahrestag seit der Unabhängigkeit feiern, als Kasachstan von schweren Unruhen erschüttert wurde. In der Nähe des Kaspischen Meeres hatten Ölarbeiter mit ihrer Protestkundgebung ein Unabhängigkeitsfest verhindert, um für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.
    Am Ende waren 16 Demonstranten tot.

    Dieser blutige Ausgang der Proteste sind auch eine herbe Niederlage für Präsidenten Nasarbajew, der das Land seit seiner Unabhängigkeit regiert. Er war damals direkt vom Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kasachstans in das Präsidentenamt gewechselt Und versucht seine Amtszeit auch mit der Stabilität des Landes zu rechtfertigen, doch jetzt beim Prozess um die Unruhen des letzten Jahres wirkt das Land wieder instabil.

    Das Jugendzentrum "Arman" im westkasachischen Aktau, Ende März dieses Jahres. Eine große Menschenmenge steht vor dem Gebäude, auf dem die türkisfarbene kasachische Flagge mit der stilisierten goldenen Sonne weht. Weit mehr Menschen, als der große Saal im Innern fassen kann, drängen durch die Tür. Polizisten versuchen, die aufgebrachte Menge hinauszudirigieren.

    Die Nerven liegen blank bei denen, die nicht mehr in den Saal dürfen. Alle wollen den derzeit wichtigsten Gerichtsprozess Kasachstans mit eigenen Augen sehen. Der Anlass: Am 16. Dezember 2011 waren bei Krawallen in der Ölarbeiterstadt Zhanaozen unweit des Kaspischen Meeres 16 Ölarbeiter von kasachischen Sicherheitskräften erschossen worden. Jetzt sollen die Verantwortlichen gefunden werden - angeklagt sind jedoch Ölarbeiter - doch kein einziger Polizist. Vor dem Gerichtssaal in der Gebietshauptstadt Aktau steht ein älterer Kasache mit einem landestypischen Käppi auf dem Kopf. Er ist skeptisch, was dieser Prozess bringen soll - viele hier denken so wie er:

    "Das ist die Arbeiterklasse aus Zhanaozen. Die Leute sind unschuldig. Die Behörden veranstalten hier einen völlig chaotischen Prozess; sie haben gesagt, das wird ein freier Prozess. Und jetzt darf keiner rein. Da sind Verwandte von einem Betroffenen gekommen, zwölf Leute, und nicht einen einzigen lassen sie rein. Wer da drin sitzt, wissen wir nicht, aber wir wollen Gerechtigkeit."

    Der Prozess zu den Ereignissen in Zhanaozen war von den kasachischen Behörden als fair, transparent und offen angekündigt worden. Doch die Presse wurde schon am zweiten Tag ausgeschlossen, einige internationale Beobachter durften gar nicht erst nach Kasachstan einreisen. Die Abgeordnete Gulnar Sejtmagambetowa, die für die Präsidentenpartei Nur Otan im kasachischen Parlament sitzt und als Beobachterin am Prozess teilnimmt, vermag allerdings keine Manipulationen zu erkennen:

    "Ich sehe nicht, dass auf die Verteidiger irgendwie Druck ausgeübt würde seitens des Gerichts oder durch die Staatsanwälte. Sie stellen ihre Fragen und bekommen Antworten. Nach dem ersten Eindruck kann ich nur sagen, der Prozess verläuft absolut im Rahmen der Gesetzgebung der Republik Kasachstan."

    Für viele in Kasachstan ist dieser Prozess um die Ereignisse in Zhanaozen eine Zäsur. Zhanaozen - der Name einer Kleinstadt im erdölreichen Westen des Landes- gilt mittlerweile als der Inbegriff für die Willkür des Regimes von Präsident Nursultan Nasarbajew, der das Land seit 1991 regiert.

    Am 16. Dezember vergangenen Jahres feierte Kasachstan den 20. Jahrestag seiner Unabhängigkeit - auch in Zhanaozen. Doch der Feiertag endete in Krawallen und Plünderungen. Viele Ölarbeiter streikten zu diesem Zeitpunkt schon seit über einem halben Jahr für höhere Löhne und größere Arbeitssicherheit. Ihr Arbeitgeber, der milliardenschwere staatliche Erdölkonzern KazMunaiGas, hatte ihre Forderungen immer wieder abgelehnt. Stattdessen wurden 250 streikende Ölarbeiter entlassen, deren Angehörige, Rechtsanwälte und Unterstützer bedroht und eingeschüchtert.

    Monate lang ignorierten die kasachischen Behörden die gewaltlosen, friedlichen Proteste in Zhanaozen - bis zum vergangenen Dezember. Die offizielle Erklärung der Regierung für die Krawalle: Die kasachische Opposition habe die Streikenden zu den Ausschreitungen angestiftet, die Sicherheitskräfte hätten sich nur verteidigt. Bei dem Prozess in Aktau sind nun 37 Angeklagte beschuldigt, sozialen Unfrieden geschürt zu haben - unter ihnen mehrere Oppositionspolitiker. Ihnen drohen jeweils bis zu zehn Jahren Haft.

    Bulat Abilow ist Chef der Oppositionspartei Azat-OSDP. Er ist bei der Eröffnung des Prozesses im Gerichtssaal als Beobachter dabei, er kennt die Angeklagten und unterstützt die Familien.

    Abilow bezweifelt die offizielle Version, die Opposition sei schuld. Er vermutet, die Regierung habe die Ausschreitungen provoziert:

    "Ich bin sicher, dass die Machthaber selbst zu 70 Prozent diesen Aufstand organisiert haben, mit Hilfe junger Randalierer. Die Regierung hat wieder mal ihre Unfähigkeit bewiesen, mit der Gesellschaft umzugehen, mit Protestierenden, mit Leuten, die anderer Meinung sind. Sie kann sie nur ins Gefängnis bringen, erniedrigen, beleidigen oder eben erschießen."

    Der Journalist Andrej Grishin, der für das kasachische Büro für Menschenrechte arbeitet, verfolgt den Prozess im 2000 Kilometer entfernten Almaty. Er ist sicher, die kasachische Regierung habe kein Interesse daran, die wirklich Schuldigen zu finden. Sie wolle auf diese Weise vielmehr die Opposition ausschalten.

    "Warum sollte man das nicht gegen jene verwenden, die den Machthabern schon seit Langem Kopfschmerzen bereiten. Mit einem Schlag könnte man all die wegräumen, die schon lange gestört haben. Zhanaozen ist eine tolle Gelegenheit, sich dieser Leute zu entledigen."

    Obwohl regierungskritische Medien regelmäßig über die Ereignisse in Zhanaozen berichten, gab und gibt es in Kasachstan kaum Proteste gegen den Umgang der Regierung mit den Ölarbeitern, gegen die Todesschüsse oder nun gegen den Prozess in Aktau.

    Kasachstans Wirtschaft wächst dank des ungeheuren Ölreichtums, doch die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Die Unzufriedenheit über korrupte Eliten und fehlende Entwicklungsmöglichkeiten ist groß. Warum ist Zhanaozen dann nicht zu einem Funken für Aufstände wie in Nord-Afrika geworden?

    "Am meisten überrascht, dass die Leute hier sehr wohl gebildet und informiert sind. Sie wissen, was passiert. Aber: Das ist Desinteresse. - Den Menschen hier geht es besser als in den Nachbarländern, und sie haben einfach große Angst vor Veränderung, das wenige zu verlieren, das sie inzwischen haben. Wenn sie 200, 300 Dollar haben, ist das wenig, bedeutet für sie aber Stabilität."

    Wie der Prozess in Aktau weiter verlaufen wird, ist schwer vorhersehbar. Zwei bis drei Monate, so schätzen Beobachter, könne er sich hinziehen. Dass die Angeklagten schuldig gesprochen werden, scheint jetzt schon klar, offen ist nur, wie das Strafmaß ausfallen wird.

    Doch welche Urteile das Gericht am Ende fällen könnte, ist für Regierungskritiker wie Grishin und Abilow fast schon unwichtig. Denn eines unterliegt für sie keinerlei Zweifel: Diese Entscheidungen werden nicht im Gerichtssaal in Aktau, sondern ganz oben, in Astana getroffen - in der Hauptstadt Kasachstans.